Adliswiler Männer besuchten Gottfried Keller

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Die Männergruppe 50+ der reformierten Landeskirche Adliswil stellt für ihre Senioren immer wieder spannende Programme bereit. Diesmal gings ins beschauliche Glattfelden. Man wollte Gottfried Keller und seinem Werk näher kommen.

Heuer wäre der Schweizer Dichter und Politiker Gottfried Keller 200 Jahre alt geworden. Aus diesem Grund besuchte die Adliswiler Männergruppe 50+ der reformierten Kirche das Gottfried-Keller-Zentrum in Glattfelden.

Gegen 20 Sihltaler treffen rechtzeitig ein und gönnen sich im integrierten Café einen stärkenden Trunk. Danach übernimmt Konrad Erni, Präsident der Glattfelder Kulturkommission. Er führt die Besucher durch die Permanent-Ausstellung. Sie ist im 1526 erstellten Riegelbau einquartiert, «einem der ältesten Häuser dieser Art im Kanton», wie der Führer erwähnt. Die Konstruktion kommt bis heute ohne Nägel und Schrauben aus, die Balken werden allesamt mittels Holzzapfen zusammengehalten. Heute gehört die Gebäulichkeit der Gottfried-Keller-Stiftung. Aus dem Adliswiler Publikum kommen wertvolle Hinweise: «Schaut, die Streben sind gebeilt und so gewissermassen aufgeraut, damit damals der Gipsverputz Halt fand.»

Keller ist in Zürich aufgewachsen

Und schon steht man vor Kellers Privatpult mit auffällig tiefem Stuhl. Erni: «Der Schriftsteller war mit seinen 162 Zentimetern kleinwüchsig, etwas, was ihn sein Lebtag genierte.» Heute wisse man, dass er an einer Wachstumsstörung in den Beinen litt. Aufgrund dieses «Grössenmakels» habe sich Keller nie als ganze Person porträtieren oder ablichten lassen.

«Rundherum sehen Sie zudem viel Literatur von und über den Glattfelder Sohn. Tatsächlich arbeiten wir eng mit der Zentralbibliothek in Zürich zusammen, ist sie doch offizielle Nachlassverwalterin des ersten kantonalen Staatsschreibers», erzählt Konrad Erni.

Gottfried Kellers Eltern stammten beide aus dem Unterländer Dorf. Vater Hans-Rudolf war Drechslermeister und bereits ein begabter Verseschmied. Vier der sechs aus der Verbindung mit Elisabeth Scheuchzer entsprungenen Kinder starben frühzeitig, nur Gottfried und Schwester Regula überlebten, weiss Erni. «Die Familie hielt sich oft im Heimatort auf, Lebensmittelpunkt war allerdings die Werkstatt in Zürich.» Leider habe die Familie wegen Schwindsucht früh ihren Ernährer verloren, ab fünf war Gottfried Halbwaise. «Dank guter Einbindung in der Verwandtschaft haben die Kinder diesen Schicksalsschlag ohne Schaden überwunden», sagt Erni. Das Interesse an Natur und Gestalterischem führte dazu, den jungen Keller in eine Malerlaufbahn einzuspuren. Seine Begabung zeigen die im Museum ausgestellten Werke, etliche davon haben auch Natureindrücke aus dem Sihltal zum Inhalt. Erni: «Leider blieb der Malkünstler auf der Strecke, er musste einsehen, dass er von dieser Profession nicht überleben konnte.» In der Zwischenzeit habe er bereits mit Schreiben begonnen. In Berlin holte er das Germanistikstudium nach.
Eine erste Buchveröffentlichung fand rasch Anklang.

«Wieder in Zürich, fand er dank Support unter anderem vom gleichaltrigen Alfred Escher – selber aber mit wenig Begeisterung – mit 40 eine Anstellung als erster Staatsschreiber seines Kantons. Das Amt hielt er 14 Jahre lang inne und führte es mit grossem Verantwortungssinn aus», so Erni.

Er hatte Pech in der Liebe
Aufmerksam hören die Adliswiler Besucher auch etwas übers Kellers Liebesleben: «Hierin war er wenig erfolgreich. Er erlebte fortwährende Enttäuschungen: Seine erste Liebe starb jung; eine weitere geliebte Frau war nicht ihm, sondern seinem damaligen Lehrer zugetan, und während seiner Beamtenjahre musste er erleben, wie sich seine Verlobte das Leben nahm. Keller blieb also zeit seines Lebens Junggeselle», gibt Konrad Erni Auskunft. Immerhin: «Seine Schwester Regula – auch sie hat nie geheiratet – sorgte in all den Jahren für ihn.»

Trotzdem: Als Dichter feierte der kleine grosse Mann durschlagenden Erfolg, wurde Ehrendoktor der Universität Zürich, und es blieben ihm nach seinen Rücktritt 1876 vom Stuhl des Staatsschreibers bis zu seinem Tod 1890 noch 14 Jahre, sich seiner schriftstellerischen Leidenschaft zu widmen.

Beeindruckt verdankt die Sihltaler Gruppe die Führung, und bestimmt wird zu Hause dieser oder jener wieder mal «Den grünen Heinrich», «Martin Salander» oder eines der andern Keller-Werke aus dem Regal holen und darin schnuppern. Es lohnt sich. (Hans Lenzi)