VBZ-Fahrer kritisieren Arbeitsbedingungen

Erstellt von Pascal Wiederkehr, Lorenz Steinmann |
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Mitarbeitende der Verkehrsbetriebe Zürich klagen an: Dauerstress, der krank macht, permanenter Druck durch die Vorgesetzten und als ungerecht empfundene Bewertungen. Die VBZ-Führung widerspricht.

Mehr Verkehr, mehr Fahrgäste, mehr Stress: Viele Buschauffeure und Trampilotinnen sind mit den Bedingungen bei den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ) sehr unzufrieden. Dies zeigen Gespräche mit 50 Mitarbeitendenden des Fahrdienstes.

«Wenn du eine Woche lang kombinierte Früh- und Spätschichten absolviert hast, bist du erledigt. Denn natürlich bleibt bei solchem Dienstablauf der Schlaf auf der Strecke. Die Folge sind immer mehr übermüdete und unkonzentrierte Wagenführer.»

779 Unfälle. So viele Schadenereignisse wie im ersten Halbjahr 2019 gab es noch nie, seit die VBZ die Zahlen detailliert kommunizieren. Für das zweite Halbjahr sieht die Tendenz ebenfalls nicht gut aus. Die Tramcrashs in der Nähe der Haltestelle Hubertus und beim Engrosmarkt gingen durch die Medien. Aktuelle Zahlen rücken die VBZ nicht heraus. Sie verweisen auf die Jahresmitteilung, die sie jeweils im Februar publizieren. Die Kritik des Fahrpersonals, dass die Unfallhäufigkeit mit übermüdetem und unkonzentriertem Fahrpersonal zusammenhängt, ist gross. Der Tenor: «Diese Arbeitsbedingungen machen krank.»
Diesen Zusammenhang wollen die VBZ nicht gelten lassen. Für sie sind vor allem Velofahrer, E-Trottinett-Fahrer und Fussgänger schuld am Anstieg der Unfälle. Bei Unfällen mit Autos, Lieferwagen und Lastwagen sind die Zahlen zwar hoch, aber stabil.

Kritikpunkt «Zu wenig Personal»
Doch Unfälle sind nicht das einzige Problem. Für viele Fahrdienstmitarbeitende ist klar: Es herrscht massiver Personalmangel.

«Jeden Tag fehlen Dutzende Fahrdienstmitarbeiter, deren Dienste dann irgendwie durch zusätzlich arbeitende Mitarbeiter, den Fahreinsatz der dafür ausgebildeten Billettkontrolleure und sämtlicher im Stundenlohn angestellten Teilzeit-Pensionäre abgedeckt werden.»

Aus dem Fahrdienst heisst es, man werde geradezu genötigt, Zusatzschichten zu leisten. Und am liebsten werde gesehen, wenn man sich wegen der Personalknappheit die Überzeit auszahlen lasse, anstatt sie zu kompensieren. Dies erzeuge einen immensen Druck und führe zu Krankheiten. Jürg Widmer, Leiter Betrieb der VBZ, kontert die Kritik, es habe zu wenig Personal: «Seit Mai 2019 haben wir wieder den Sollbestand.» Einräumen muss er freilich, dass momentan 30 über 66-jährige Trampiloten und Buschauffeure im Dienst der VBZ stehen. Zudem müssten Kontrolleure und Serviceleiter als Aushilfe einspringen. Fürs ordentliche Fahrpersonal fehlen genau diese Leute als Sicherheitsunterstützer und bei Billettkontrollen.

«Neue Mitarbeiter zu rekrutieren, wird immer schwieriger, denn die VBZ-Anfangslöhne entsprechen den gestiegenen Anforderungen und dem gesundheitsgefährdenden Dauerstress nicht mehr.»

Vor wenigen Wochen haben die VBZ eine neue Website aufgeschaltet, wo zumindest die Anfangslöhne mit wenigen Klicks zu finden sind. Bis 29 Jahre alte Anwärter erhalten zwischen 5083 und 5221 Franken Bruttolohn pro Monat, der Anfangslohn steigt auf 5753 bis 5849 Monatslohn für Trampiloten ab 50 Jahren. Maximal kann ein Lohn des Fahrpersonals 7166 Franken pro Monat betragen, das macht jährlich inklusive 13. Monatslohn 92 000 Franken. Dazu kommen Zulagen für Nacht- und Sonntagseinsätze von rund 150 bis 250 Franken im Monat.

«Pingelige Beurteilungen»
Die Krux ist: Lohnerhöhungen sind von der Beurteilung beim Zielvereinbarungsgespräch abhängig. Laut Quellen aus dem Fahrdienst ist aber eine «Note» im Mittelfeld (ein C auf der Skala von A bis F) normal, auch wenn das jeweilige Kriterium erfüllt wird. So müssen VBZ-Fahrerinnen und VBZ-Fahrer eine «gepflegte Erscheinung» haben. Dort heisst es dann beispielsweise «stets korrekt gekleidet und sauber rasiert». Trotzdem reichts nicht für ein A. Das frustriert und der Lohn steigt selten.
Zudem gibt es den Passus «Fahrplaneinhaltung». Jürg Widmer von den VBZ hingegen ist überzeugt, dass der Passus «Pünktlichkeit» «sicher nicht im aktuellen Beurteilungsbogen drin ist». Für die Kritiker aus dem Fahrdienst ein Beispiel, dass die Führung zu weit weg von der Basis sei.
Widmer ist fast genau damals in die VBZ eingetreten, als im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» ein aufsehenerregender Artikel über die Arbeitsbedingungen bei den VBZ erschien. Der Artikel vom April 2012 prangerte die rund 140 Kriterien an, nach welchen das Fahrpersonal «überwacht» werde. Punkte waren etwa «Keine privaten Gegenstände in Sichtbereich», «Spiegel reinigen», «Verschleissarme Fahrweise» und «Trotz Möglichkeit keine Beseitigung von grobem Unrat». Die Folge: «Ein Klima des Misstrauens und der Überwachung», wie es im «Magazin»-Artikel hiess.
Widmer sagt heute, man habe «die Kritik sehr ernst genommen». Als Meilenstein bezeichnet er die Einführung eines neuen Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgesprächs – intern ZBG – auf den 29. April 2013. «Darauf bin ich stolz» so Widmer. Aus dem Fahrpersonal bleibt die Kritik an den vielen nicht sicherheitsrelevanten Beurteilungen des Fahrpersonals aber unverändert:

«Ja diese Gruppenleiter. Einige schaden dem Arbeitsklima vermutlich so sehr, dass die Folgekosten für die VBZ wohl im sechsstelligen Bereich liegen. All diese Ausfälle von demotivierten oder eingeschüchterten Mitarbeitern, die – nachdem sie mehrmals in Folge unsensibel abgekanzelt worden sind – erst recht durch Verunsicherung Fehler machen oder gleich ‹krank› zu Hause bleiben.»

Für die VBZ-Führung ist das kein Argument. «Wenn jemand nicht zum Dienst antreten kann, kann er sich problemlos melden», findet Widmer. Zudem würden die Kontrollen der Fahrer zu ihrem Fahrverhalten nicht mehr anonym durchgeführt. «Jetzt melden sich die Gruppenleiter an und fahren nicht mehr verdeckt mit.»

Schlägerei am Bahnhof Wipkingen
Trotzdem bleibt der Stress durch mehr Linien, generell mehr Verkehr und mehr Fahrgäste, die immer ungeduldiger sind.

«Ein grosses Problem ist die heutige 24-Stunden-Spassgesellschaft. Wenn ich als Buschauffeur ungeschützt im offenen Führerstand sitze und wieder mal so ein Spinner bei mir einsteigt, steigt sofort mein Adrenalinpegel, denn ich muss damit rechnen, dass sowieso keine Kontrolleure oder Serviceleiter in der Nähe sind. Die werden ja ständig wegen fehlenden Personals für Fahrdienste zweckentfremdet. Die Sicherheit der Fahrgäste und des Fahrpersonals ist offenbar kein Thema.»

Schlagzeilen machte der Fall beim Bahnhof Wipkingen im Juli 2018, als eine Auseinandersetzung zwischen einem Fahrgast und VBZ-Kontrolleuren eskalierte und mit einer längeren Untersuchungshaft eines VBZ-Mitarbeiters endete. «Die VBZ-Sprecherin liess uns im Stich und schlug sich sofort auf die Seite des Fahrgasts», sagt ein Beteiligter gegenüber dieser Zeitung. «Polizeisprecher Marco Cortesi hätte besonnener reagiert», so sein Fazit.
Die VBZ betonen, dass sich das Problem mit fehlenden Kontrolleuren und Serviceleitern entschärft habe. Dabei dürfen diese Personen nicht so eingreifen wie das Sicherheitspersonal der SBB. Jene Mitarbeiter haben eine spezielle Zertifizierung, die etwa Verhaftungen erlaubt.

«Am schlimmsten finde ich, dass unser Betrieb nie loyal zu uns steht. Kriegen wir negative Kundenreaktionen, stehen wir sofort unter Generalverdacht. Der erste Impuls ist meistens, uns zu bestrafen.»

Und die Frage wegen der ungeschützten Führerstände in den Bussen? «Das Problem ist uns bewusst», so die VBZ. Die Glasverkleidungen zum Fahrgastraum hin seien vergrössert worden. Aber eine «totale Verbarrikadierung» entspreche nicht der Firmenphilosophie. Widmer: «Und es erhöht nicht die Sicherheit.»

Vier Stunden unbezahlte Pause
Ein weiterer wunder Punkt sind die Schichtpläne und die immer grösseren Aufgaben:

«Wir müssen immer öfter Dienste leisten, die vor 9 Uhr beginnen und erst nach 22 Uhr fertig sind. Dazwischen liegen oft bis zu vier Stunden unbezahlte Pausen, die uns herzlich wenig nützen und uns nur vom Familienleben fernhalten, weil die meisten von auswärts kommen.»

Auf diesen Vorwurf reagiert Jürg Widmer gelassen. Die VBZ hätten bereits Massnahmen ergriffen, um die langen unbezahlten Pausen zu reduzieren. «Ein Pilotprojekt im Depot Kalkbreite war erfolgreich.» Und die Kritik, dass Wagenführer ihre Tramzüge quasi in der Freizeit bereitstellen müssen? «Dem Tram-Personal werden pro Schicht zwei Minuten Arbeitszeit gutgeschrieben, unabhängig davon, wann die Schicht beginnt, so gleicht sich das wieder aus», ist Widmer überzeugt.

«Die Wagenführer müssen vor der Frühdienstausfahrt ihre Trams selber einschalten, aufrüsten und überprüfen, natürlich ohne dass diese Zeit bezahlt wird. Aspiranten sollten extra früh erscheinen. So konnte man die Stelle des Reparateurs einsparen, der früher die Tramzüge vor der Auffahrt eingeschaltet hatte, um über Nacht Strom zu sparen.»

«Ich höre zum ersten Mal davon, dass Trampiloten in Ausbildung angehalten werden, eine halbe Stunde vor Frühschichtbeginn zu erscheinen», sagt Widmer. Ins gleiche Kapitel gehört die Kritik des Fahrpersonals, dass man sich quasi in der Freizeit auf dem iPad über die eigenen Dienstpläne und News vom Betrieb zu informieren habe.

Stadt versus Kanton
Beim Thema Personal geht es ums Geld. Hier hat der Zürcher Verkehrsverbund unter der Obhut von Regierungsrätin Carmen Walker Späh (FDP) mitzureden. Widmer weist auf die politische Komponente hin. Der Verkehrsrat sei bis jetzt nicht bereit, den Rahmen-Gesamtarbeitsvertrag anzuerkennen, den die VBZ mit den Gewerkschaften Syna, Transfair und dem Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) ausgehandelt haben. Die schlechten Arbeitsbedingungen hängen also indirekt mit der Haltung des Verkehrsrates zusammen.

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Kommentar von Andreas J. Minor, Redaktionsleiter Lokalinfo AG

Es ist Zeit zu handeln

Kostendruck, Zeitnot, psychischer Druck und Angst: Das Berufsleben einer Busfahrerin oder eines Trampiloten in der Stadt Zürich ist kein Zuckerschleck. Miese Arbeitsbedingungen und als Dank ein niedriger Lohn, trotz riesiger Verantwortung – irgendwie will das nicht in unser schönes Zürich-Bild passen. Denn es geht hier nicht etwa um Mitarbeiter irgendeiner Firma in irgendeiner Bananenrepublik, sondern um VBZ-Angestellte.
Wer also früh in den Bus steigt und anschliessend mit dem Tram zur Arbeit fährt, wird unweigerlich zum Komplizen einer wohlorganisierten Ausbeutung. Anders kann man es leider nicht formulieren, wenn man die schockierenden Schilderungen der VBZ-Angestellten liest. Dabei gehen wir alle davon aus, dass hier in Zürich ein fairer Lohn für gute Arbeit selbstverständlich ist: Und das insbesondere, wenn man für Vater Staat arbeitet. Doch Fehlanzeige.
Es ist höchste Zeit, dass sich der zuständige Stadtrat Michael Baumer dieser Sache annimmt und sein angetretenes Erbe näher unter die Lupe nimmt, da in seinen Wirkungsbereich auch die Verkehrsbetriebe Zürich gehören.

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Zur Recherche

Hervorgehobene Zitate sind repräsentative Originalaussagen von gut 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des VBZ-Fahrdienstes. Sie haben sich gegenüber dieser Zeitung offen geäussert. Grundsätzlich wird betont, dass man «nicht gegen den Betrieb per se» sei. Die Auskunftspersonen sind anonymisiert, weil sie dem Amtsgeheimnis oder der arbeitsrechtlichen Treuepflicht unterliegen. Die Lokalinfo hat die VBZ mit allen Kritikpunkten konfrontiert. Auskunft gab Jürg Widmer. Er ist seit 2012 Leiter Betrieb und somit Chef von 1500 Mitarbeitenden, darunter rund 1400 sogenannte Fahrdienstmitarbeitende, also Buschauffeurinnen und Trampiloten. Im Rahmen der Recherche wurden auch Gespräche und Abklärungen mit Gewerkschaften, Unfallexperten und anderen Verkehrsbetrieben geführt. (ls./pw.)