13 Jahre im Sattel: Monika Estermann und Robert Spengeler umrundeten mit dem Velo die Welt. In Zürich erzählten sie von ihrem grossen Abenteuer.
Monika Estermann und Robert Spengeler wären an diesem Abend gerne etwas Velo gefahren. Die beiden, die sich selbst «Velocos» nennen, eine Mischung aus Velo und «Locos» – spanisch für Verrückte –, haben ausreichend Übung. 13 Jahre dauerte ihre Erdumrundung – immer im Sattel.
Von dieser Reise und ihren Abenteuern wollten sie kürzlich während einer kurzen Velotour im Rahmen der Aktion «Velo Mittwoch» erzählen. Die Tour hätte vom Gemeinschaftszentrum Wollishofen via Seebad Enge, Bürkliplatz und Bellevue bis zum Chinagarten führen sollen.
64 Länder durchquert
Allerdings machte ihnen der Regen einen Strich durch die Rechnung, und der Anlass fiel ins Wasser. Es kamen keine Teilnehmer mit dem Fahrrad. Zürcher Velofahrerinnen und Velofahrer scheinen wasserscheu zu sein. «Wir haben schon schlechteres Wetter erlebt», erzählte Estermann. «Weisst du noch, der Taifunausläufer im Süden Chinas?», fragte sie ihren Partner. «Velofahren bei schlechtem Wetter ist nicht schlimm, wenn man in Bewegung bleibt und nachher seine Kleider wechseln und trocknen kann», befand Spengeler. Sie hätten gelernt, sich auch in schwierigen Situationen anzupassen und sich durchzukämpfen, erwidert Estermann. Am Nachmittag waren die beiden Weltreisenden in Wollishofen für einen Vortrag zu Gast. Seit sie im November 2017 zurückgekehrt sind, zeigen sie immer wieder an verschiedenen Anlässen ihre Mutimediapräsentation. Die gelernte Malerin Estermann und der ausgebildete Elektroniker Spengeler starteten 2004 mit der Idee, in einem oder vielleicht zwei Jahren von der Schweiz nach Indien zu radeln. In Höngg ging es los, sie legten am Ende gut 100 000 Kilometer zurück. Estermann und Spengeler fuhren mit dem Velo durch 64 Länder und überquerten auf Schiffen drei Ozeane. Sie trotzten Sandstürmen in den Wüsten Sudans, erklommen mit dem schwer beladenen Velo den zweithöchsten befahrbaren Pass der Welt im Himalaja-Gebirge oder radelten nach Patagonien ins südlichste Dorf der Welt.
150 000 Fotos, unzählige Videos und noch viel mehr Erfahrungen brachten sie zurück. «Als Reisender ist man auch ein Botschafter», sagt Estermann. Früher zogen Händler durch das Land und brachten Neuigkeiten. «Wir waren in gewissen Gegenden der Welt wie eine Zeitung», so die 47-Jährige.
Kaum schlechte Erfahrungen
Während es heute sogenannte Influencer gibt, die sich ihre Weltreisedank Social-Media-Plattformen wie Instagram finanzieren, mussten sich die «Velocos» Alternativen suchen. Als langsam das Geld ausging, suchen sie deshalb in Kanada und den USA Arbeit. «Wir haben Tomaten geerntet, Äpfel gepflückt und Malerarbeiten ausgeführt», erinnert sich Estermann. Insgesamt arbeiteten sie ein Jahr lang, um sich die Weiterfahrt durch den ganzen amerikanischen Kontinent zu finanzieren. «Selbstvermarktung im Internet wäre nicht unser Stil gewesen», sagen beide. «Entweder bist du im Internet oder du reist.» Spengeler: «Wir wären dann nicht mehr unabhängig gewesen.»
Unverzichtbar war stets eine sorgfältige Planung. Schlechte Erfahrungen haben die Velo-Reisenden sehr selten gemacht. «Meistens wurden wir sehr freundlich empfangen und immer wieder direkt von der Strasse weg zu Menschen nach Hause eingeladen», sagt Estermann. «Wir haben meistens Routen ausgesucht, die über Berge führten und als sicher galten», so Spengeler. Sie vermieden wenn möglich Grossstädte und hörten auf die Ratschläge der Bevölkerung. «Man lernt, sich in gefährlichen Situationen richtig zu verhalten.» Einzig in Nicaragua seien ihnen beinahe die Fahrräder geklaut worden.
Manchmal waren die Warnungen aus der Bevölkerung aber auch unfreiwillig komisch. Die Bulgaren hätten sie beispielsweise vor den Rumänen gewarnt. Die Rumänen wiederum vor den Bulgaren. «Viele Vorurteile, die wir gegenüber fremden Ländern haben, sind unbegründet. Wir haben so viele herzensgute Menschen unterwegs getroffen, dass wir einfach an das Gute im Menschen glauben», erklärt Spengeler.
Vom Winter- und Sommerzelt über Kochutensilien bis zu Hygieneartikeln: Estermann und Spengeler hatten ihr Gepäck immer dabei. Es fand alles auf ihren 80 Kilogramm schweren Tourenrädern mit Sattel- und Lenkertaschen Platz. «Heute wäre mir das wahrscheinlich zu schwer», so der 55-Jährige lächelnd.
Übernachtet haben sie meistens im Zelt, manchmal in einer günstigen Unterkunft, oft in Schulen, Kirchen, Moscheen, buddhistischen Klöstern, bei Polizei und Feuerwehr oder bei netten Gastgebern zu Hause. Dann wurde auch gemeinsam gekocht. Estermann: «Und nicht nur in Mexiko kamen unser Züri-Geschnetzeltes, die Rösti und das selbstgebackene Brot gut an.»
Seit sie wieder zurück sind, arbeiten die beiden Velo-Verrückten dort, wo sie gebraucht werden. Sie absolvierten den Lehrgang zum Pflegehelfer des Schweizerischen Roten Kreuzes, halten Vorträge oder packen in Gasthäusern mit an. Bald zieht es sie weiter nach Frankreich, in die Normandie oder die Bretagne. Schon lange hegt das Paar den Traum, ein eigenes Guesthouse zu eröffnen.
Ende Juni oder Anfang Juli planen die «Velocos» nochmals eine kurze Velotour ums Zürcher Seebecken. Dann aber hoffentlich bei besserem Wetter und mit vielen Teilnehmenden. (pw.)