Über 1000 Leute kandidieren für den Gemeinderat. Darunter sind bekannte Namen, die durchaus in die Stadtzürcher Politik wollen, aber auch altgediente Politprofis und Quartiergrössen, die vor allem Parteistimmen holen sollen.
Von den 1075 Kandidierenden für den Gemeinderat gibt es einige Kategorien. Einmal die Etablierten, die schon im Rat sitzen. Dann durchaus bekannten Namen, die Chancen auf einen Sitz haben. Und immer wieder zu finden sind zudem jene Politvertreterinnen und Politvertreter, die von hinteren Listenplätzen vor allem Parteistimmen holen sollen.
Zwei Profiredner und ein Landwirt
Zu den Neukandidaten mit einem gewissen Kultstatus gehören der ehemalige Radio- und TV-Moderator und heutige Pflegefachmann HF Patrick Hässig (GLP), der Poetry-Slammer Etrit Hasler (SP), bis vor kurzem Politiker in St. Gallen, sowie der Landwirt Albert Schumacher (SVP) aus Zürich-Affoltern. Mit seiner Frau Sandra bewirtschaftet er den Hof an der Katzenseestrasse in sechster Generation. Diese Zeitung hat bei ihnen nachgefragt.
«Tempo 30 ist katastrophal»
«Herr Schumacher, Sie kandidieren auf Platz 21 auf der SVP-Liste im Kreis 11. Da haben Sie wohl wenig Chancen?» – «Das ist mir recht so. Ich kandiere zum dritten Mal. Vor 16 Jahren reichte es fast, obwohl ich ebenfalls weit hinten platziert war.» Damals habe er Flyer verteilt und daher hätten ihn viele gewählt. «Als Lohnunternehmer mit eigenem Landmaschinenpark hätte ich in der Hochsaison die Zeit sowieso nicht», sagt Schumacher entwaffnend ehrlich. Im Winter kommen Schneeräumungsfahrten für die Stadt hinzu. Diese schätzt die Stadt deswegen, weil er mit seinem Traktor so wendig ist. Doch sonst ist Schumacher mit der Verkehrspolitik in Zürich gar nicht zufrieden. «Überall Tempo 30 ist eine Katastrophe», urteilt er. Dagegen würde er sich einsetzen, wenn er denn – theoretisch – im Gemeinderat sitzen würde.
Das wahre Zugpferd
In der SVP ist er seit 17 Jahren, angefragt hat ihn das Affoltemer Urgestein Theo Hauri – das übrigens weit hinten auf der SVP-Liste ebenfalls kandiert. Schumacher wäre der einzige Landwirt im Parlament. Darauf angesprochen, dass er damit den gleichen Beruf hat, wie ihn Christoph Blocher ursprünglich gelernt hat, hat ihn aber noch niemand. Apropos Zugpferd. Als wohl einziger Kandidat hat er tatsächlich zwei Pferde im eigenen Stall. Sie gehören aber seiner Gattin Sabine.
Keine Polit-Fremdsprache
Weiter zu Patrick Hässig: «Sie haben sich für die Pflegeinitiative starkgemacht. Wurden Sie durch Ihre Zweitausbildung politisiert?» – «Nein. Ich war schon immer sehr an der Politik interessiert. Ich habe aber die zahlreichen Debatten im Zusammenhang mit der Pflegeinitiative verfolgt und mir wurde klar, es ist (zu) viel einfach nur parteipolitisches Blabla.» – «Sie wissen als Moderator, was ankommt beim Publikum, wie könnte der Gemeinderat seine Abläufe aufpeppen, damit sich mehr Menschen für jene Politgeschäfte interessieren?» – «Viele Politikerinnen sprechen eine Art ‹Fremdsprache›, wenn sie sich über politische Geschäfte äussern. Ich bin der Meinung, dass man weg muss von Fachbegriffen, Fremdwörtern oder Abkürzungen. Ich wünsche mir eine Sprache, wie man sie mit einer Kollegin an der Bushaltestelle wählen würde. Oder während des Mittagessens mit einem guten Freund», sagt Hässig. Er hat zudem festgestellt, dass die mediale Berichterstattung aus dem Gemeinderat in den letzten Jahren stark abgenommen habe. «Schade eigentlich», findet Hässig. Nicht unbedingt einverstanden ist er mit der Wahrnehmung, dass das Gebiet Zürich Nord von der Stadtzürcher Politik meist eher politisch links liegengelassen wird: «Das empfinde ich aber nicht so. Aber wenn es für einige so scheinen mag, braucht es vielleicht noch einen starken Gemeinderat mehr, der aus dem Kreis 11 ist», sagt der 42-Jährige lachend.
Ebenfalls geübt, vor Publikum zu sprechen, ist Etrit Hasler. Der Poetry-Slammer mit St. Galler Dialekt ist der Liebe wegen nach Zürich gezogen. «Und ich werde schon auch langsam ein bisschen zu alt für Fahrten mit dem Nachtzug in den ‹Nahen Osten› nach einem Auftritt», sagt Hasler. Für ihn, der lange ein Legislativ-Mandat in St. Gallen innehatte, war Pendeln keine Option: «Ich bin überzeugt, dass man dort Politik machen sollte, wo man auch tatsächlich lebt.»
Konkurrenz für «Züri-Schnurre»?
Hasler hätte in Zürich sicher auch in die AL gepasst, ist der 43-Jährige überzeugt. «Aber ich glaube daran, dass die SP eine Partei ist, die von internen Auseinandersetzungen lebt und lernt.» Hasler galt als Schnellredner im St. Galler Parlament.
«Wollen Sie nun der typischen ‹Züri-Schnurre›-Paroli bieten?» Hasler winkt ab: «Im St. Galler Parlament wurde auf Hochdeutsch beraten, was auch meine Auftrittssprache als Slam-Poet ist. Aber ich kann mir auch auf Schweizerdeutsch Gehör verschaffen – und mindestens so schnell. Wobei es dazu vielleicht zu sagen gibt: Schnellreden kann auch kontraproduktiv sein, aber ich denke leider so schnell, wie ich rede.» Hasler ist zudem am Rande noch journalistisch tätig. Schreibt er nun fürs «P.S.»? – «Bisher hatte ich noch keine Anfrage vom ‹P.S.›, aber ich schreibe eigentlich auch nicht mehr journalistisch, sondern nur noch als Kolumnist, zuletzt über Sport bei der WOZ.»
Nationalrätin und VPOD-Chefin
Illustre Namen findet man auf den Wahllisten 2022 weniger als auch schon. Nationalrätin und VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber fällt auf. Sie ist die einzige Nationalrätin in Zürich, die auch in den Stadtzürcher Gemeinderat möchte, zumindest theoretisch. Sie steht auf Listenplatz 15 bei den Grünen des Wahlkreises 9. Gerade hinter ihr tritt Schriftsteller Thomas Meyer an, ihn kennt man als Autor von «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» und als «Sonntags-Blick»-Kolumnist.
«Tibits»-Gastronom, Formel-E-Macher
Bei der FDP sind als Zugpferde erkennbar: Frei Daniel, «Tibits»-Gastronom, und auch der umtriebige Schwamendinger Roger Tognella, der die Formel E nach Zürich geholt hat. Bei der SVP kann man als Aushängeschild Kantonsrat Ueli Bamert bezeichnen, Geschäftsführer von Swissoil. Bei der GLP Dubno Samuel, der 2014 für die GLP als Stadtrat kandidierte. Bei der AL sind es immer wiederkehrend Kosmos-Mitbegründer Samir sowie Regisseur Paul Riniker. Bei «Die Mitte» Nicole Barandun, Präsidentin Gewerbeverband Stadt Zürich. Sie stellen ihren Namen vor allem zur Verfügung, um ihrer Partei zu helfen.