Der Historiker Joseph Jung beschäftigt sich seit vier Jahrzehnten mit Alfred Escher. Heute Donnerstag erscheint sein neues Buch.
Er war Eisenbahnpionier, Unternehmer, Politiker und Visionär. Die ETH, die Credit Suisse, die Swiss Life und die Gotthardbahn gehören zu seinem Werk. Alfred Escher, der vor 200 Jahren geboren wurde und heuer gefeiert wird, darf als wichtigste Zürcher Persönlichkeit bezeichnet werden. Heute Donnerstag erscheint das neue Buch «Alfred Escher – Visionär, Grossbürger, Wirtschaftsführer».
Geschrieben hat es der Escher-Biograf Joseph Jung.
Der langjährige Geschäftsführer und Leiter Forschung der Alfred-Escher-Stiftung kennt sich aus. Er hat schon verschiedene Bücher über Escher veröffentlicht: «Ich beschäftige mich bereits während rund vier Jahrzehnten mit Alfred Escher und seiner Familie», erzählt Jung im Gespräch. Das Thema sei ihm trotzdem nicht verleidet. «Das liegt nicht nur an der Person, sondern auch an der Epoche, in der Escher gewirkt hat», führt der Historiker aus.
Phänomen Escher erklären
Jungs Forschungsgebiet ist das 19. Jahrhundert. Mit dem Wirken Eschers könne er verschiedene Phänomene dieser Zeit besser erklären. «Es gibt immer wieder neue Erkenntnisse, weil man Themen aus einer anderen Perspektive interpretiert», sagt Jung. Das fasziniere ihn. In seinem neusten Werk beleuchtet der Historiker nun die persönliche Motivation Eschers. «Seine Liebe zu Zürich war entscheidend für ihn, aber auch seine Identifikation mit der Schweiz. Es ist ihm um sein Heimatland gegangen», ist der 64-Jährige überzeugt. Escher, der 1882 starb, sei der letzte Grossbürger Zürichs gewesen, vielleicht Zürichs einziger. Das Buch «Alfred Escher – Visionär, Grossbürger, Wirtschaftsführer» versucht auf gut 120 Seiten, dem Leser das Phänomen Escher näher zu bringen.
«Escher war ein Grosskapitalist», sagt Jung, der bis 2014 als Chefhistoriker der Credit Suisse gearbeitet hat. Wäre er das nicht gewesen, hätte er seine Ziele nicht erreichen können. «Escher war nicht auf einen Monatslohn angewiesen oder die Gunst seiner Wähler. So konnte er auch unbequeme Entscheidungen fällen», führt Jung aus. Eschers Ämterkumulation führte schon zu seinen Lebzeiten zu Kritik. Er war unter anderem Regierungsrat, Kantonsrat, Nationalrat und präsidierte die Verwaltungsräte der Schweizerischen Nordostbahn sowie der Schweizerischen Kreditanstalt, die heutige Credit Suisse. Wegen dieser Machtfülle wurde Alfred Escher mit «König Alfred I.» betitelt. So entwickelte sich Escher zum Feindbild der Demokraten, der damaligen politischen Gegenbewegung zur radikalliberalen Partei. «Heute ist es gar nicht mehr möglich, dass jemand zeitgleich Regierungsrat und Kantonsrat ist», sagt Jung.
Aufarbeitung ist wichtig
Ein heikles Thema, das im Buch ebenfalls erwähnt wird, ist die Plantage, die Eschers Onkel auf Kuba besass. Der Onkel hatte Sklaven. «Alfred Escher war nie auf Kuba und hatte mit dieser Plantage nichts zu tun», erklärt Jung, der als bester Escher-Kenner gilt. Wovon sich Jung vor allem distanziert, ist der Vorwurf, der Landsitz «Belvoir» im Quartier Enge sei mit Sklavengeld aus Kuba erbaut worden. «Das ist falsch», betont er. «Die Familie Escher ist 1831 ins ‹Belvoir› eingezogen. Die kubanische Erbschaft wurde erst Ende der 1840er Jahre relevant.» Diese Vorwürfe seien schon im 19. Jahrhundert propagandistisch von Eschers Gegnern gestreut worden. Jung: «Aber ich finde es richtig und wichtig, das Thema wissenschaftlich aufzuarbeiten.» (pw.)
Joseph Jung: Alfred Escher – Visionär, Grossbürger, Wirtschaftsführer. pioniere.ch