Jacques Lande, der neue Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich, wünscht sich Kontinuität. Und er will das Bestreben, die Gemeinde für nichtjüdische Angehörige zu öffnen, aktiv umsetzen.
Jeannette Gerber
Die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) vom 4. Dezember wählte ihren neuen Präsidenten: Jacques Lande. Er löst Shella Kertész ab, die erste weibliche Präsidentin der mehr als 150 Jahre alten Gemeinde. Auf die Frage, ob es keine Gegenstimmen gegeben habe, antwortete Lande lakonisch: «Niemand wollte diese Aufgabe freiwillig übernehmen, ich zuerst auch nicht.» Doch dann entschied er sich, die Aufgabe doch anzupacken, worüber die Wahlvorbereitungskommission erleichtert war. Lande lebt seit 1975 im Kreis 2, zuerst in der Enge und heute in Wollishofen. Er ist pensionierter Banker und Vater von vier erwachsenen Kindern.
Grösste jüdische Gemeinde der Schweiz
Ab Januar wird Jacques Lande für über 2500 erwachsene Gemeindemitglieder und ihre Kinder verantwortlich sein. Die ICZ an der Lavaterstrasse in der Enge ist die grösste jüdische Gemeinde in der Schweiz. In Zürich gibt es vier jüdische Gemeinden. Davon sind zwei öffentlich-rechtlich anerkannte Gemeinden: die Israelitische Cultusgemeinde und die Jüdisch Liberale Gemeinde Or Chadasch. Zudem gibt es zwei ultraorthodoxe Gemeinden. Die ICZ ist eine sogenannte Einheitsgemeinde, die Mitglieder jeder religiöser Schattierung aufnimmt.
Lande selbst bezeichnet sich als modern-orthodox, das heisst, er hält sich an die religiösen Gesetze wie zum Beispiel koscher essen und Schabet als Ruhetag einhalten. Doch möchte er sich der Umwelt nicht verschliessen: «Ich will das bereits bestehende Bestreben zur Öffnung der Gemeinde auch für die nichtjüdischen Angehörigen von Mitgliedern aktiv umsetzen.» Nichtjüdische Ehepartner und Kinder dürfen heute schon an Versammlungen teilnehmen und sich auch einbringen, sie sind aber keine Gemeindemitglieder. Sie sind lediglich «Freunde der Gemeinde». Die Kinder nichtjüdischer Mütter können den Kindergarten und den Religionsunterricht besuchen. «Mit der Öffnung gegenüber nichtjüdischen Partnerinnen und Partnern versuchen wir zu verhindern, dass Mitglieder aus der Gemeinde austreten», so Lande. «Der stetige Schwund von Mitgliedern wie in den Landeskirchen macht auch vor den Synagogen kein Halt.»
Rücktritt aus QV-Vorstand
Ein grosser Streitpunkt der Gemeinde war das Betreiben des hausinternen Restaurants Olive Garden. Das seit Jahren durch die aufwendige koschere Essenszubereitung und die teuren koscheren Lebensmittel defizitäre Restaurant konnte per Januar an die Schalom Aircatering AG verpachtet werden, die es unter dem neuen Namen «Florentin» weiterführen wird. Somit ist dieses finanzielle Problem inzwischen Geschichte.
«Ich werde bestrebt sein, die erfolgreiche Arbeit meiner Vorgängerin und Vorgänger weiterzuführen», betonte Jacques Lande. Die ICZ organisiert Gottesdienste, betreibt eigene Religionsschulen und Kindergärten, offeriert ein eigenes Kulturprogramm, unterstützt Bedürftige und kümmert sich um zwei Friedhöfe und eine Bibliothek. Womit sehr viel Arbeit auf Lande zukommt. Deshalb ergänzte er: «Ich werde alle meine sonstigen Verpflichtungen aufgeben, wie unter anderem die Vorstandsmitgliedschaft im Quartierverein Wollishofen und das Präsidium des Minjan Wollishofen.»
Ein Minjan ist eine Betgemeinde. Im Judentum ist das Quorum von zehn oder mehr mündigen jüdischen Männern nötig, um einen Gottesdienst abzuhalten. Nur in den liberalen Gemeinden zählen auch Frauen zum Quorum. In der Regel findet der Gottesdienst in einer Synagoge statt. Angesichts der oft grossen Distanzen, die die Gemeindemitglieder am Schabet zu Fuss gehen müssen, haben sich in der ganzen Stadt kleine Gebetsräume gebildet – eben die Minjanim.
Doch auf eines seiner Hobbys wird Jacques Lande auch in Zukunft nicht verzichten. Er reist fürs Leben gerne und wenn möglich oft. Eben ist er von einer vierwöchigen Rundreise durch Südamerika zurückgekommen. Auch das Skifahren wird er nicht aufgeben. Und er hat einen Traum: Er wünscht sich eine Einheitsgemeinde für die heute in Zürich lebenden rund 6000 Jüdinnen und Juden mit den aktuellen 20 bis 30 Synagogen. Doch das werde wohl ein Traum bleiben.