Wieder einmal an ein «Hippie-Festival»

Erstellt von Sharlyn Keller |
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Herr Schmitt aus Zürich-Altstetten, 57 Jahre alt, vermisst das Festival-Feeling. Die 20-jährige Stadtbeobachterin Sharlyn Keller erzählt ihm von ihrem Besuch an einem speziellen Festival in Bubikon.

Mit einem Rucksack ausgerüstet laufe ich zu Fuss zur Hardbrücke, begleitet von neugierigen Blicken. Maske auf, in die S-Bahn steigen und die Umgebung, die am Zugfenster vorbeirast, aufsaugen. Nach Stadelhofen sind nur noch wenige hohe Häuser zu sehen, alles wird plötzlich farbig: Kühe, Bauernhöfe, riesige Felder bilden eine schöne Aussicht aufs Zürcher Oberland. Aussteigen in Bubikon, noch mehr neugierige Blicke. Wo gehen die jungen Leute
wohl alle hin? Hier in Bubikon, mit
ihren Rucksäcken und farbenfrohen Kleidern?
Wir laufen voller Vorfreude und Tanzlust durch die Hitze zum Demeter-Bauernhof. Zuerst einmal auf dem komplett falschen Weg, dann durch das kleine Dorf, die lange Landstrasse entlang. Wenige Autos sind unterwegs, Stille, die man im Dorf wohl kennt. Kurz vor dem Bauernhof sitzen zwei Bubikoner in einem Garten:
«Macheder es Fäscht?»
«Ja, es findet es chlises Festival statt.»
«Ah döt bim Hippie-Zält? Am Zähni isch denn Nachtrueh, gäll.»
«Ja, ja.»
Weiter geht’s.
Bald sehen wir das «Hippie-Zelt», ein riesiges weisses Tipi, und warten an der Kasse mit Vorfreude und Neugier. Der Tattoo-Sticker, den die Festival-Besuchenden aus einer Wundertüte ziehen, zaubert ein Lächeln in jedes Gesicht. Auf einer kleinen Waldbühne singt eine junge Frau erfrischende Oper. Rund um das Tipi auf der Wiese ist genug Platz zum Tanzen, eingekesselt in einem Geflecht aus Bäumen und kleine Wege dazwischen. Ein grosser umgebauter Truck ist die Hauptbühne. Dahinter stehen vereinzelt Zelte, allesamt farbig und noch nicht bereit, später, gegen Mitternacht, eine schlafende Menge in Empfang zu nehmen.
Die frühe Abendsonne schenkt uns ein warmes Schimmern. Die Atmosphäre auf diesem Platz ist so magisch, so sanft, so glücklich. Es sind nicht viele Menschen da, diese wenigen aber lächeln sich gegenseitig an. Alle lassen sich noch so gern in ständige Gespräche verwickeln, und wenn gerade nicht gesprochen wird, wird ausgefallen getanzt.
Die erste Band beginnt zu spielen. Ein wenig Unbehagen herrscht noch, weil die schützende Dunkelheit noch nicht vollends eingetroffen ist. Doch mit den ersten Tönen klingen auch die letzten Hemmungen ab. Der Kopf schaltet aus, der Körper übernimmt, drückt die Gefühle aus, die nicht aussprechbar sind. Macht aus Bewegung und Mimik Freude. Freude, die aus der Musik, dem Bass, der Menge entsteht. Neugier nach diesem Ort, nach den Menschen hier erwacht. Wir spüren die Wiese, die wir unter unseren tanzenden Zehen aufteilen, haben keine Angst, dass uns auf den Fuss gestanden wird. Wir lassen uns treiben und hören auf, so viel zu studieren. Es nimmt alles seinen Lauf. Die Musik lässt uns bewegen, die Bewegungen lassen uns schnaufen und aufschnaufen, die Texte berühren uns. Und sobald die Musik uns wieder betört, lassen wir die Texte, die Gedanken wieder los und tanzen.
Wir tanzen, füllen unsere Gläser an der Bar auf, gehen mal zur Toilette, mal setzen wir uns kurz und spüren die Umgebung. Nehmen wahr, wie die Situationen sich stetig ein wenig verändern, die frohe Atmosphäre aber immer bleibt, wie sie ist. Wir lernen etwas über Kräuterkunde, beobachten eine Theater-Performance, bei der nicht alle gleich verstehen, das aber auch nicht müssen. Sobald eine neue musikalische Inspiration auftaucht, wird wieder ausgelassen getanzt. Danach versammeln wir uns an den Feuerstellen. Augen fallen zu, Körper legen sich hin. Freunde kuscheln miteinander. Wir träumen von lächelnden Gesichtern, vom Hippie-Tipi, vom Feuer und wollen nächstes Jahr wiederkommen und dann nochmal und nochmal und nochmal.

Die StadtbeobachterInnen aus dem Jungen Literaturlabor JULL berichten für jene, die weiter zu Hause bleiben müssen. Mit kleinen Texten aus der Stadt, vom Leben, vom Weiss der Schwäne. Textwünsche bitte an lorenz.steinmann@lokalinfo.ch oder an office@jull.ch.