Am Fuss des Zürichbergs können seit einiger Zeit seltsame anmutende Gebilde an einem Ahornbaum beobachtet werden. Doch was hat es mit diesen Auswüchsen auf sich?
Hans-Peter Neukom
Seit einigen Jahren zeigt ein altehrwürdiger Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus) im Stadtkreis 7 seltsame, fächerförmig gestielte, kunstvoll anmutende Gebilde. Diese bilden sich jeweils im Frühjahr oder Sommeranfang im oberen Bereich seines Stammes. Entdeckt hatte diese Gebilde eine Spaziergängerin am Rand eines Gartens zum Sennhauserweg im Quartier Hottingen.
Laut Barbara Hausammann, der Besitzerin des Grundstückes, ist der Berg-Ahorn gut 100-jährig. Doch in den letzten Jahren habe die Vitalität des Ahorns stark nachgelassen. «Der Baum ist mir aber ans Herz gewachsen, und ich möchte ihn so lange wie möglich erhalten», sagt Hausammann. Erst letztes Jahr habe sie eine Expertise von einem Spezialisten der Zürcher Firma Matthias Brunner AG machen lassen. Daraufhin wurde ein Kronenpflegeschnitt mit Entnahme von totem und faulem Holz notwendig. Zusätzlich wurden die Hauptäste des Kronensatzes mit einer Kronenverankerung stabilisiert, um die Sicherheit von Passanten zu gewährleistet. «Jedes Jahr wird nun der Ahorn von einem Baumexperten der Firma kontrolliert», betont Hausammann.
Vielporig, schuppig und essbar
Doch was hat es mit den kunstvollen Auswüchsen am Berg-Ahorn auf sich? Pilzkundler und Baumdoktoren mussten nicht lange überlegen und erkannten dahinter einen veritablen Pilz. Beim näheren Betrachten lautete die einhellige Diagnose: «Polyporus squamosus», zu Deutsch «Schuppiger Stielporling». Seine Fruchtkörper können bis zu zwei Kilogramm schwer werden und eine Hutbreite von 60 Zentimetern erreichen. Der Riesenpilz mit seiner braun-schuppigen Hutoberfläche und seiner porigen Fruchtschicht auf der Hutunterseite erhielt seinen deutschen Namen aus der wörtlichen Übersetzung der lateinischen Bezeichnung. «Polyporus» heisst vielporig und «squamosus» bedeutet schuppig.
Die für ihn ebenfalls geläufige Bezeichnung Schwarzfuss-Porling erinnert dagegen daran, dass sein seitlich am Baum angewachsener Stil an der Basis oft schwarz berindet ist. Im jungen Stadium ist der Pilz sogar essbar. Mit zunehmendem Alter werden seine Fruchtkörper zäh und ungeniessbar. Ein weiteres Merkmal ist auch sein gurkenartiger Geruch.
Aggressive Weissfäule
Als Parasit wächst der Schuppige Stielporling einjährig, das heisst er bildet jedes Jahr neue Fruchtkörper, vor allem auf geschwächten, verletzten oder kranken Laubbäumen im Frühjahr. Die natürlichen Abwehrkräfte unseres älteren Berg-Ahorns sind also zu schwach geworden, um diesen Parasiten abzuwehren. Dem befallenen Baum entzieht der Pilz mit seinem im Holz vorhandenen Pilzgeflecht (Myzel) Wasser und Nährstoffe für das Wachstum seiner Fruchtkörper. Dadurch erzeugt er als Wundparasit eine aggressive Weissfäule. Dem Holz wird dabei der gelbliche Holzstoff Lignin entzogen, bis nur noch das weissliche Zellulosegerüst übrig bleibt. Die Weissfäule schädigt so das Kernholz und kann über die Jahre die mechanische Festigkeit des ganzen Baumes schwächen.
Diese mechanische Schwächung ist es auch, die oft ein notwendiges Fällen des von Pilzen befallenen Baumes nach sich zieht – vor allem wegen Bruchgefahr bei Sturm oder Schneefall. Übertriebene Trauer ist dabei allerdings nicht angebracht: Auch unser in die Jahre gekommener Ahorn kann sicher auf ein erlebnisreiches Leben zurückblicken.
Vorsicht bei befallenen Bäumen
Hobbygärtner und andere Baumfreunde, die in ihrem Garten oder in öffentlichen Anlagen auf einen solchen Pilzbefall stossen, brauchen deswegen nicht gleich in Panik zu verfallen und den betroffenen Baum zu fällen. Allerdings ist von einem wilden Sprühen mit Pilzgiften (Fungiziden) abzuraten. Zum einen erreichen die meisten aufgesprühten Pilzgifte den eigentlichen Pilz, der sich in Form seines Myzels tief im Innern des Stammes befindet, nicht. Die aussen sichtbaren Pilze oder «Schwämme» sind nämlich nur die Fruchtkörper, die ähnlich wie die Blüten der Laubbäume zur Vermehrung dienen. Zum anderen können nur Experten erkennen, ob die sichtbaren Pilzfruchtkörper nur ein Symptom einer bereits bestehenden Alters- oder Immunschwäche sind oder auf eine neue, bekämpfbare Krankheit hindeuten. Wichtig für den Grad der Gefährdung ist dabei der prozentuale Anteil des gesunden Restholzes oder der Restwandstärke, was nur Fachleute mit Spezialgeräten feststellen können.
Baumfreunde sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass die einmal von Pilzen befallenen Bäume keine besonders lange Lebenszeit mehr vor sich haben. Dort, wo Passanten, spielende Kinder oder der Verkehr etwa durch abbrechende Äste gefährdet werden könnten, ist besondere Vorsicht und eine Überwachung durch entsprechende Fachleute angezeigt.
Sicherheit geht vor
Grün Stadt Zürich (GSZ) unterhält rund 50 000 Bäume in öffentlichen Anlagen und 22 000 Bäume an Strassenrändern. «Jedes Jahr werden vor allem im Herbst mehrere Bäume ersetzt wegen Bruchgefahr durch Krankheit, Pilzbefall oder andere Schäden. Ein spezielles Augenmerk wird dabei auf Publikumslagen gerichtet», betont Hans-Jürg Bosshard von GSZ.
Die Baumspezialisten von GSZ kontrollieren insbesondere jeden Park- und Strassenbaum auf seine Sicherheit. Dies wird auch schriftlich festgehalten. Oft ist ein Befall mit Schadorganismen aber von aussen nicht sichtbar. Deshalb kann es trotz regelmässiger Kontrollen, vor allem bei fortgeschrittener Schädigung, zu spontanen Astbrüchen oder sogar zum Umstürzen einzelner Bäume kommen. So geschehen jüngst an der beliebten Flaniermeile am General-Guisan-Quai, als ein von Pilzbefall und Fäulnis geschwächter Trompetenbaum vom Sturm umgeworfen wurde.
Bei Bäumen auf Privatgrund liege die Verantwortung grundsätzlich beim Grundeigentümer. Bei Baugesuchen oder Bäumen unter Denkmalschutz sei vorgängig Grün Stadt Zürich beziehungsweise die Baubewilligungsbehörde zu konsultieren, sagt Bosshard.
Auskünfte bei Grün Stadt Zürich, Telefon 044 412 27 68. Mehr Infos unter: www.stadt-zuerich.ch/gsz-beratung.