Der Zürcher Regisseur Samir feierte kürzlich die Premiere seines neuen Films «Bagh-dad in My Shadow». Doch nicht nur seine Heimatstadt am Tigris, sondern auch den «Chreis Cheib» kennt der Filmemacher wie kaum ein anderer.
Samirs Thriller «Baghdad in My Shadow», der das Leben irakischer Migranten in London thematisiert, läuft derzeit in Schweizer Kinos. Vorpremiere feierte der Film im Kulturhaus Kosmos. In Anwesenheit zahlreicher geladener Gäste sowie der Hauptdarstellerin Zahraa Ghandour stellte der Filmemacher sein Werk vor. Dass der Film in jenem Kino laufen würde, an dem es Ende Juni zum grossen Eklat kam, störte den Regisseur jedoch nicht. «Ich habe eine Anerkennung als Filmemacher erhalten und war nicht als Kinobesitzer dort», so Samir. Auch über mögliche unangenehme Begegnungen machte er sich keine Sorgen. «Diejenigen, die ich nicht sehen wollte, sind auch nicht gekommen. Ausserdem war ich von Menschen umgeben, die den Film schauen wollten und meine Arbeit gut finden.» Wie es mit dem Kulturhaus weitergehe, sei aber noch ungewiss. «Es ist alles noch offen, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen», sagt Samir.
Vom Arbeiterviertel zum Hipsterquartier
Auch wenn Bagdad in seinen Filmen immer wieder eine wichtige Rolle spielt, bezeichnet Samir den Kreis 4 als seine Heimat. Gut 25 Jahre seines Lebens, von Mitte der 70er-Jahre bis Ende 90er-Jahre, habe er dort verbracht. «Es gibt kaum eine Strasse, an der ich nicht gewohnt habe.» Insgesamt hat der Filmemacher in rund einem Dutzend verschiedenen Wohngemeinschaften gewohnt und seine gesamte Jugendzeit im Aussersihl-Quartier verbracht. «Als ich meine Lehre bei Orell Füssli machte, gab es sonst kaum WGs in Zürich. Alles fand hier statt.» In den 70er-Jahren ging er auch in den besetzten Häusern an der Hellmutstrasse ein und aus, da seine Schwester dort wohnte. In den Stadtkreisen Kreisen 4 und 5 wohnten damals hauptsächlich Arbeiter, die in den Fabriken angestellt waren, und italienische Migrantenfamilien. «Der Kreis 4 war damals ein reines Italo-Quartier», erzählt Samir. «Man konnte aus seiner WG purzeln und nebenan war der Italoladen, bei dem man einzelne Mortadellastückchen kaufen konnte.» Auch das Milieu war zu dieser Zeit stark im Kreis 4 verortet. «Man kannte damals die Prostituierten alle persönlich», so Samir. Dieses Flair zeigt sich auch in seinem Film «Filou» aus dem Jahr 1987. Die Komödie zeigt das Leben des jungen Italieners Massimo, der zusammen mit einer Prostituierten in einer WG an der Langstrasse wohnt und sich durchs Leben schlängelt.
Weniger Diversität
Doch so wie damals in «Filou» ist der Kreis 4 schon lange nicht mehr. Seit Anfang der 90er-Jahre hat sich das Stadtquartier stark verändert – die Gentrifizierung hat auch vor dem Kreis 4 nicht halt gemacht. In den Genossenschaftswohnungen, in denen früher die Arbeiter wohnten, leben heute viele «Hipsterfamilien» und Kulturschaffende. Da die meisten Fabrikgebäude umfunktioniert wurden, sahen sich die Arbeiter gezwungen wegzuziehen. Samir gefällt das zwar nicht – er betrachtet dies als einen Prozess, der sich nicht aufhalten lässt – doch er bedauert es auch nicht. «Ich bin kein Nostalgiker», so der Regisseur. «Wir Aktivisten der alternativen Szene sind Teil dieser Gentrifizierung und sollten uns selbst an der Nase nehmen.» Der dörfliche Charakter, den das heutige Partyquartier damals hatte, habe auch Nachteile gehabt. «Es konnte unangenehm sein, wenn jeder einen kannte und einem reinreden wollte.»
Obwohl der Kreis 4 heutzutage multikultureller sei, habe man damals mehr Diversität gehabt. «Vieles ist heute ähnlicher geworden. Die hippen Coffeeshops oder die Türkenläden gleichen einander sehr stark», so Samir. Natürlich sei es aber auch schön, wenn man an jeder Ecke einen Kaffee trinken könne. «Früher wäre das undenkbar gewesen, alles war viel kleinteiliger.»
Auch wenn der Regisseur heute nicht mehr im Kreis 4 wohnt, ist er fast täglich dort – seine Filmproduktionsfirma Dschoint Venture befindet sich im Herzen des Langstrassenquartiers. (Laura Hohler, Text und Foto)