Sepp Wimmer geht, Fabian Reinhardt kommt: Der erfahrene Gastronom aus Österreich und der aufstrebende Jung-Wirt aus Erlenbach pflegen die Gastro-Kultur im Zürcher Zunfthaus Zur Waag. Beide haben einst in der Küsnachter «Sonne» gewirtet.
Er hatte sich sein Lieblingsgericht gewünscht: Züri-Gschnätzlets mit Rösti. Und das sollte er auch bekommen.
Als Fabian Reinhardt konfirmiert wurde, war Sepp Wimmer am Familienfest in Erlenbach um das leibliche Wohl der Gäste besorgt – und weder der Konfirmand noch sein Gastgeber ahnten, welch zünftige Folgen jene erste Begegnung dereinst nach sich ziehen sollte.
Vierzehn Jahre später – just am Tag, an dem in Bern Herr Rösti in den Bundesrat gewählt wird – sitzen die beiden Männer in der Gaststube des Stadtzürcher Zunfthauses Zur Waag und schwelgen in Erinnerungen.
Tatsächlich ist es mehr als nur eine geschäftliche Transaktion, die den renommierten «Waag»-Zunftwirt, einen gebürtigen Österreicher, mit dem aufstrebenden Erlenbacher Gastronomen verbindet: «Der Begriff ‹väterliche Freundschaft› trifft es ganz gut», bezeugt der mittlerweile 29 Jahre alte Fabian Reinhardt. Bis zum Tag, als er konfirmiert wurde, habe er sich zwar durchaus vorstellen können, sein berufliches Glück in der Gastronomie zu finden. «Dann aber wurde aus dem Gedankenspiel ein Projekt, das mich bis zum Hotelfachschul-Diplom geführt hat – nicht zuletzt dank Sepp Wimmer, der mir immer ein Vorbild war.»
16 000-mal Rösti aufgetischt
Vor 19 Jahren haben Sepp Wimmer, 62, und seine Gattin Sandra das traditionsreiche Restaurant am Münsterhof übernommen – und aus dem Zunftlokal eine gastronomische Institution gemacht. Was nicht zuletzt an den Favoriten auf der Speisekarte liegt, am Geschnetzelten mit Rösti etwa, das binnen Jahresfrist 16 000-mal geordert wird; aber auch am Wiener Schnitzel, das nahezu 3000-mal aufgetischt wird. Und zwar so zubereitet, wie es sich gehört: mit Semmelbröseln paniert – «Ich geb’ dem Bäcker immer die alten Brötli zurück und krieg’ dafür allerbeste Brösel!» – und mit Rücksicht auf die vielen muslimischen Gäste nicht im Schweineschmalz, sondern in geschmälzter Butter gebacken und geschwenkt, damit die Panade Blasen wirft. Auf gar keinen Fall darf das Wiener Schnitzel mit profanen Pommes frites serviert werden, es muss stets von lauwarmem Kartoffelsalat begleitet sein.
Das Rezept des Erfolgs findet der Gastgeber in keinem Kochbuch, es braucht lediglich ein gerüttelt Mass Erfahrung, eine Prise gesunden Menschenverstand und sehr viel Empathie. Routine, Vernunft und Liebe, sagt Wimmer, habe er schon von seinen Eltern mitbekommen, die in Niederösterreich leidenschaftliche Wirtsleute waren – und auch fromme: «Wenn du viele und gute Gäste haben willst», sagten sie stets, «dann muss deine Wirtschaft nah bei einer Kirche stehen!» So gesehen hat Wimmer besonders gute Karten: Das Zunfthaus Zur Waag steht exakt zwischen dem Fraumünster und der St.-Peter-Kirche.
Erwartungen nicht enttäuschen
Ein guter Gastgeber, fährt Wimmer fort, brauche auch keine Sterne, um ausgezeichnet zu sein, «solange die Suppe warm und das Bier kühl auf den Tisch kommt und – das vor allem – die Erwartungen des Gastes nicht enttäuscht werden, egal, ob er einen Chateaubriand oder eine Bratwurst wünscht, ob er eine Magnumflasche Château Pétrus für 3000 Franken ordert oder ein Caramelchöpfli für 8.50.»
Unter Wimmers Führung ist die «Waag» zu einem der angesagtesten Eventlokale in der Zürcher Altstadt geworden: Täglich sechs bis sieben Anlässe – von der Tauffeier über das Weihnachtsessen bis zum Leidmahl – sind keine Seltenheit. Selbstredend hat Sepp Wimmer das Hochzeits-Diner seiner Tochter Stefanie ebenso ausgerichtet wie jenes von Fabian und Valérie Reinhardt.
Aus der Distanz hat er Fabians Karriere aufmerksam beobachtet und insgeheim stets gehofft, «es könne eines Tages zu einer Zusammenarbeit kommen – was allerdings leider nie geschehen ist». Stattdessen kommt es jetzt, zum anstehenden Jahreswechsel, zu so etwas wie einer Wachablösung – genau genommen ist es bereits die zweite.
Bevor Sepp Wimmer sein Amt als Zunftwirt in der «Waag» antrat, war er Gastgeber in der «Sonne» Küsnacht; in jener Zeit lernte er Fabians Eltern kennen. Jahre später – Wimmer hatte sich unterdessen vom Küsnachter «Sonnen»- zum Zürcher «Waag»-Wirt verändert – erreichte ihn die Anfrage der Reinhardts, ob er zur Konfirmationsfeier ihres Sohnes Fabian sein legendäres Züri-Gschnätzlets anrichten könne. Damit war der Keim einer gastronomischen Freundschaft gelegt, und die Dinge nahmen ihren Lauf: Fabian schloss sein Studium in Betriebswirtschaft ab, wurde Hotelier-Restaurateur und trat seine erste Stelle in der «Sonne» Küsnacht an – dort, wo Sepp Wimmer gewirkt hatte, bevor Catherine und René Julen-Grüter die Leitung des ersten Hauses in Küsnacht übernahmen.
«In den fünf Jahren in der ‹Sonne› habe ich bei dem Direktorenpaar so wertvolle Erfahrungen gesammelt, dass ich mir heute zutraue, ein renommiertes Zunfthaus wie die ‹Waag› zu führen.»
Damit war die erste Wachablösung vollzogen.
Die zweite ist die Konsequenz einer lebensbedrohlichen Diagnose und einer glücklichen Heilung. Sepp Wimmer war an Prostatakrebs erkrankt; die Ärzte stellten ihn vor die Wahl: operieren oder bestrahlen. «Ich habe mich für eine Bestrahlungstherapie entschieden – zum Glück: Heute bin ich wieder vollkommen gesund.» Dennoch war die überstandene Krankheit eine Erfahrung, die sein Leben veränderte: «Mir war klar, dass ich meinen Beruf als Gastgeber nicht mehr würde ausüben können; und da unsere beiden Töchter keine Lust hatten, in die Gastronomie einzusteigen, beschloss ich – mit blutendem Herzen – meine Anteile an der ‹Waag› zu veräussern.»
In der Ballnacht am letzten Sächsilüüte kamen die Eheleute Wimmer und die Eltern Reinhardt zwischen zwei Tänzen ins Gespräch. Wie es dem Fabian so gehe in der «Sonne», erkundigte sich Sepp Wimmer. Der habe Lust, sich zu verändern, antworteten die Reinhardts, er schaue sich derzeit nach was Neuem um. «Dann richtet ihm bitte aus, er möge sich doch mal bei mir in der ‹Waag› melden.»
Das tat Fabian Reinhardt postwendend – und die beiden einigten sich rasch: Sepp Wimmer sah in dem aufstrebenden Gastwirt, den er als Konfirmanden kennen gelernt hatte, seinen idealen Nachfolger – und Fabian Reinhardt erkannte seine grosse Chance.
Sächsilüüte: Nächster Höhepunkt
Die beiden Männer in der «Waag»-Gaststube schwelgen nicht nur in Erinnerungen, sie schmieden auch Pläne, freuen sich auf eine Zukunft, in welcher der eine für seine Frau, die Töchtern und den kleinen Enkel das sein möchte, wozu er bislang viel zu wenig Zeit hatte – ein liebender Ehemann, Vater und Grossvater –, während sich der andere als Zunftwirt in der «Waag» schon auf den 17. April freut – aufs nächste Sächsilüüte-Frühlingsfest. Und er hat schon eine sehr konkrete Vision ... Nein, Fabian Reinhardt wird nicht mit seiner Zunft, mit den Hottingern, um den Böögg galoppieren; er hat Wichtigeres zu tun, muss im eigenen Zunfthaus zum Rechten schauen.
Und da der neu gewählte Bundesrat zweifellos am Umzug teilnehmen wird und die ganze Stadt weiss, wo das beste Züri-Gschnätzlets serviert wird, wird der Wirt dem Rösti eine Rösti vorsetzen, die der Rösti so bestimmt noch nie gesehen hat. Eigentlich sind es zwei Rösti – aufgeteilt in einen Halbkreis links und rechts noch einen und dazwischen gar nichts. «Rechts haben wir die deutsche, links die welsche Schweiz», wird Fabian Reinhardt dem Bundesrat die kulinarische Geografie auf dem Teller erläutern. «Und hier in der Mitte, das ist der Röstigraben, den füllen wir mit Kalbsfleisch und Nierli auf.»
Und wo, wird Albert Rösti womöglich fragen, wo ist das Tessin? Fabian Reinhardt wird eine kleine Tomate auf den unteren Tellerrand legen. «Da!», wird er sagen und erklären: «Den Röstigraben auf dem Teller hat mein Vorgänger erfunden, der Sepp Wimmer!»
Gut möglich, dass der Bundesrat sagen wird: «Ja, den kenn ich, der ist auch am Umzug mitgelaufen – als Ehrengast!»