Hans Ernis Kirchenfenster zierte zwölf Jahre lang den «Raum der Stille» im Einkaufszentrum Sihlcity. Nach Auflösung der Sihlcity-Kirche hat das Kunstwerk nun eine neue Heimat in der Paulus-Akademie gefunden.
2007 mit viel Euphorie gestartet, hat die Sihlcity-Kirche inzwischen still und leise ihre Tore wieder geschlossen. Das ökumenische Pionierprojekt, ein «Raum der Stille» mitten im geschäftigen Einkaufstempel, scheiterte an zu geringen Besucherzahlen. Vor gut einem Jahr wurde das seelsorgerlich betreute Angebot beendet und per Ende März 2020 auch der Mietvertrag aufgelöst. Einzelne mobile Einrichtungsgegenstände fanden unkompliziert im «Raum + Stille» des Glattzentrums neue Verwendung. Schwieriger gestaltete sich die Frage, was mit dem visuellen Prunkstück des interreligiösen Andachtsraums geschehen sollte – dem eingebauten Glasfenster, das der bekannte Luzerner Künstler Hans Erni (1909–2015) im Auftrag der Sihlcity-Kirche gestaltet hatte.
Fenster oder Bild?
«Wir wussten anfänglich nicht, wohin damit», sagt die Architektin Maria Decasper, Vorstands- und Baukommissionsmitglied im katholischen Stadtverband Zürich, auf Anfrage. Um einen neuen Standort zu finden, mussten zuerst innerhalb der Trägerschaft der Sihlcity-Kirche (Reformierte, Katholische und Christkatholische Kirche in Zürich) einige Dinge geklärt werden – vor allem die komplizierten Besitzverhältnisse. Inzwischen fungiert der Katholische Stadtverband als alleiniger Besitzer des Kunstwerks. Später stellte sich auch die Frage, ob die Glasmalerei, nach Ernis Entwürfen in einem renommierten Glasatelier im französischen Reims hergestellt, als Fenster oder als Bild erhalten werden sollte. Decasper: «Das gab wirklich grosse Diskussionen.» Seit kurzem nun befindet sich Ernis Glasfenster als Leihgabe am neuen Sitz der katholischen Paulus-Akademie an der Pfingstweidstrasse. Mit einer aufwendigen LED-Hinterleuchtung zum «Fensterbild» umfunktioniert, prägt es hier eindrücklich ein öffentlich zugängliches Foyer. Mit der neuen Inszenierung des Werks seien nun alle glücklich, bestätigt Decasper.
In der Tat harmoniert die farbige Glasmalerei nicht nur visuell mit den nüchternen architektonischen Raumstrukturen und der besonderen Deckenleuchte. Auch von ihrem symbolischen Gehalt her macht sie sich prima in einem Veranstaltungszentrum, das sich dem offenen Dialog verschrieben hat: «Begegnungen» heisst das Kunstwerk. Gemalt im typischen Hans-Erni-Stil mit all den geschwungenen Linien. Der Künstler unterteilte das Fenster von unten nach oben in die Zonen Wasser, Erde, Himmel und stellte darauf allerhand Begegnungen, kombiniert mit bekannten Motiven aus Mythologie und Religion, dar. Das Werk kann als friedliches Zusammenleben von Menschen verschiedenster Kulturen und Glaubenszugehörigkeiten, in Harmonie mit Flora und Fauna, gelesen werden. Ob nun etwa das zentral gesetzte Auge als «Gottes Auge» oder als «Spiegel der Seele» interpretiert wird, hängt vom Betrachter ab.
Dankbarer Künstler
Zu diesem Auge sei übrigens eine Anekdote aus der Entstehungszeit der Arbeit überliefert, erzählt Decasper. So habe Erni das Auge zuerst sehr viel grösser gemalt, was die Mitglieder der damaligen Baukommission stark irritierte – ebenso wie ein perspektivisch falsches Detail der beiden Hände darunter. Bei ihrem Besuch im Maleratelier trauten sich die Auftraggeber allerdings nicht, den schweizweit bekannten und geschätzten Künstler direkt zu kritisieren. Vielmehr setzten sie auf Ernis Lebenspartnerin als Vermittlerin. Und siehe da: Das Auge wurde kleiner, die Handstellung korrigiert.
Hans Erni selbst zeigte sich damals über die Glasfenster-Arbeit begeistert. Er sei dankbar, im hohen Alter noch so etwas machen zu können, liess er seine Auftraggeber wissen. Das habe etwas in ihm ausgelöst.