«Pfarrer müssen keine Heiligen sein»

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Im April beschäftigt sich die evangelisch-methodistische Kirche Küsnacht mit einem der einflussreichsten Schweizer Theologen: Karl Barth.

Stephan Johanus, eben war internationaler Tag der Frau. Karl Barth hatte mit seiner Ehefrau und seiner Geliebten in einem Haus gewohnt. Eine Scheidung hätte seine Frau aufgrund er damaligen Zeit schwer getroffen, seine Geliebte steuerte viel zu seinem Werk bei, erhielt dafür aber keine Anerkennung. Wie stünde seine Theologie heute zu diesem Verhältnis?
Das ist natürlich ein schwarzes Kapitel. Aber sie haben zu dritt einfach versucht, mit der Situation klarzukommen. Mit grosser Rücksicht auf Karl Barth. Aber da muss ich evangelischerweise einfach froh sein, dass wir Pfarrer keine Heiligen sein müssen, also ihre Schattenseiten haben dürfen und die Theologie trotzdem noch stimmt. Aber schauen Sie sich Luther oder Zwingli an, da findet man überall einen Hakenfuss, wenn man sucht. Von daher ist es vielleicht ganz gut, dass wir Pfarrer keine Heiligen sein müssen.

War Barth nicht ein widersprüchlicher Charakter? Er widmete sich dem Römerbrief, der Gehorsam gegenüber dem Staat fordert. Andererseits meinte er, in Hinblick auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten, es gebe unter Umständen eine nicht nur erlaubte, sondern göttlich geforderte Resistenz gegen die politische Macht.
Ja, Römer 13 ist natürlich eine schwierige Stelle. Aber die Theologen waren sich einig, dass man einem Staat, der sämtliche ethischen Grundsätze und moralischen Werte verlässt, keinen Gehorsam schuldig ist. Trotzdem waren die meisten Pfarrer gegenüber dem NS-Regime oft loyal, Römer 13 steckte denen ziemlich in den Knochen.

Nicht nur loyal, sondern lethargisch. Das machte Barth dem Christentum zum Vorwurf. Er kritisierte dessen Schweigen im Angesicht der NS-Zeit.
Genau. Und er war gegen das sogenannte Bindestrich-Christentum, also einem Glauben, der mit einer zusätzlichen Ideologie oder dem Zeitgeist gekoppelt wird. Beispielsweise Evangelium und Nation oder Glaube und Krieg. Da kommt die Barmer Theologische Erklärung von 1934 ins Spiel, bei der Barth federführend war und die heute in meiner Heimatkirche zur Bekenntnisgrundlage der Ordination von Pfarrern gehören kann. Darin heisst es, dass man mit seinem Gewissen als Christ niemand anderem gegenüber verpflichtet ist, als Jesus Christus alleine. Das war die Grundlage für den geistlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

War Barth auch Rebell? Er war oft dagegen: gegen die lethargische Kirche der NS-Zeit, gegen die Wiederbewaffnung der beiden deutschen Staaten, gegen den christlichen Antikommunismus.
Immer, immer. Und auch gegen die damalige Schweizer Position. Er wurde selbst vom Schweizer Geheimdienst überwacht. Es gab sogar eine Akte über Barth. Er wurde 1935 zurückgerufen aus Deutschland, nach Basel. Er hat den Führereid auf Hitler abgelehnt ...

Er wollte den Zusatz: «Soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann».
Das haben die Nazis aber nicht akzeptiert. Von Basel aus hat er weiter nach Deutschland hineingeballert, gegen Hitler, da war er kompromisslos. Die Schweiz befürchtete gar, wegen Barth könnte Nazideutschland die Schweiz doch noch einkassieren.

Das erste Amt hatte Barth in einer Arbeitergemeinde, wo er mit sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit konfrontiert war. Da habe er sich zu einem «religiös- sozialen» Pfarrer entwickelt. War blosse Theologie für ihn unzulänglich für weltliches Leid?
Total. In Safenwil konvertierte er quasi vom liberalen Theologen zum Wort-Gottes-Theologen.

Die liberale Theologie versucht, Religion auf einer rationalen Ebene zu betreiben und mit den Naturwissenschaften in Einklang zu bringen.
Genau. Da wird sozusagen Theologie auf der Ebene der Philosophie betrieben. Diese Theologie versteht die Bibel als ein Wort des Menschen über Gott. Karl Barth hat das ganze umgedreht und gesagt: Die Bibel ist ein Wort Gottes über den Menschen.

Er ging davon aus, dass der Mensch Gott nicht selbst erkennen kann.
Die liberalen Theologen gingen immer davon aus, dass der Mensch schon einen Bereich in sich selbst trägt, durch den er auf Gott kommt. Barth glaubte aber nicht, dass der Mensch von Grund auf ein eingebautes Sensorium für Gott hat. Es braucht dafür die Offenbarung.

Barths Ausbildung fusste aber in der liberalen Theologie?
Richtig. Es gab aber zwei Ereignisse, die Barth vom liberalen zum Wort- Gottes-Theologen gemacht haben. Das eine war in Safenwil mit den Arbeitern, bei denen er einfach nicht mehr wusste, was er im Angesicht deren Leids sagen sollte. Die liberale Theologie kam bei denen überhaupt nicht an. Die war eine Mischung aus Theologie und Philosophie, bei der man immer so ein bisschen abseits schwebte. Das klang wunderbar, aber es war nichts für den Alltag, nichts Greifbares, nichts Handfestes, nichts, das die Leute auch anpacken können. Er hatte selbst gemerkt, dass diese Art der Theologie einfach über die Köpfe der Leute ging.

Was war das zweite Ereignis?
Das sogenannte Manifest der 93, worin deutsche Intellektuelle, darunter viele Lehrer Barths, den Ersten Weltkrieg theologisch, also mit Gott, legitimierten. Das war für ihn ein theologischer Schock. Da hat er quasi einen Schlussstrich gezogen unter die liberale Theologie, da sie als Anhängsel einer politischen Ideologie missbraucht wurde.

Er hat sich gegen die Nazis eingesetzt, ist der SP beigetreten, war gegen den christlichen Antikommunismus und für einen gesamtdeutschen demokratischen Sozialismus: War er mehr Theologe oder Sozialdemokrat?
Natürlich war er mehr Theologe. Aber sicherlich war für ihn seit Safenwil klar, dass Theologie auch immer Politik ist. Mit Barth kann man auch sagen, dass jeder theologische Satz eine politische Implikation hat.

Gehört das dann nicht zu diesem Bindestrich- Christentum, das er ablehnte?
Nein, Bindestrich-Theologie heisst, dass die Theologie benutzt wird, um etwas anders damit zu koppeln. Aber man kann sich ja fragen, ob das Evangelium nicht prinzipiell politische Implikationen hat. Dass Jesus sich etwa für Arme, Aussätzige und Aussenseiter der Gesellschaft eingesetzt hat. Aber Barth hat auf alle Seiten geschossen. Er hat weder den Kapitalismus noch den Sozialismus vergöttlicht. Er war zwar religiöser Sozialist, aber er sah auch, dass etwa dieser Reich-Gottes-Gedanken, den einige religiöse Sozialisten hatten, ein anderer war als jener der Bibel.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, über Karl Barth zu referieren?
Ich muss natürlich immer schauen, was ich kann. Ich habe über Barth in meinem Studium meine Hauptseminararbeit geschrieben, mich also ziemlich stark mit ihm beschäftigt und auch stark mit ihm identifiziert. Als ich vor sieben Jahren in die Schweiz kam, da war ich also schon ein kleiner Fan von Barth. Es war aber ein bisschen enttäuschend, dass die Schweizer mit ihm nicht so viel anfangen können. Weltweit ist Barth so wichtig. Warum die Schweizer nicht stolzer sind auf ihn, verstehe ich nicht. Er hat unglaublich viel angestossen in der Theologie.

Barth wird sogar als ein Kirchenvater des 20. Jahrhunderts angesehen. Was hat er denn anders gemacht?
Er war ein Gegner der liberalen Theologie, die damals vorherrschend war. Er hat die Theologie quasi wieder auf die Beine gestellt, das heisst auf die Heilige Schrift. Er war gegen dieses Subjektive der liberalen Theologie und hat wieder angefangen, die Bibel und Jesus Christus ins Zentrum zu stellen. Diese liberale Theologie war auch eine Erfahrungstheologie, doch der Mensch macht immer nur die Erfahrungen, die er aufgrund seines eigenen Sensoriums, aufgrund der Struktur seines Denkens machen kann. Da dreht er sich also immer wieder im Kreis. Es braucht etwas von aussen.

Das war für ihn die Bibel?
Das ist die Bibel, das Wort Gottes. Deshalb nennt man ihn ja auch Wort-Gottes-Theologe oder einen Vertreter der Dialektischen Theologie. Man kann auch sagen, bei der liberalen Theologie oder der positiven Theologie war die Theologie immer Erbau und Beruhigung. Bei Karl Barth war es eine Beunruhigung oder ein In-Bewegung-Setzen des Menschen. Und das war schon was anderes.

Welche Relevanz hat denn Barths Theologie heute noch, was ist geblieben?
Geblieben ist etwa die Konzentration auf Jesus Christus, der Grundbaustein ist für die Kirche und die Theologie. Aber ich würde, vorsichtig, behaupten, dass Karl Barth heute auch wieder überholt ist. Er hat ja vieles aussenvorgelassen. Etwa Kultur und Kunst, die Schöpfungstheologie, wie sie bei Jürgen Moltmann oder Dorothee Sölle nachzulesen ist, oder die Sozialwissenschaften, die heute im Theologiestudium wichtige Rollen spielen. Mit seiner Kritik am Subjektivismus war Barth gewisserweise ein postmoderner Theologe. Diese Kritik und sein Gemeinschaftsgedanke sind heute sicher noch aktuell. (Fabio Lüdi)