«Blamage für grösste Stadt der Schweiz»

Erstellt von Karin Steiner |
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Im amtierenden Stadtrat sitzen sieben Männer und nur zwei Frauen. Warum dieses Missverhältnis? Sind gemischtere Teams nicht erfolgreicher? Diese Zeitung hat sich mit den Stadtratskandidatinnen Serap Kahriman (GLP), Simone Brander (SP) und Sonja Rueff-Frenkel (FDP) darüber unterhalten.

Der aktuelle Stadtrat besteht aus sieben Männern und zwei Frauen. Was halten Sie von dieser Verteilung?

Sonja Rueff-Frenkel: Das ist ganz einfach eine Blamage für die vermeintlich fortschrittlichste Stadt der Schweiz. Das ­entspricht ganz einfach nicht der Bevöl­kerung und ist nicht zeitgemäss.

Simone Brander und Serap Kahriman: Dem können wir uns nur anschliessen.

Woran kann das liegen?

Serap Kahriman: Es gibt verschiedene Gründe. Zum einen geht es um die Vorbildfunktion. Je mehr Frauen in einem Gremium sind, umso mehr ziehen nach.  Zurzeit ist dies das grösste Problem, dass wir zu wenige weibliche Vorbilder haben.

Sonja Rueff-Frenkel: Manche Stadträte sind seit 12, 16 Jahren im Stadtrat. Wenn kein Sitz frei wird, können auch keine Frauen nachrutschen.

Simone Brander: Es liegt auch daran, dass wir schon im Gemeinderat viel weniger Frauen sind. Auch innerhalb der ­Parteien gibt es oft ein krasses Ungleich­gewicht. Wenn es an der Basis an Frauen fehlt, wird es für Exekutivämter noch viel schwieriger.

Liegt es an den Frauen, die sich zu wenig für solche Ämter interessieren? Oder ­haben sie zu wenig Mut dafür?

Sonja Rueff-Frenkel: Nein, ich glaube nicht, dass sich Frauen zu wenig inte­ressieren. Im Gemeinderat ist es ein ­Problem, dass die Sitzungen am Mittwochnachmittag stattfinden, an dem die Kinder schulfrei haben. Zudem ist die politische Arbeit sehr aufwendig. Mit ­Familie und Job ist das nicht leicht zu ­organisieren. Man muss Prioritäten ­setzen. Und dann braucht man ein Umfeld, das einen ermutigt, ein politisches Amt zu übernehmen.

Serap Kahriman: Ich glaube, die Rekrutierung in der Partei spielt eine grosse Rolle. Vielleicht muss eine Frau mehr ­ermutigt werden, sich für ein Amt zur ­Verfügung zu stellen. Man muss ihr klarmachen, dass das, was sie mitbringt, ­völlig ausreicht. Auch bei den Männern sind nicht alle Spitzenleistungsbringer, sondern oft ganz durchschnittlich. Als man mich angefragt hat, ob ich kandidieren will, habe ich auch erst gezweifelt, ob ich dafür die Richtige bin. Ich brauchte die ­Ermutigung von der Partei.

Simone Brander: Ich glaube, dass Frauen eher das Gefühl haben, dass sie zu 100 Prozent perfekt sein müssen. Männer sind da experimentierfreudiger und sagen sich, ich probiere es einfach mal aus. ­Natürlich ist es gut, wenn man sehr ­gewissenhaft arbeitet, aber die Frauen dürfen und ­sollen sich mehr zutrauen. Das soll natürlich kein Abstrich bei der inhaltlichen ­Arbeit sein. Ich wurde schon einmal angefragt, ob ich für den Stadtrat kandidiere, als Claudia Nielsen zurücktrat. Damals hat der Zeitpunkt für mich nicht gestimmt. Nach meiner Weiterbildung in Public Management und 12 Jahren im ­Gemeinderat traue ich mir das Amt jetzt aber zu. Auch viele gute Rückmeldungen aus meinem Umfeld und meinen Engagements haben mich dazu motiviert, mich zu bewerben.

Und wie sieht die nötige Unterstützung innerhalb der Familie aus? Ist es da für Männer einfacher?

Sonja Rueff-Frenkel: Das hängt natürlich von der Konstellation innerhalb der Familie ab. Es gibt nicht nur Frauen, ­sondern auch Männer, die zu Hause alles erledigen, um der Frau eine Karriere zu ermög­lichen. Das muss jede Familie ­selber für sich entscheiden – und zwar ­bevor man sich für ein Amt bewirbt.

Politisieren Frauen grundsätzlich anders als Männer? Und arbeiten gemischte Teams besser zusammen?

Serap Kahriman: Frauen haben grundsätzlich andere Lebensrealitäten als Männer. Das bringt auch unterschiedliche ­Inhalte mit sich. Man bringt Sichtweisen in die Themen, die Männer nicht haben. 

Sonja Rueff-Frenkel: Es ist auch in der Wirtschaft bewiesen, dass gemischte Teams besser zusammenarbeiten. Ich möchte nicht in einem Stadtrat sein, der aus neun Frauen besteht. Mein Ziel ist ein ausgewogener Stadtrat. Ich bin im ­Kantonsrat in einer Kommission mit ­vorher zwei Frauen und 13 Männern, jetzt vier Frauen und elf Männern. Wenn ich in Frauengruppen diskutiere, ist es viel ­ruhiger, man hört sich gegenseitig zu. In gemischten Teams ist es ein ganz anderes Arbeiten.

Simone Brander: Im Gemeinderat merkt man schon, dass Frauen andere Politik machen als Männer. Ich bin jetzt schon sehr lange in der Verkehrs­kommission, das ist ein absolut männerdominiertes Thema. Oft besteht die ­Kommission aus zwei Frauen und elf Männern. Wenn wir Frauen Themen einbringen wie zum Beispiel Sicherheit für Fussgängerinnen und Fussgänger, wird es oft still im Raum, weil es Fragen sind, an die sie noch nicht gedacht haben. Und es tauchen neue Themen auf, die zuvor als zu wenig wichtig beurteilt wurden, etwa, ob man mit dem Kinderwagen an einem Ort noch durchfahren kann.

Gesetzt den Fall, Sie würden gewählt. Was ändert sich dann in Ihrem persönlichen Umfeld?

Serap Kahriman: Ich bin Juristin, ich müsste meinen Job kündigen. Es wäre für mich auch mein erstes politisches Amt, für mich würde sich also viel ändern.

Sonja Rueff-Frenkel: Für mich und meine Familie wäre es eine grosse Umstellung. Derzeit habe ich zu Hause die Hauptverantwortung und bin die erste ­Ansprechperson für die Kinder. Sollte ich ­gewählt werden, gibt es eine Schwerpunktverschiebung, und ich stehe nicht mehr ständig zur Verfügung. Wichtig ist, dass jemand in der Familie die Ver­antwortung hat, und diese muss man dann einfach abgeben und jemand sie ­annehmen können.

Simone Brander: Auch für mich wärees eine Umstellung, ich müsste meinen Job als Verantwortliche für die Solar­offensive im Kanton Aargau kündigen. Aufgrund der kurzen Frist zwischen Wahl und Amtsantritt ist das mit meinem ­Arbeitgeber bereits vorbesprochen. Da ich zurzeit zu Hause die Hausarbeit leiste, müssten ­sicher neue Lösungen ­gefunden werden.

Nun noch ein paar allgemeine Fragen. Man sagt, die Stadträte kommen und ­gehen, den Kurs gibt sowieso die Ver­waltung an. Was sagen Sie dazu?

Simone Brander: Die Verwaltung hat viel Einfluss, das ist sicher so, das ­erlebe ich im Gemeinderat immer ­wieder. Es ist auch wichtig, dass man gute Fachkräfte zur Seite hat, die viel Erfahrung ­haben. Aber mein Anspruch ist klar, ein Departement auch politisch zu prägen, damit der Wille der Bevölkerung tatsächlich umgesetzt wird. Ich möchte mir nicht von den Chefbeamten und -beamtinnen die Agenda diktieren lassen.

Serap Kahriman: Man hört es gerade in der Verkehrspolitik immer wieder, dass es zum Beispiel nicht geht, dort einen ­Veloweg zu erstellen. Ich denke, als Departements­vorsteherin muss man schon ­genauer hinschauen und die politische Agenda, die man sich gesetzt hat, auch durchziehen.

Sonja Rueff-Frenkel: Die Chefbeamten bringen ein grosses Fachwissen mit. Auf dieses Fachwissen muss man ja nicht verzichten, weil der Departementsvorsteher oder die -vorsteherin gewechselt hat.

Wie empfinden Sie den Wahlkampf? Ist es eine sehr stressige Zeit?

Serap Kahriman: Es ist eine anstrengende Zeit. Der Energie- und Zeitaufwand ist riesig. Ich habe es ehrlich gesagt unterschätzt. Aber es macht auch Spass. Man kommt ins Gespräch mit den Leuten und erlebt Momente, in denen man sagen kann: Ja, es lohnt sich.

Sonja Rueff-Frenkel: Es ist sehr anspruchsvoll. Die Präsenz, die man überall haben muss, ist gewaltig. Gleichzeitig muss alles weiterlaufen wie gewohnt, der Job, die Politik und die Familie. Aber auch wenn ich nicht gewählt werde, bin ich froh darüber, diese Zeit erlebt zu haben, denn ich habe sehr viel gelernt.

Simone Brander: Mir macht es viel Spass. Ich bin seit Mai dabei, zuerst der interne Wahlkampf innerhalb der SP. Dann ganz viele Treffen in den Quartieren, an denen die Leute von mir wissen wollten, wie ich rasch mehr bezahlbare Wohnungen und sichere Velorouten umsetzen würde. Ich schätze den direkten Austausch. Jetzt gibt es zudem viele Medienanfragen.

Angenommen, Sie würden zur absoluten Monarchin gewählt. Was würden Sie als Erstes veranlassen?

Simone Brander (lacht): Ich würde ­sofort die Monarchie abschaffen, ich finde, unser demokratisches System ist das beste. Es kommt nicht gut, wenn man alleine entscheidet.

Serap Kahriman: Wenn ich einen Wunsch hätte, ohne das demokratische System abschaffen zu wollen, würde ich mir weniger motorisierten Individual­verkehr und mehr politisches Mitspracherecht für alle in der Stadt wünschen.

Sonja Rueff-Frenkel: Ich wünschte mir Gleichstellung und Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen. Ich möchte, dass Frauen ihr Potenzial überall ausschöpfen können.