Marc Landolt leitet das älteste und grösste Weingut von Zürich in sechster Generation. Der 57-Jährige über die Auswirkungen des Coronavirus, warum Merlot-Trauben im Trend sind und weshalb er ehemalige Poststellen faszinierend findet.
Lorenz Steinmann
Weinhandlungen wie das schon 186-jährige Weingut Landolt mussten wegen Corona nie schliessen. Sie gelten als lebensnotwendig. Für den Besitzer und Geschäftsführer Marc Landolt ist das aber ein schwacher Trost. «Wir machen 80 Prozent unseres Umsatzes mit Lieferungen an Gastrounternehmen», so der 57-Jährige, der die Familienfirma in sechster Generation leitet. Wegen Corona ist dieser Handel komplett zusammengebrochen, denn alle Gastrobetriebe sind geschlossen. Normalität scheint noch Monate weit weg zu sein. Dazu kommt, dass die Landolt Weine ihren neuen Geschäftssitz an der Uetlibergstrasse 130 in Zürich-Binz just am Tag des allgemeinen Lockdowns am 16. März eröffnet hat. Es ist das Gebäude der alten Post Binz, wobei «alt» relativ ist. Die Liegenschaft ist erst gut 50 Jahre alt, eignet sich für eine Weinhandlung aber ganz passabel. «Es war Liebe auf den ersten Blick», strahlt Marc Landolt. Der ursprüngliche Postschalter-Grundriss ist noch erkennbar, mitten im Raum hats zudem einen kleinen Tresorraum, fast ganz aus Panzerglas, der jetzt Firmenbüro geworden ist. Die Fenstergitter hat man stehen gelassen. Eine grosse Lederpolstergruppe und die leichten, funktionellen Gestelle geben dem Ganzen einen hippen Touch. Ein bisschen erinnert der Auftritt an die umgebaute Sihlpost von Kultgastronom Rolf Hiltl. «Es ist eine Begegnungszone, eine loftmässige Vinothek», findet Landolt. Und ergänzt lachend: «Bei uns wird sicher nie eingebrochen.»
«Der Züri-Groove»
Zum Ambiente passt, dass die Weinetiketten fast komplett neu gestaltet wurden – von der renommierten Grafikerin Viola Zimmermann. Es sind beispielsweise vereinfachte Kartenausschnitte von den Rebberg-Orten, also Zürich mit dem Bürglihügel in der Enge, dem Sonneberg in Hottingen und der Burghalde in Riesbach. «Die Gestaltung vermittelt den Zürcher Groove», ist Landolt überzeugt. Dass Zimmermann ihr Atelier in der genossenschaftlichen Überbauung Kalkbreite hat, passt da irgendwie. Denn so, wie sich Zürich und die Gastroszene wandelt, muss sich auch der Anbieter wandeln. Landolt ist aber nach wie vor der grösste Weinproduzent von Zürich. Hauptkonkurrenten sind Zweifel in Höngg und das Wein- und Obsthaus Wegmann, ebenfalls in Höngg, sowie die Stadt Zürich. Dazu kommen Newcomer wie Smith & Smith an der Grubenstrasse, welche aber wie etwa Bindella in Zürich weder Reben anbauen noch keltern. Was Landolt genau genommen seit 2011 auch nicht mehr tut.
Man hat in Zweifel einen externen Kelterer gewählt. Grund dafür ist, dass die Familie Landolt damals im Zuge eines Generationenwechsels das riesige Firmengebäude an der Brandschenkestrasse verkaufte. Marc Landolt betont bezüglich Kelterung, dass man komplett selber bestimme, wie die eigenen Trauben gekeltert werden. So haben sie auch ihren eigenen Charakter erhalten. Zudem hatten die Landolts immer wieder eine gute Nase. So wird am Schiterberg in Kleinandelfingen seit den 1940er-Jahren der heute legendäre «Himmelsleiterli» angebaut. Das war darum speziell, weil damals und noch jahrzehntelang unrühmliche Weinkartelle und inländische Massenweine von minderer Qualität dominierten.
Klima sorgt für bessere Weine
Dass hiesige Tropfen immer besser werden, hat aber auch mit dem Klimawandel zu tun. Beispielsweise wäre es früher unmöglich gewesen, dass in Zürich Merlot-Trauben guten Wein ergeben. Vor zehn Jahren wagte Landolt das Experiment beim Pachtgebiet unterhalb des Burghölzli. Das Resultat sind Ernten mit einem sehr hohen Öchslegrad, also hoher Reife. Der 1834 Merlot Zweigelt ist dank 18 Monaten Lagerung im Eichenfass ein Charakterwein, der mundet wie ein klassischer, schwerer Wein. Dies ist immerhin ein Vorteil des Klimawandels. Doch die momentane Trockenheit gibt Marc Landolt zu denken. Gewässert werden vorerst aber lediglich die jungen Reben – «die älteren halten das schon aus», so der in Wädenswil ausgebildete Önologe.
Swisscanto lässt abreissen
Doch zurück zur Züglete der Landolt Weine. Der (gemietete) Firmensitz an der Bederstrasse – von der Brandschenkestrasse, wo man über 150 Jahre ansässig war – stand unter keinem guten Stern. Denn jenes Grundstück wurde kurz nach dem Einzug ebenfalls verkauft. Die Swisscanto, die Vorsorgestiftung der Kantonalbanken, will mehr Rendite aus dem Grundstück am Fusse des legendären Bürglihügels herausholen. Das markante Backsteingebäude, keine 40 Jahre alt, wird bald abgerissen, ebenso wie das Gärtnereigebäude daneben.
Nun hofft Marc Landolt auf mehr Glück und Beständigkeit am abermals neuen Ort. Die Liegenschaft mit dem neuen Firmensitz wird von der Firma Intershop verwaltet und gehört – dem Financier Martin Ebner. Landolt zuckt mit den Schultern. «Das kommt schon gut», sagt er. Er, der heute am Tag des Interviews eigentlich am Sechseläuten wäre. Als Mitglied und Fassküfer bei der Zunft zur Zimmerleuten. Fassküfer, das waren früher jene Leute, die eigenhändig Fässer machten und den Wein darin pflegten. «Dieser Lockdown, das hätte ich mir wirklich nie vorstellen können», sagt Landolt. Am meisten fehlt ihm in diesen Tagen der Kundenkontakt. Bleibt zu hoffen, dass die Corona-Krise dereinst lediglich eine Fussnote in der bald 200-jährigen Landolt-Firmengeschichte sein wird.
Torggel gezügelt
Wo ist eigentlich der 330-jährige Torggel, also die Weinpresse, die vor dem ehemaligen Firmensitz der Landolt Weine an der Brandschenkestrasse stand? Seit kurzem steht dieser Zeitzeuge in Kleinandelfingen im zürcherischen Weinland. Dort, wo Landolt den legendären «Himmelsleiterli» erntet. Übrigens ist Kleinandelfingen auch der Geburtsort von Elias Landolt (1821–1896), einem Verwandten von Marc Landolt. Auf Forstexperte Elias Landolt geht der Schutz des Schweizer Waldes zurück. (ls.)