Die Schweizer Mobilfunkanbieter treiben den Ausbau ihrer Netze zurzeit mit Hochdruck voran. Für sie steht fest: Der exponentiell wachsende mobile Datenkonsum stösst an die Grenze der Netzkapazitäten. Abhilfe verspricht neben der Erweiterung des bestehenden 3G- und 4G-Netzes vor allem die leistungsfähigere 5G-Technologie. Sie erfordert jedoch Tausende zusätzlicher Antennenstandorte. Die massive Aufrüstung verunsichert in der Bevölkerung. Stimmen aus Wissenschaft und Medizin warnen vor potenziell hohen Gesundheitsrisiken und verlangen einen Ausbaustopp für 5G. Auch auf lokaler Ebene steigen immer mehr Interessensgemeinschaften auf die Barrikaden gegen 5G. Gemäss den Angaben der Telekomfirmen sind mittlerweile 30 bis 50 Prozent der baubewilligungspflichtigen Projekte unter Opposition. Im letzten Juli zählte der Verein «Schutz vor Strahlung» schweizweit rund 1500 Einsprachen gegen geplante 5G-Antennen.
Politischer Druck gegen 5G
Von Gesundheitsrisiken durch 5G wollen die Telekomfirmen indes nichts wissen. Sie verweisen auf die strengen Schweizer Strahlengrenzwerte, die auch für 5G einzuhalten seien. Zudem, so monieren sie, werde dank der viel effizienteren 5G-Technologie die Strahlenbelastung der Bevölkerung insgesamt sogar eher abnehmen als zunehmen. Auch wenn der Bundesrat derzeit eine Lockerung der Strahlengrenzwerte ausschliesst: 5G-Kritiker befürchten trotzdem deren schleichende Aufweichung auf Druck der Netzbetreiber. Mit mehreren Volksinitiativen wollen sie nun politischen Gegendruck machen. Auch Kantone und Gemeinden proben hie und da den Aufstand. Für Aufsehen sorgten besonders die G5-Moratorien einiger Westschweizer Kantonsparlamente.
Allerdings stehen solche Moratorien rechtlich auf wackligen Füssen. Würden sie in Erlasse mit abweichenden Strahlengrenzwerten umgesetzt, wäre das kompetenzwidrig, warnt Bundesbern (s. Infobox rechts). In Zürich jedenfalls bleibt die Praxis bundeskonform – unbesehen des wachsenden Widerstands aus den Quartieren. «Das Bewilligungsverfahren ist eine hoheitliche Tätigkeit. Das heisst: Die Stadt ist verpflichtet, eine Bewilligung zu erteilen, wenn alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten sind», bestätigt das Hochbaudepartement (HBD) auf Anfrage. Dazu gehöre neben den eidgenössichen Immissions- und Anlagegrenzwerten auch das kantonale Bau- und Planungsgesetz.
Oft im Bagatellverfahren
Die Bewilligungsverfahren stehen allerdings auch unter Beschuss von 5G-Kritikern. Sie argwöhnen, dass Netzbetreiber mit 5G-Projekten in ihren Baugesuchsunterlagen zu kleine, realitätsfremde Sendeleistungen angeben und die Antennen zeitweise viel stärker strahlen als bewilligt. Bei der Stadt Zürich besteht man jedoch darauf: Die «Standortdatenblätter», auf denen Mobilfunkbetreiber nachweisen müssen, dass Anlagegrenzwerte eingehalten sind, würden im Bewilligungsverfahren umfassend überprüft. Zudem, so das HBD weiter, führe der Umwelt- und Gesundheitsschutz nach Inbetriebnahme der Anlagen «in der Regel» Messungen an den höchstbelasteten Orten durch.
Die Stadt behandelt nach eigenen Angaben jährlich rund 60 Baugesuche zu Mobilfunkanlagen, wobei es aktuell bei den Netzbetreibern eine «erhöhte Tätigkeit» gebe. Zahlen zu 5G-Bewilligungen sind jedoch keine erhältlich. Bewilligt würden nur Frequenzbän-
der – unabhängig von der zum Einsatz gelangenden Technologie, heisst die Begründung. Auch Sunrise und Salt wollen die Zahl ihrer 5G-Antennen in Zürich nicht beziffern. Nur Swisscom gibt auf Anfrage bekannt, auf Stadtgebiet habe man aktuell 116 Antennen mit Standard 5G+ in Betrieb.
Wer genau wissen will, wie viele 5G-Antennen mittlerweile in Zürich strahlen und wo, macht sich am besten auf der Übersichtskarte des Bundes schlau: Aktuell sind es 340. Viele von ihnen gingen ohne formelles Baugesuch in Betrieb – Stichwort «Bagatelländerung». Das 2013 von der kantonalen Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz ins Leben gerufene Konzept komme dann zum Zug, «wenn eine Anlageänderung keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Strahlungsimmissionen hat», erklärt das HBD. Auch hierbei müssten jedoch gewisse vordefinierte Kriterien eingehalten werden.
Verzögern, aber nicht verhindern
Genau solche «heimlichen» Antennenaufrüstungen (ohne Publikation im Amtsblatt, ohne Einspruchmöglichkeit) sind jedoch 5G-Kritikern ein besonderer Dorn im Auge. Die Praxis sei rechtlich mehr als fraglich, schreibt etwa der Verein «für ein strahlungsarmes Quartier Witikon» auf seiner Website. Auch der Witiker Verein «Mobilfunkantenne Eierbrecht» stellt fest, die Stadt handhabe die Auflagen an Telekomfirmen «eher freigebig».
In der Enge teilt man diese Meinung. «In zwei Jahren Auseinandersetzungen haben wir gelernt, wie parteiisch die Stadt zugunsten der Mobilfunkbetreiber agiert», sagt Martin Grueber, der sich zusammen mit 30 weiteren Anwohnern gegen eine neue Handyantenne an der Rossbergstrasse zur Wehr setzte. Ihr Einspruch wurde jedoch über zwei Instanzen hinweg abgelehnt, auf einen Gang vor Bundesgericht verzichten sie. Zurück bleiben Kosten um die 45 000 Franken.
Grueber ist aber überzeugt: «Man kann das Geld für Dümmeres ausgeben.» Immerhin habe man nun die Antenne zwei Jahre weniger lang ertragen müssen. Ihm ist bewusst: Mit Einsprachen lassen sich neue Mobilfunkantennen zwar verzögern, aber kaum verhindern. Der bessere Weg führe über die Sensibilisierung von Hausbesitzern. Auf diese Weise habe man in der äusseren Enge schon mehrere geplante Antennen «weggebracht», bilanziert Gruebers Mitstreiter Max Harmann.
Der Bund hat Anfang 2019 Mobilfunkfrequenzen für 5G an Swisscom, Sunrise und Salt vergeben. Seither schiessen 5G-Antennen wie Pilze aus den Dächern. Im Gleichschritt dazu wächst der Widerstand in der Bevölkerung. Auch in Zürich.
Hausbesitzer kassieren ab
Einfach sind solche Überzeugungsaktionen trotzdem nicht. Denn für Mobilfunkantennen auf ihren Dächern garnieren Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer von den Betreibern viel Geld. Ihm selbst seien 120 000 Franken angeboten worden, sagt Harmann, der selbst in Zürich ein Mehrfamilienhaus besitzt. «Das ist aber eher wenig, man hätte noch dealen können.» Auch die Stadt kassiere übrigens ab für Antennen auf ihren Gebäuden und Grundstücken, bemerkt Grueber spitz. Und zitiert eine Recherche des «Tages-Anzeigers», die ergab: Die Vermietung von Antennenflächen bringt der Stadt jährlich über zwei Millionen Franken. Auf Harmanns Liegenschaft indes kommt garantiert keine Antenne. «Ich könnte sonst nicht mehr ruhig schlafen», betont er. «Als Eigentümer trage ich doch auch Verantwortung gegenüber Hausbewohnern und Nachbarn, die sich im direkten Umfeld einer Mobilfunkantenne änstigen oder unwohl fühlen.»
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5G und was es kann
5G-Technologie verspricht Nutzern von 5G-fähigen Smartphones deutlich verbesserte Datenübertragungsraten. Besonders interessant erscheint das als schneller, effizienter und stabiler gepriesene 5G jedoch für industrielle und andere technologische Anwendungen der Zukunft: In der «Smart Factory», im «Internet der Dinge» kommunizieren vernetzte Geräte, Fahrzeuge und Maschinen untereinander und mit den Nutzern.
Zurzeit sendet die fünfte Mobilfunkgeneration jedoch noch im Bereich der bisherigen Mobilfunk- und WLAN-Frequenzen. Irgendwann soll 5G zwar auch in höheren Frequenzbereichen zur Anwendung kommen, Stichwort «Millimeterwellen. Bei der Frage, wie sich eine solche Strahlung auf den Menschen und seine Gesundheit auswirkt, besteht aber gemäss dem Bundsamt für Umwelt noch wissenschaftlicher Klärungsbedarf. Vorerst sei völlig unklar, wann und ob überhaupt Millimeterwellen in der Schweiz zur Anwendung gelangen werden. (mai.)