Feine Morchel oder giftige Lorchel?

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Die Morchelsaison ist auch auf städtischem Gebiet im Gang. Doch aufgepasst beim Sammeln. Verwechslungen zwischen der Morchel und der Lorchel können zu ernsthaften Vergiftungen führen. Dieses Jahr liess der Lenz auf sich warten. Noch gegen Ende März waren auch im Flachland Minustemperaturen und Schneefall zu verzeichnen. Wenn aber der Schnee endgültig geschmolzen ist, die Obstbäume uns mit ihren Blüten erfreuen und die ersten Aprilgewitter mit Blitz und Donner niedergehen, dann erwacht beim Pilzsammler das Morchelfieber. Den Blick nach unten gerichtet, streifen sie jeden Frühling Fluss- und Bachläufen entlang, pilgern an die Gestade bewaldeter Seeufer und in Auenwälder. Dies sind nämlich die bevorzugten Standorte der begehrten Delikatesse. Gemeint sind die bei Pilzgourmets hoch im Kurs stehenden Speise-Morchel (Morchella esculenta) und Spitz-Morchel (Morchella conica). Bereits konnten auch Mitglieder des Mykologischen Vereins für Pilzkunde Zürich an der Sihl und der Limmat sowie im Wehrenbachtobel, diese begehrten Speisepilze finden. Mehr geben sie allerdings nicht preis, denn die guten, begehrten Fundorte bleiben ihr Geheimnis.
Morchel versus Lorchel
Doch manchmal ist der Unterschied zwischen Gut und Böse bloss ein Buchstabe. So verwechseln unkundige Sammler leicht einmal die Speise-Morchel mit der giftigen Frühjahrs-Lorchel (Gyromitra esculenta). In den Regionen der Stadt wächst die Frühjahrs-Lorchel zwar selten, aber zur selben Jahreszeit und an ähnlichen Standorten. «Fast jeden Frühling bringen die Mitglieder des städtischen Pilzvereins Zürich unter anderen Frühjahrs-Lorcheln an ihre Bestimmungsabende mit. Liegen dann Morcheln und Lorcheln nebeneinander, fällt es schwer, dass diese beiden Arten verwechselt werden können», relativiert der Stadtzürcher Pilzkontrolleur Ralph Bigger. Doch wie unterscheidet der Experte die beiden Namensvetter? «An ihrer Hutform», erklärt Bigger. Die Frühjahrs-Lorchel besitzt nämlich eine unregelmässig wulstige, hirnartig gewundene Hutoberfläche mit rotbraunen Farbtönen. Die Hutoberfläche der Speise-Morchel ist dagegen eher ockerbräunlich und zeigt statt solchen Wülsten wabenartige (versenkte) Gruben, sogenannte Alveolen.
Tox Info Suisse registrierte seit 1996 zwar nur gerade 39 Anfragen, darunter 8 leichtere Vergiftungen (Brechdurchfälle und leichter Anstieg der Leberwerte) mit dieser Pilzart, sagt die Ärztin und Pilzexpertin Katharina Schenk-Jäger auf Anfrage. Vergiftungen in Westeuropa sind selten, treten aber vermehrt in Russland und Skandinavien auf, wo die Frühjahrs-Lorchel häufig vorkommt und auch vermarktet wird. Der Giftstoff kann nur durch eine besondere Zubereitung eliminiert werden. Doch selbst wenn eine solche Pilzvergiftung glimpflich endet, so bleibt sie ein scheussliches, lange Jahre prägendes Schmerz- und Angsterlebnis.
Die Pilzexperten Schenk-Jäger und Bigger empfehlen Sammlern daher, grundsätzlich ihre gesamte Morchelernte von einem Pilzkontrolleur prüfen zu lassen.
In der Schweiz verboten
Die Frühjahrs-Lorchel enthält den leicht flüchtigen und wasserlöslichen Giftstoff Gyromitrin. Erste Anzeichen einer Vergiftung sind Schwindelgefühle, Brechdurchfälle und Kopfschmerzen. Im weiteren Verlauf sind vor allem Schädigungen der Leber, der Nieren und des zentralen Nervensystems mit lebensbedrohlichen Folgen möglich. Um den Giftstoff vollständig zu zerstören, müssen sowohl frische als auch getrocknete Pilze vor der Zubereitung ein oder mehrmals abgekocht und das Brühwasser weggeschüttet werden. Doch Achtung: Selbst das Einatmen der Dämpfe beim Abkochen hat schon zu schweren Vergiftungen geführt. In Westeuropa und der Schweiz wurde deshalb der Handel mit frischen und getrockneten Frühjahrs-Lorcheln schon vor über 25 Jahren verboten. In Finnland und Russland jedoch gilt der Giftpilz als Delikatesse und wird auf Märkten angeboten. Mit Zubereitungshinweisen wie «ein oder mehrmaliges Abbrühen erforderlich» oder «vorsichtiger Genuss» wird versucht, die Frühjahrs-Lorchel der heimischen Küche zu erhalten. Hans-Peter Neukom