Urbane Werkplätze in alten Industriehallen

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In über 100-jährigen Bauten der SBB-Werkstätten in Altstetten entsteht viel neuer Raum für Gewerbe, Handwerk und Kultur. «Werkstadt Zürich» nennt sich das Projekt.

In über 100-jährigen Bauten der SBB-Werkstätten in Altstetten entsteht viel neuer Raum für Gewerbe, Handwerk und Kultur. «Werkstadt Zürich» nennt sich das Projekt.

Lisa Maire

Die SBB-Areale im Gleisraum zwischen HB und Altstetten gehören zu den letzten grossen Entwicklungsgebieten in Zürich. Nun haben die SBB ein 42 000 Quadratmeter grosses, nicht mehr benötigtes Teilareal ihrer Hauptwerkstätten an der Hohlstrasse für neue Nutzungen freigegeben. Einzelne der über 100-jährigen Industriebauten werden im Rahmen des Projekts «Werkstadt Zürich» bereits zwischengenutzt. Schilder und ein Gebäudeplan beim Eingang Hohlstrasse 400 weisen den Weg zu derzeit rund 30 «Werkstadt»-Pionieren – ob Kaffeerösterei, Sattlerei, Espressomaschinenmanufaktur, Denkwerkstatt, Produktion von Kunst oder von Kunststoff.

Erste Sanierung bis 2021

In den nächsten 10 bis 15 Jahren soll sich das SBB-Areal nun in enger Zusammenarbeit mit der Stadt und der kantonalen Denkmalpflege in einen dauerhaften Ort für industrielle Innovationsbetriebe, Gewerbe, Handwerk und Kultur umwandeln. Der genaue Zeitplan stehe noch nicht fest, hält die Gesamtprojektleiterin SBB Immobilien, Architektin Barbara Zeleny, fest. Auch die Frage, wie künftig Neubauten die denkmalgeschützte, historische Anlage ergänzen können, sei noch nicht geklärt.

Fest steht jedoch: Wo man bei der Übergangsnutzung bauliche Mängel festgestellt hat, wird bald schon saniert. So ist gemäss Zeleny die Baueingabe für die Sanierung der früheren SBB-Wagenunterhaltshalle bereits erfolgt. Die riesige Halle – wie die übrigen Werkhallen auf dem Areal eine Eisenkonstruktion mit Oberlicht und gelben Backsteinfassaden – soll bis Ende 2021 baulich und energetisch in Schuss gebracht und für 15 bis 20 Mieter ausgebaut werden. Im Annex der Halle, wo sich einst Schreinerei, Sattlerei und Büros befanden, haben sich bereits etliche Werkstädter eingenistet. Ihnen stehen während der Bauzeit Rochadeflächen zur Verfügung.

Zeitlich noch nicht festgelegt ist die Sanierung der früheren Räderdreherei und Kesselschmiede in der Mitte des Umnutzungsareals. Auch dieser grosse Baukomplex wird heute zwischengenutzt. Ein innovativer Industriebetrieb stellt dort biologisch abbaubaren Kunststoff her und der international renommierte Künstler Urs Fischer seine Grossskulpturen. Ein dritter Gebäudeteil kann – vorerst natürlich angepasst an die Entwicklung der Corona-Krise – für Events aller Art gemietet werden.

Von der Esse in die Wanne

Nach der Einweihung der Schmiede 1911 berichtete die «Zürcher Wochen- Chronik» begeistert über die mächtigen Essen und die gewaltige Schlagkraft der Dampfhämmer. Ebenfalls Beachtung fanden damals die Oberlicht-Dachkonstruktion und die grossflächige Verglasung der Giebelfassaden, die eine gute Belichtung der Arbeitsplätze erlaubten. Hinter der Schmiede stand das Kesselhaus mit Kohlenlager und einem 50 Meter hohen Kamin. Seit der Erneuerung der Anlage 1964 ragen drei Schornsteine in die Höhe. Die bis heute mit Gas und Erdöl gespeiste Heizzentrale bleibt zwar bestehen. Es werde aber ein neues, der Nachhaltigkeit verpflichtetes Energiekonzept geben, so Zeleny.

Während die Werkhallen die bautechnische Entwicklung bezeugen, geben die Nebengebäude auch Einblicke in die soziale und hygienische Zeitgeschichte. So findet sich im «Spezialinventar SBB-Gebäude» des städtischen Hochbaudepartements ein Abschnitt über das 1911 fertiggestellte «Wohlfahrtshaus mit Speise- und Badeanstalt» bei Zugang an der Hohlstrasse. Im Erdgeschoss, wo sich heute die Kantine «Chez SBB» befindet, wurden damals für die Arbeiter und die Angestellten separate Speisesäle eingerichtet. Und im Keller gab es Duschkabinen sowie separate Badezimmer.

Weitere Waschräume mit Warmwasserboiler und Unterkunftsräume standen den Kohlenarbeitern hinter der Kesselschmiede zur Verfügung. Über das ganze Areal verteilten sich zudem fünf «Abtrittgebäude». Jenes neben der Wagenunterhaltshalle zeigt bis heute, wie sorgfältig auch die Nebengebäude gestaltet wurden.

Ausbau auf Mieter abgestimmt

Die schmalen historischen Bauten entlang der Hohlstrasse – erstellt für Verwaltung, Magazine, Lager, Holztrocknung – beherbergen heute ebenfalls Übergangsnutzungen. Voraussichtlich 2025 werden zusätzlich die grossen SBB-Werkhallen im Osten des Umnutzungsareals frei. Insgesamt wird es auf dem Gelände der SBB-Werkstätten Platz für rund 80 neue Mieterinnen und Mieter geben. Das Gewerbe sei dabei die Hauptzielgruppe, so Projektleiterin Zeleny.
Für die Miete werden die bisherigen Werkstädter nach der Sanierung wohl tiefer in die Tasche greifen müssen. Die Mietpreisgestaltung sei «eine riesige Herausforderung», sagt Zeleny dazu. Ihr ist bewusst: An einem Ort, der Gewerbe, Start-ups, Innovationsbetriebe, Kreativwirtschaft oder auch die Kulturszene anziehen will, sind quartierübliche Mietpreisansätze nur limitiert anwendbar. Um- und Ausbauten würden deshalb von vornherein auf die jeweiligen Mieter abgestimmt. «Es bringt uns nichts, einfach etwas hinzustellen, und am Schluss können die Mieter es nicht bezahlen.»