Mit der Ausstellung «1917 Revolution. Russland und die Schweiz» thematisiert das Landesmuseum die Verflechtungen und Ereignisse der Schweiz mit Russland vor hundert Jahren.
Elke Baumann
Nach dem Ersten Weltkrieg leben in Russland Tausende Schweizerinnen und Schweizer, die als Unternehmer, Architekten, Ärzte, Zuckerbäcker und Käser, im Textilbereich oder Lehrberuf tätig sind. Umgekehrt halten sich zu dieser Zeit zahlreiche russische Künstler, Intellektuelle und Sozialisten als Emigranten in der Schweiz auf, die vor dem Zarismus geflüchtet sind.
In Zürich träumen sie vom Sturz des Zarenregimes. Unter Ihnen auch Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, der sich in Genf, Bern und Zürich auf die Revolution vorbereitet. In der Schweiz erarbeitet Lenin die theoretischen Grundlagen für den Aufstand der Proletarier.
Anspruchsloses Leben
Nach seinem Aufenthalt in Bern (1914–1916) lebt Lenin unauffällig und bescheiden mit seiner Frau Nadeschda Krupskaja in Zürich zur Untermiete beim Schuster Kämmerer an der Spiegelgasse 14. Der Mietzins für ihr Zimmer beträgt monatlich 24 Franken! Es ist eng und bescheiden möbliert. Wenn mehr als drei Personen anwesend sind, müssen sich die Besucher aufs Bett setzen.
Lenin schreibt: «Zwar war unser Haus hell, aber seine Fenster gingen auf den Hof hinaus, in dem es fürchterlich roch, weil sich dort eine Wurstfabrik befand. Nur spät nachts konnten wir die Fenster öffnen.». Die meiste Zeit verbringt er in der Zentralbibliothek. Ist diese geschlossen, kauft er gewöhnlich zwei kleine Tafeln Nussschokolade zu 15 Rappen das Stück: «Nachmittags nahmen wir dann unsere Bücher und die Schokolade und gingen auf den Zürichberg.» Dort hatten die beiden einen stillen Lieblingsplatz, wo sie «im Grase liegend ungestört lesen» konnten.
Am 9. April 1917 ist es so weit. Wladimir Iljitsch Uljanow besteigt im Hauptbahnhof Zürich einen plombierten Zug, der ihn und Gleichgesinnte nach St. Petersburg zurückbringt, wo er sich an die Spitze der Russischen Revolution stellt. Die Ausstellung bietet einen Überblick über die politische und kulturelle Entwicklung Russlands und zeigt das Verhältnis der Schweiz zu den dortigen revolutionären Ereignissen. Zeithistorische Fotos und Dokumente, Bilder, Briefe sowie Zeitungs- und Filmausschnitte spannen den Bogen vom Zarenreich bis zur Gründung der Sowjetunion. Vertieft werden die umwälzenden Geschehnisse Russlands auf iPads, Audioguides und in gut lesbaren Texten.
Kunst und Kultur
Neben den geschichtlichen Abläufen findet das Publikum auf dem Parcours eine grosse Anzahl Kunstwerke und Kulturgüter. Sie beleuchten die Spuren von Russen in der Schweiz und die von Schweizern in Russland. In den Vitrinen sind kunstvoll verzierte Fabergé-Eier ausgestellt, wertvolles Porzellan und Uhren, bedeutende Ikonen, das Modell des Sowjetpalastes von Le Corbusier, prächtige Kostüme und Stoffe, Gemälde und Arbeiten der russischen «Avantgarde des Proletariats». Ihr künstlerisches Schaffen reicht bis in die Gegenwart. Nicht zu übersehen: Lenin – 3,20 m hoch, 2,9 t schwer und aus Bronze – sowie sein Schreibtisch und andere Originalobjekte aus der Spiegelgasse 14. Hinter jedem Namen, jedem ausgestellten Objekt und gezeigtem Bild versteckt sich eine spannende Geschichte, die von Krieg und Frieden, Revolution, Hunger und Not oder Wohlstand erzählt.
Pascale Meyer, Kuratorin des Museums, und ihrem Team ist eine brillant inszenierte Schau gelungen, eine Art Kultur- und Geschichtsarche, deren Dramaturgie und Raumgefühl virtuos durchkomponiert ist. Wer sich die Exponate gründlich anschauen will, muss Zeit mitbringen und gut zu Fuss sein.
Die Ausstellung ist in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum Berlin entstanden.
Ausstellung bis 26. Juni. Öffnungszeiten: Di–Sa, 10–17 Uhr, Do, 10–19 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Buch erschienen: «1917 Revolution. Russland und die Schweiz» Fr. 36.– (Museumspreis Fr. 25.–). www.landesmuseum.ch