«Wir werden uns warm anziehen müssen»

Erstellt von Daniel J. Schüz |
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Der Küsnachter Markus Ernst ist Brigadier, Gemeindepräsident und Privatmann. Als Offizier macht er sich Sorgen über den bedrohten Weltfrieden. Als Kommunalpolitiker beschliesst er Sparmassnahmen, um die Energiekrise zu meistern. Und als Privatmann hat er seinen eigenen Kühlschrank abgestellt.

Markus Ernst, welche Gefühle bewegen Sie, wenn Sie an die unmittelbare Zukunft denken – an den Winter, der vor der Tür steht?

Markus Ernst: Die Welt ist nicht mehr, wie sie war, noch lassen sich die Auswirkungen, die der Krieg für uns alle haben wird, gar nicht abschätzen. Europa erlebt mit Putins Überfall auf die Ukraine eine harte Zäsur. Gleichzeitig drohen weltweit neue Konflikte: China erhebt Anspruch auf Taiwan. Im Iran herrscht Aufruhr. Nordkorea, Saudi-Arabien – es brodelt überall:

Was bedeutet diese Weltlage konkret für uns in der Schweiz, für Küsnacht?

Unser Wohlstand wird abnehmen, auch in unserer Gemeinde. Wir werden uns alle einschränken und warm anziehen müssen. Aber im Vergleich zu den meisten anderen Menschen ist unser Wohlstand auch dann noch immer sehr hoch.

Können Sie sich vorstellen, dass Wladimir Putin sich eines Tages vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verantworten muss?

Dort gehört er tatsächlich hin. Aber ich glaube nicht, dass er vor diesem Gericht stehen wird.

Warum nicht?

Als Staatschef wird er den Krieg, den er losgetreten hat, kaum überstehen.

Er wird den Krieg nicht überleben?

So habe ich das nicht gemeint. Ich denke, Putin ist am Ende; es gibt verschiedene Gruppierungen in der Machtelite des Kreml, die ihn stürzen wollen. Er kommt da nicht mehr raus. Allerdings habe ich wenig Hoffnung, dass das, was nach Putin kommt, besser sein wird. Da wird ein ­Autokrat den anderen stürzen.

Wir erleben gerade einen dogmatischen Paradigmenwechsel ...

In Deutschland setzt die rot-grün-liberale Regierung den lange beschlossenen Atomausstieg aus, während die Linken und die Grünen in der Schweiz nach wie vor die Armee abschaffen wollen ...

Hätten Sie sich je vorstellen können, dass sich eine geopolitische Lage entwickelt, die in so kurzer Zeit so konkrete Auswirkungen auf jeden von uns hat?

Ja. Es hat in der Vergangenheit schon immer Despoten gegeben, die ihre Macht ausbauen, indem sie souveräne Länder überfallen, Grenzen verschieben, Ethnien ausrotten oder Rohstoffe erschliessen wollen. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich im Militär engagiere. (Anm. d. Red.: Markus Ernst ist als Brigadier Stellvertretender Kommandant der Territorialdivision 2.).

Kann die Armee das Land ohne Nato-Schutzschirm gegen derlei Gefahren verteidigen?

Es geht nicht um eine Mitgliedschaft. Auch andere westliche Länder, Österreich etwa, sind nicht in der Nato. Es geht darum, dass wir uns solidarisch erweisen und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und einen Einsatz zu leisten. Das Argument der Linken, «wir sind mitten in Europa von Freunden umzingelt, also brauchen wir gar keine Armee», würde von unseren Nachbarn nicht akzeptiert. Das funktioniert so schon lange nicht mehr.

Die Neutralität verbietet uns, einem militärischen Bündnis beizutreten. Aber darf man sich angesichts der brutalen russischen Aggression eine neutrale Haltung überhaupt noch leisten?

Vor dem Unrecht der russischen Invasion und angesichts der mutmasslichen Kriegsverbrechen darf man die Augen nicht verschliessen – da müssen wir Stellung beziehen und Haltung zeigen. Wir beteiligen uns ja auch an den Sanktionen, die von der westlichen Staatengemeinschaft gegen Russland verhängt werden. Das ist ein klares Bekenntnis zu unseren freiheitlich-demokratischen Werten. ­Genau darauf kommt es an – und diese Haltung steht in keinem Widerspruch zur Neutralität.

Ohne Waffen aus westlichen Ländern würde die Ukraine wohl nicht mehr als eigenständiger Staat bestehen. Die Schweiz hat Waffensysteme, die der Ukraine helfen könnten, sich zu verteidigen.

Da stossen wir an eine Grenze: Schweizer Waffen in ein kriegsführendes Land zu liefern, ist mit unserer Neutralität nicht vereinbar. Aber ich fühle mich ohnehin wohler, wenn wir einen wesentlichen Beitrag auf der humanitären und der diplomatischen Ebene leisten.

Wo lassen sich die Folgen der Krise besser bewältigen – im Dienst der Schweizer Armee oder auf der kommunalen Ebene im Gemeindehaus?

Als Gemeindepräsident habe ich natürlich viel mehr Möglichkeiten – vor allem können wir geflüchtete Ukrainer aufnehmen. Gemäss offizieller Quote wären wir verpflichtet, 133 Menschen zu beherbergen. Tatsächlich aber leben in Küsnacht 261, fast doppelt so viele Flüchtlinge.

Was bedeutet das für die Gemeinde?

Das nimmt der einzelne Bürger vielleicht gar nicht so wahr: Die Schulbehörde, die Sozialeinrichtungen und auch das Gesundheitswesen sind erheblich gefordert.

Wie viel lässt sich die Gemeinde dieses Engagement kosten?

Für 2023 rechnen wir mit Mehrkosten von knapp einer Million Franken.

Wie schmerzlich wirkt sich das für den Bürger aus?

Angesichts der Not, die der Krieg in der Ukraine verursacht hat, fällt es mir schwer, von schmerzlichen Folgen bei uns zu sprechen. Glücklicherweise ist Küsnacht in einer sehr komfortablen finanziellen Lage. Aber den allgemeinen Kostenanstieg, etwa bei der Energie oder der Krankenkasse, werden alle spüren, vor allem diejenigen, die ohnehin mit ­einem knappen Budget auskommen müssen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, um die Folgen für armutsbetroffene Menschen abzufedern?

Wichtig ist unter anderem, dass für Bezüger von Ergänzungsleistungen ein Teuerungsausgleich ausgerichtet wird und die Betroffenen von der Möglichkeit Gebrauch machen können, individuelle ­Prämienverbilligungen für die Krankenkasse zu beziehen. Speziell auf Küsnacht bezogen, möchte ich beispielsweise den Bau des Wohnhauses Freihofstrasse erwähnen. Dieses bietet künftig 25 Wohnungen für Einwohnerinnen und Einwohner mit geringem Einkommen.

Energiesparen ist das Gebot der Stunde: In Küsnacht werden die Strassenlampen vier Stunden weniger lang und ab 22 Uhr auch weniger hell leuchten. In öffent­lichen Gebäuden wird die Raumtempe­ratur um 2 Grad heruntergefahren. Wie viel wird so eingespart?

Gut 10 Prozent.

Ist das genug?

Das ist schwierig zu beurteilen. Wenn es genug regnet, dass die Speicherseen voll sind, wenn alle Kraftwerke die volle Leistung liefern und der Winter milde Temperaturen bringt, merken wir vielleicht gar nichts.

Andernfalls?

Müssen wir situativ reagieren. Man könnte die Strassenbeleuchtung natürlich auch ganz abschalten. Das würde jedoch das Sicherheitsgefühl massiv einschränken. Viele Bürger würden sich unwohl fühlen. Es gibt bei solchen Massnahmen kein Richtig oder Falsch. Deshalb kann man es auch nicht allen recht machen.

Die Adventszeit steht vor der Tür – und da leuchten die Strassen normalerweise besonders hell.

Wir werden nicht gänzlich auf die Weihnachtsbeleuchtung verzichten, aber wir werden auch hier Einschränkungen vornehmen müssen.

Eine Ihrer ersten Amtshandlungen war die Einweihung der Weihnachtsbeleuchtung, die unsere berühmteste Mitbürgerin der Gemeinde gestiftet hat.

Tina Turners Lichter werden weiterhin leuchten, einfach etwas weniger lang und weniger hell als in früheren Jahren. Fest steht, dass wir so viel Strom wie möglich sparen wollen, ohne dabei vollumfänglich auf die Vorweihnachtsstimmung zu verzichten.

Vielleicht könnte man ja auch, bevor die Lichter ganz ausgehen, die grossen Energiefresser abschalten – die Beheizung der Schwimmhalle Heslibach zum Beispiel.

Da muss man differenzieren: Die Heslihalle wird aus dem Wärmeverbund mit Abwasser beheizt, das ist deutlich effizienter als zum Beispiel die Gasheizung im Seniorenheim Tägerhalde. Aber selbstverständlich werden wir die betagten Menschen nicht einen Winter lang durchschlottern lassen.

Gilt das auch für die Kunsteisbahn KEK in Itschnach?

Ironischerweise würden auch die Itsch­nacher in der Kälte schlottern, wenn wir kein Eis produzierten. Mit der neuen KEK wird die Abwärme, die bei der ­Eisproduktion entsteht, in einen umweltfreundlichen Energieverbund eingespeist und in die Wohnhäuser geliefert.

Ein innovativer Energielieferant ist der Zürichsee: Technisch ist es möglich, die Temperaturunterschiede in verschiedenen Wassertiefen als Wärmespeicher zu nutzen. Ist der See eine Option für die Seegemeinden?

Tatsächlich haben wir diese Möglich-keit auch schon erwogen. Aber solange eine Abwasserreinigungsanlage mehr Wärme liefert als der See, macht das wenig Sinn. Daraus erkennen wir aber auch, dass wir weniger ein Energieproblem haben als ein Technologieproblem.

Als Brigadier befassen Sie sich mit der globalen Krise, als Gemeindepräsident machen Sie sich Gedanken über Massnahmen, die in Küsnacht getroffen werden müssen. Was aber macht der Privatmann Markus Ernst: Wo sparen Sie in Ihrem Haushalt Energie?

Ich bin meistens mit dem Velo unterwegs. Und ich habe meinen Kühlschrank abgestellt.

Den Kühlschrank?

Ja.

Dann trinken Sie jetzt warmes Bier?

Zum Glück nicht. Aber da ich als Mieter in einer Einliegerwohnung lebe und meine Vermieterin ebenfalls einen Kühlschrank besitzt, haben meine Lebensmittel auch einen Stock weiter oben Platz – und ich verschaffe mir Bewegung, wenn ich regelmässig die Treppe rauf- und runtergehe.

 

So spart die Gemeinde Küsnacht Strom

• Strassenbeleuchtung: Die Strassen werden vier Stunden weniger lang und ab 22 Uhr weniger intensiv beleuchtet. Von 0.45 bis 4.45 Uhr bleiben alle Strassen unbeleuchtet.

• Heizungen: In allen öffentlichen Räumen wird die Temperatur um 2 Grad reduziert. Ausnahme: Alters- und Seniorenheime werden wie gewohnt beheizt.

• Hallenbad: Die Wassertemperatur wird um 1 Grad auf 28 Grad reduziert.