Der Betrag entspricht fast jenem für die Grundversicherungsprämien: Ein Drittel der Arztkosten ist privat finanziert. Die Krankenversicherer weisen zudem bei den Zusatzversicherungen – wo ein Wechsel für die Kunden ab 50 praktisch unmöglich ist – niedrige Schadenquoten und entsprechend hohe Umsatzrenditen aus. Doch der Markt droht zu kollabieren, weil sich die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen rasch ändern. Das zeigt die am 28. August in Bern präsentierte Comparis-Studie zum Markt der Krankenzusatzversicherungen.
Die steigenden Grundversicherungsprämien bieten alljährlich Stoff für hitzige Diskussionen. Doch tatsächlich zahlen Herr und Frau Schweizer fast ebenso viel privat an Gesundheitskosten. Und die Zahlungsbereitschaft ist gross. Eine Studie des Gesundheitsökonomen Pius Gyger im Auftrag des Online-Vergleichsdienstes comparis.ch zeigt: Von den total 80 Milliarden Franken Gesundheitsausgaben zahlten die Schweizer 2016 direkt aus dem eigenen Portemonnaie 24 Milliarden Franken. Davon entfielen 5,4 Milliarden Franken auf für die Versicherer hochprofitable Zusatzversicherungsleistungen. Besonders profitiert haben die Versicherer im stationären Bereich. Weil die Grundversicherung stetig ausgebaut, das Zusatzversicherungsangebot kaum den sich verändernden Kundenbedürfnissen angepasst wird und Kunden ab 50 nicht mehr wechseln, sondern nur noch aussteigen können, ist der Kundenbestand – trotz hoher Prämien – in den letzten Jahren konstant geblieben. Das Prämienvolumen stieg zwischen 2008 und 2016 sogar um 6 Prozent.
Ein Drittel der Arztleistungen zahlen Schweizer direkt
Von den 24 Milliarden Franken privat bezahlter Gesundheitsdienstleistungen entfielen fast 80 Prozent auf freiwillige Selbstzahlungen. Hier sind weitere rund 4,3 Milliarden Franken Kostenbeteiligungen an medizinische Leistungen zu Lasten der Sozialversicherungen nicht miteingerechnet.
In absoluten Zahlen betrachtet steht die Schweiz damit, zusammen mit den USA, bezüglich der privat finanzierten Gesundheitsausgaben pro Kopf weltweit an der Spitze. Mit relativ betrachteten 40 Prozent privater Finanzierung und 60 Prozent Zwangsabgaben liegt die Schweiz bei den Gesundheitsausgaben auf einer Linie mit Israel, Griechenland und Chile. In unseren Nachbarländern Deutschland und Frankreich wird mit je knapp über 15 Prozent deutlich weniger privat finanziert.
Seit 2012 wachsen die Ausgaben des privaten Marktes in der Schweiz etwa so wie die der Grundversicherung. Die Zahlen der Haushaltsbudgeterhebung (HABE) zeigen, wohin die privaten Beiträge fliessen: Mit 5,5 Milliarden Franken machen Pensions- und Betreuungskosten in Pflegeheimen einen wesentlichen Teil der direkt von den Privathaushalten gedeckten Kosten aus.
Weitere 3 Milliarden entfallen auf selbst bezahlte Arztleistungen. Bemerkenswert ist: Die durch die Grundversicherung gedeckten Arztleistungen machen demnach nur rund zwei Drittel der gesamten Arztkosten aus. Weitere 2,8 Milliarden Franken geben die Schweizer beim Zahnarzt aus und 1,6 Milliarden Franken für Medikamente.
Lukrative Zusatzversicherungen: Eine halbe Milliarde Franken Gewinn
Mit einem Anteil von rund 5,4 Milliarden Franken machten die Zusatzversicherungen 2016 rund 20 Prozent der privat finanzierten Gesundheitskosten aus. Dabei waren die Produkte für die Versicherungen deutlich lukrativer als für deren Kunden: Zwischen 2008 und 2016 sind die Prämieneinnahmen um 865 Millionen Franken auf 6,6 Milliarden Franken angewachsen. Die Schadenzahlungen haben demgegenüber nur um 353 Millionen Franken zugenommen (auf 4,7 Milliarden Franken). Das ergibt für die Branche ein sattes Plus von 512 Millionen Franken.
Besonders Produkte für den stationären Spitalaufenthalt haben sich für die Versicherer gesamthaft lukrativ entwickelt. Hier zeigt sich im Gegensatz zur Grundversicherung die schwache Marktmacht der Kunden: Ab 50 können Versicherte praktisch nicht mehr wechseln. So sind Groupe Mutuel mit einer Schadenquote 2008 bis 2016 von 56 Prozent vor ÖKK und Sympany mit je 57 Prozent die grössten Profiteure. Die beiden Marktführer Helsana (74 Prozent) und CSS (68 Prozent) befinden sich im Mittelfeld. Im ambulanten Bereich ist Assura mit einer Schadenquote von 30 Prozent absoluter Spitzenreiter vor Groupe Mutuel (48 Prozent) und Helsana (60 Prozent) und CSS (63 Prozent).
Die Zahl von klassischen Halbprivat- und Privatversicherten ist trotz der hohen Profitabilität für die Versicherer in den letzten Jahren konstant geblieben. Die Durchschnittsprämien pro Kopf der Bevölkerung sind seit 2008 sogar um 6 Prozent gestiegen. «Die Bedürfnisse der Bevölkerung gehen weit über die von der Grundversicherung gedeckten Leistungen hinaus. Die Zahlungsbereitschaft für Gesundheitsleistungen über das zwangsfinanzierte Angebot hinaus ist in der Schweiz immer noch hoch», so Studienautor Pius Gyger.
Versicherer müssen innovativer werden
Doch hier ist nach Ansicht von Comparis-Krankenkassen-Experte Felix Schneuwly dringend Innovation bei den Versicherern gefordert. Denn die rosigen Zeiten neigen sich rasch dem Ende zu: «Die Prämieneinnahmen aus stationären Zusatzversicherungen werden heute zu einem erheblichen Teil für die Finanzierung eigentlicher Pflichtleistungen der Grundversicherung und für staatlich finanzierungspflichtige Aufgaben wie Lehre und Forschung verwendet. Die Finma will das nun unterbinden», so Schneuwly.
Durch die Ambulantisierung der Akutmedizin gerieten die klassischen Spitalzusatzversicherungen zudem unter Druck. Denn mit günstigeren Flex-Versicherungen entscheiden die Versicherten von Fall zu Fall für oder gegen ein Upgrade in die halbprivate oder private Abteilung und sparten über die Jahre mehrere Zehntausend Franken.
Schneuwly vermisst dynamische Krankenversicherer, die zusammen mit innovativen medizinischen Leistungserbringern mit attraktiven Zusatzversicherungsprodukten frühzeitig auf die Verlagerung reagiert haben: «Wer für eine ambulante Operation den Komfort einer Halbprivat- oder Privatversicherung will, findet kaum entsprechende Zusatzversicherungen», gibt er zu bedenken.
Zusätzliches Handlungspotenzial sieht er beim Thema Pflegeversicherungsprodukte. Heute fristen Pflegeversicherungen in der Schweiz absolutes Nischendasein. «Die Produkte sind teuer und wenig auf die Bedürfnisse der Versicherten zugeschnitten», so Schneuwly. Die Studie zeige jedoch gerade in diesem Bereich ein grosses Potenzial für hochrentable, innovative Produkte. (pd.)