«Wir sind im offenen Konflikt mit Russland»

Erstellt von Daniel J. Schüz |
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Auch Küsnachts Gemeindepräsident Markus Ernst (FDP) war zu Gast bei der ukrainischen Tavolata im Sonnenhof. Zwischen Hauptgang und ukrainischem Kirschlikör setzte er sich locker auf eine Kinderschaukel und sprach über soziales Engagement, die drohende Kriegsgefahr und naive Sicherheitspolitiker.

Hühnersuppe mit Spätzli, Fleischvögel mit gebackenen Kartoffeln und ein deftiger Kuchen – wie hat Ihnen die ukrainische Tavolata gemundet?

Markus Ernst: Das Essen war wirklich gut, von der Vorspeise bis zum Dessert – und es herrschte eine tolle Stimmung; es geht aber auch um den guten Zweck, der mit dieser Tavolata verbunden ist.

Kriegsflüchtlinge, die zu Einladenden werden und den Schweizer Gastgebern eine Tavolata ausrichten – so etwas gibt es wohl nur in Küsnacht.

Soweit ich das beurteilen kann: Ja. Das liegt auch daran, dass wir im Sonnenhof eine Kollektivunterkunft für viele Menschen anbieten können – und dass wir mit Alexander Lüchinger und Anna Uminska zwei engagierte Koordinatoren haben, die den Betrieb strukturieren und aufrechterhalten. Ich finde diese Idee sehr gut.

Warum?

Die Tavolata gibt den Ukrainerinnen die Gelegenheit, Spendengelder zu kreieren, die dringend benötigt werden. Wir können zusammen konkret dazu beitragen, die Not der Menschen in der Ukraine zu lindern. Diese Veranstaltung fördert das gegenseitige Verständnis; sie hilft uns, die Situation der geflüchteten Menschen besser zu verstehen.

Mangelt es an diesem Verständnis?

Ich spüre in unserer Gemeinde keinerlei Vorbehalte gegenüber ukrainischen Flüchtlingen.

... im Gegensatz zu Flüchtlingen aus anderen Regionen.

Es ist ein Unterschied, ob jemand aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen will oder ob er vor dem Krieg flieht. Das Elend, das wir in der Ukraine sehen, die Kriegsverbrechen, welche die Russen tagtäglich an der Zivilbevölkerung begehen – das berührt mich sehr. Kommt hinzu, dass die Ukraine uns kulturell und geografisch näher ist als weit entfernte Länder – sie ist sozusagen in unserer Region.

Der Ukraine-Konflikt beschäftigt die Schweiz derzeit auf mehreren Ebenen. Während im Sonnenhof zur Tavolata geladen wurde, tafelte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky buchstäblich auf höchster Ebene: An der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock sollte ein Weg zum Frieden gefunden werden.

Diese zeitliche Parallele ist natürlich reiner Zufall.

Gleichzeitig kommen aus Bern dieser Tage weniger friedliche Signale: Als Nationalratspräsident Eric Nussbaumer seinen ukrainischen Amtskollegen Ruslan Stefantschuk begrüsste, provozierten im Bundeshaus SVP-Nationalräte – und der Ständerat beschloss, den Schutzstatus S für Ukraine-Flüchtlinge abzuschwächen.

Das Problem mit dem Schutzstatus ist der Missbrauch, der damit leider vermehrt betrieben wird: Es kommt vor, dass Flüchtende, die gar nicht aus der Ukraine stammen, ein ukrainisches Papier vorweisen, um diesen Status zu erlangen. Entscheidend ist, dass die Flüchtlinge, die jetzt bei uns sind, auch mit abgeschwächtem Schutzstatus bleiben können, bis der Frieden in ihrer Heimat wiederhergestellt ist.

In Europa wächst die Angst vor einer Eskalation des Krieges. Wie beurteilen Sie als Brigadier der Schweizer Armee die russische Bedrohung?

Ich habe nie an einen ewigen Frieden geglaubt, seit ich Politik aktiv wahrnehme – sonst hätte ich nicht dreissig Jahre meines Lebens in den Militärdienst investiert. Tatsächlich befinden wir uns auch aktuell in einem Konflikt, nicht nur die Ukraine und Russland, der ganze Kontinent – und auch unser Land. Seit die Schweiz eine interna­tionale Friedenskonferenz ausrichten will, sind wir verstärkt Cyberattacken ausgesetzt; wir erleben einen hybriden Konflikt – auch auf der Propagandaebene.

Wie sieht das konkret aus?

Schauen Sie doch, was in Europa passiert: Da tauchen an der finnischen Grenze zu Russland Horden von Migranten auf, die Putin dorthin geschickt hat; ein gechartertes Schiff mit unklarer Herkunft schleift ganz zufällig einen Anker über ein Unterseekabel, das wichtige Daten transportiert. Wir wissen, dass Russland in der Schweiz vermehrt Spionage betreibt. Derweil diskutieren wir immer noch, ob es reicht, wenn wir innert zehn Jahren unser Verteidigungsbudget auf ein halbwegs akzeptables Niveau erhöhen. Das ist unverantwortlich.

Was sollten wir denn tun?

Es stellt sich die Frage, ob wir uns autonom und autark schützen können. Oder ob wir dies im Verbund mit einem Partner tun wollen. Diese Diskussion müssen wir ohne Scheuklappen führen. Und dann müssen wir die notwendigen Ressourcen bereitstellen.

Das sehen nicht alle im Land so.

Wenn ich sehe, wie einzelne Politiker in grenzenloser Naivität mit Russland sympathisieren, zweifle ich schon an deren Verstand. Auch das ist unverantwortlich.

Wie lange dauert dieser Krieg noch?

Heute, am bald 850. Tag von Putins Drei­tagekrieg, sehe ich keinen Silberstreifen am Horizont. Schlimmstenfalls, wenn Putin gewänne, müssten wir mit einer enormen Flüchtlingswelle rechnen. Ein Mehrfaches an Menschen als bis jetzt würde in der Schweiz Zuflucht suchen – ohne Aussicht auf Rückkehr.