Um praktizierenden Jüdinnen und Juden am Schabbat gewisse Tätigkeiten zu ermöglichen, wie das Benützen eines Rollstuhls, ist im Gebiet Enge, Wollishofen, Wiedikon ein Eruv geplant.
In Metropolen wie Amsterdam, London, Antwerpen, Manchester, Paris, Venedig, Wien, im New Yorker Stadtteil Manhattan und natürlich in ganz Israel existieren bereits Eruvim. Bei einem Eruv handelt es sich um eine Zone, in der am Schabbat den praktizierenden Jüdinnen und Juden eine gewisse Bewegungsfreiheit gewährt wird. Diese Zone wird als Verlauf um ein Gebiet innerhalb der Stadt definiert, durch eine auf ungefähr zehn Metern Höhe montierte Nylonschnur und durch das symbolische Verwenden von bereits bestehenden Zäunen oder Mauern.
Praktizierende Jüdinnen und Juden feiern den Schabbat, den Tag des Herrn, mit Beten und Singen. Arbeiten ist verboten. Das Tragen von Gegenständen im öffentlichen Raum wie Handtaschen, Schirmen, Taschentüchern, Schlüsseln und vieles mehr ist ebenfalls nicht gestattet. Innerhalb des Eruvs hingegen sind diese Tätigkeiten erlaubt, auch dürfen Kinderwagen, Gehhilfen oder Rollstühle benützt werden. Diese Privilegien erleichtern der jüdischen Gemeinschaft das Leben am Ruhetag, der jeweils Freitagabend vor Sonnenuntergang bis Samstagabend nach Einbruch der Dunkelheit dauert.
Idee stiess auf grosses Interesse
In der Enge, in Wiedikon und Wollishofen leben viele jüdisch-orthodoxe Familien. Der Plan zur Einführung eines Eruvs besteht schon lange, wurde jedoch bis anhin nicht umgesetzt. Vor zweieinhalb Jahren hatten sich die beiden Mitglieder der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ), Cédric und Naomi Bollag, Eltern dreier Kinder, dieses Projekts angenommen und sich mit der Idee an Vorstand und Rabbinat der verschiedenen jüdischen Gemeinden in Zürich gewendet. Lokalinfo traf Cédric Bollag und fragte nach der Motivation des Engagements: «Wir wollten uns für die jüdische Gemeinschaft engagieren und starteten eine Umfrage bezüglich eines Eruvs für Zürich über WhatsApp», erzählte Bollag. Das Interesse sei enorm gewesen. «Wir hatten mehr als 200 Anmeldungen von Leuten, die aktiv mithelfen wollten. Inzwischen sind wir ein Team von 40 Freiwilligen.»
Unterstützung aus Manchester
«Entscheidend für uns war, dass nicht nur religiöse Jüdinnen und Juden sich für das Projekt begeistern, sondern dass auch alle jüdischen Gemeinden in Zürich – orthodoxe und liberale – dahinterstehen», freute sich Bollag. «Wir sind im regelmässigen Austausch mit Rabbiner Avigdor Grossberger aus Manchester, der uns als Spezialist in Sachen Vorbereitung und Unterhalt berät, verfügt Grossberger doch über langjährige Erfahrung mit dem dortigen Eruv.»
Das Zürcher Architekturbüro Merkli Degen Architekten GmbH wurde mit dem Projekt beauftragt. «Wir sind vor zwei Jahren mit unserem Konzept vor den Gesamtstadtrat getreten. Vor einem Monat entschied der Stadtrat, dass der Zürcher Eruv als Bauprojekt eingestuft wird. Und da keine technischen oder juristische Einwände dagegen sprechen, können wir nun die entsprechenden Baugesuche einreichen», so Bollag. Wie lange die einzelnen Bewilligungen brauchen werden, sei schwer vorauszusagen.
Auf den Einwand, es könnten sich eventuell Vögel oder Fledermäuse im Faden verfangen, entgegnete er: «Es wurde eine Ämtervernehmlassung durchgeführt, und es ist nichts diesbezüglich beanstandet worden.» Eine der vielen Vorgaben sei, dass die getroffenen Massnahmen möglichst gut ins Stadtbild integriert werden. Auf einer Länge von 18 Kilometern um ein Gebiet von 14 Quadratkilometern werden die Lücken zwischen den Häusern und Mauern durch einen Nylonfaden gefüllt. Der Plan für diesen Eruv werde nicht willkürlich festgelegt, sondern man sei bemüht, möglichst alle in Zürich lebenden jüdisch-orthodoxen Familien einzubeziehen. Damit sich die Gläubigen über den genauen Verlauf des Eruvs orientieren können, wird dieser online publiziert werden. Momentan gebe es noch keinen Plan zur Veröffentlichung.
Kosten auf 1 Million geschätzt
Eine von lokalen Rabbinern bestimmte Person wird jeden Donnerstag oder jeden Freitagmorgen unter Aufsicht des Rabbiners die ganze Strecke abfahren, um sicherzugehen, dass die einzelnen Massnahmen nicht beschädigt – also koscher – sind. Wird ein Schaden festgestellt, wird dieser von Handwerkern sofort behoben. Cédric Bollag rechnet mit Kosten von etwa einer Million Franken für den Aufbau des Eruvs und mit einem geschätzten Aufwand von 40 000 Franken jährlich für den Unterhalt, die allesamt privat finanziert werden.
Wer nicht weiss, was ein Eruv ist, wird den gespannten Faden nicht bemerken, da dieser durchsichtig und auf etwa zehn Metern Höhe angebracht ist. Es existiert nämlich seit den 90er-Jahren bereits ein kleiner Eruv in der Enge: Zwei Fäden schliessen die Lücken für einen «Mini- Eruv» um die Synagoge an der Freigutstrasse.