Sebastian Brändli und Markus Zimmermann präsentieren in ihrem Blog «Wollipedia» Wissens- und Sehenswertes aus der Geschichte von Wollishofen. Dazu greifen sie regelmässig in einen umfangreichen Postkartenfundus.
Markus Zimmermanns Sammlerherz blutet, wenn Zeugen alter Vergangenheit einfach weggeschmissen werden. Seien es alte Postkarten, ausrangierte Strassenschilder, Fotos, Landkarten, Kunstdrucke oder andere Objekte. «Ich sammle eigentlich alles, wo Wollishofen draufsteht – wenn es nicht gerade eine Dampfwalze ist», lacht der 74-Jährige über seine Leidenschaft für alte Dinge und die Geschichten dahinter. Der frühere Liegenschaftenverwalter lebt schon sein halbes Leben lang in Wollishofen, wo seine Frau aufgewachsen ist. Genug lange jedenfalls, um zwei grosse Büroräume mit Wollishofer «Memorabilien» zu füllen. Aber auch Wädenswil, dem vorherigen Lebensmittelpunkt, gehört immer noch ein wenig sein Sammlerherz. Und auf einem historischen Originaldokument, an dem er besonders hängt, steht ebenfalls nicht Wollishofen drauf: Es ist ein Kaufvertrag von 1790 für ein Haus in der Zürcher Innenstadt.
«Grabe, wo du stehst»
Markus Zimmermann ist der eine Mann hinter dem neuen Wollishofer Geschichtsblog «Wollipedia». Der andere ist Sebastian Brändli. Wollishofer seit 1997. Damals mit der Familie vom unteren Rand des Zürichbergs an die Rainstrasse in Zürichs Süden gezogen, habe er bald schon angefangen, der Geschichte seiner neuen Umgebung hinterherzuforschen, erzählt der promovierte Historiker. Auch wenn er nach dem Studium eine Laufbahn als Bildungswissenschafter eingeschlagen hat: Im Herzen blieb er Historiker. Davon zeugen nicht zuletzt diverse Publikationen, darunter eine über den Wandel der Rainstrasse «vom mittelalterlichen Widumhof zur Wohnstrasse mit Tempo 20».
Nach seiner Pensionierung als Chef des kantonalen Hochschulamts 2019 hat Brändli seine Forschungen zur Geschichte des eigenen Lebensmittelpunkts intensiviert. Angeregt auch durch die Ideen und Trouvaillen von Zimmermann. Die beiden sind seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden durch ihr gemeinsames Interesse an lokaler Geschichte. «Grabe, wo du stehst», sagt Brändli dazu. Ganz nach dem Motto einer Geschichtsbewegung, die in den 1970ern aufkam und die «Alltagsgeschichte konkret und vor Ort» förderte. So richten die beiden «Wollipedia»-Initianten ihren Blick auch auf Aspekte, die in den Ortsgeschichtsbüchern kaum vorkamen. «Oder frühestens auf Seite 323», so Brändli.
Die Postkarte, das SMS von gestern
Die regelmässigen Blog-Einträge widmen sich verschiedensten Orten, Häusern und Namen in Wollishofen, ob noch existierenden oder längst verschwundenen. Ausgangspunkt ist in vielen Fällen Zimmermanns reicher Postkartenfundus. So zum Beispiel in den bereits erfolgten Beiträgen über das einstige Hotel Hirschen an der Seestrasse oder über die neuen Kurven und Bauten an der Albisstrasse ab Mitte des vorletzten Jahrhunderts (siehe Bilder unten). Schon die Postkarten allein vermitteln ein Stück vergangener Alltagskultur. Zimmermann sieht in ihnen eine Art Pendant zu den heutigen SMS: kurze Botschaften (für mehr fehlte der Platz), die schnell befördert und verteilt wurden. Wie schnell, zeigt etwa eine Wollishofer Postkarte von 1904: «Komme morgen Vormittag um 9.20 Uhr in Basel an», wird da angekündigt. Vor 100 Jahren waren Postkarten zudem schon deshalb ein sehr beliebtes Kommunikationsmittel, weil sie weitaus günstiger waren als das Telefon.
Nicht zuletzt dienten Postkarten zum Geldsammeln. Zum Beispiel für die katholische Notkapelle, die 1901 in einem bescheidenen Lokal an der Ecke Butzenstrasse/Albisstrasse eingerichtet wurde und die den Übernamen «Wöschhüsli» erhielt. Mehr darüber wird in einem der nächsten Blogeinträge zu erfahren sein. Ebenso wie über Örtlichkeiten mit so sonderbaren Namen wie «Erdbrust» oder «Rumpump», oder über die Rainstrasse, wo die «antizürcherische» Anordnung der Hausnummern vom rebellischen Charakter des früheren Bauerndorfs zeugt.
Chance zum Nachfragen
Sie hätten aber auch noch ganz andere Ideen, frohlocken die beiden Blogger. Zum Beispiel die Geschichte alter Wollishofer Familien oder Handwerksbetriebe aufzunehmen, Bücher vorzustellen, die von Wollishofen handeln oder hier geschrieben wurden. «Wollipedia» will jedenfalls mehr als nur ein Lexikon sein. Zimmermann und Brändli sehen ihren Blog auch als eine Kommunikationsbrücke zu all jenen, die sich für die Geschichte und das Leben in Wollishofen interessieren. Leserinnen und Leser hätten dabei durchaus die Chance, nachzufragen, Themen vorzuschlagen oder selber zum Blog beizutragen. Das mit dem Nachfragen klappe übrigens bereits, lacht Brändli und weist auf seinen Zusatz-Eintrag «Gegen den eigenen Willen» hin.
www.wollipedia.ch