Die Küsnachterin Laura Hayek (43) ist eine unkonventionelle Frau: Tiere liebt sie über alles, den Traum von einer Schauspielkarriere musste sie aber platzen lassen. Heute arbeitet sie zur eigenen Überraschung in der Finanzwelt.
An einem sonnendurchfluteten Tag Ende Mai steht der Hund aufgeregt vor dem Biotop und gibt Laut – so laut, dass er sogar den lärmenden Rasenmäher übertönt.
«Nino – was ist denn los?»
Laura Hayek, die sich im Garten ihres Elternhauses regelmässig um die Pflege des Rasens kümmert, stellt den Motor ab und versucht, ihren Rüden zu beruhigen. Doch Nino, eine imposante Mischung aus Boxer und französischer Bulldogge, fährt unbeirrt fort, das Entennest am Ufer des Biotops zu verbellen. Und jetzt sieht Laura es auch: In dem sorgsam zusammengetragenen Gestrüpp liegen fünf weisse Eier – von der Entenmutter weit und breit keine Spur; entweder, mutmasst Laura, hat der Rasenmäher die Ente so erschreckt, dass sie das Weite gesucht und das Gelege im Stich gelassen hat. Oder am nahen Waldrand ist der Fuchs aufgetaucht.
Auf Verwandtschaft angesprochen
Hayek – kein unbekannter Name in der Schweiz ... Jaja, lacht sie, sie sei schon als Kind immer wieder gefragt worden, ob sie mit dem berühmten Hayek verwandt sei. «Ja klar», sagte sie dann – und dachte an ihren Vater John Hayek, den bis anhin einzigen Hayek, den sie kannte. «Aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, ob wir etwas mit dem Swatch-Clan zu tun haben. Der Name stammt ursprünglich aus dem Libanon – und da heisst Hayek einfach nur Weber; davon gibt es natürlich unzählige, dort wie auch hier.»
Ihre Vorfahren allerdings stammen aus Palästina: «Mein Vater war sechs Jahre alt, als er 1948 vor dem ersten Nahostkrieg aus Jaffa nach Jordanien fliehen musste. Später kam er in die Schweiz, studierte Medizin, spezialisierte sich als Neurologe und lernte Ursula kennen, eine Kinderkrankenschwester aus Luzern, die bald seine Frau und die Mutter von uns vier Kindern wurde.» Von Basel zog die Familie nach Zürich, wo John Hayek einer der ersten Mediziner war, die den Computertomografen als bildgebendes Diagnosegerät einsetzten. «Heute ist er 81», sagt die Tochter stolz, «und er betreibt noch immer seine Praxis.»
Mit einem unguten Gefühl im Bauch sucht Laura im Garten ihrer Eltern das Biotop auf: Die Enteneier liegen noch immer im Nest – wie am Vortag. Aber sie sind spürbar ausgekühlt, es ist kalt und regnerisch. Laura hält jedes der fünf Eier gegen das Licht – es sieht aus, als sei da noch Leben drin. Allerdings besteht Handlungsbedarf. Dringend. Und so beschliesst Laura – wohl wissend, dass sie in das natürliche Geschehen eingreift –, die Eier aus dem Nest und nach Hause zu nehmen.
In wenigen Wochen wird sie ihren 43. Geburtstag feiern: In der Mitte des Lebens angekommen blickt Laura Hayek zurück auf Erfahrungen und Schauplätze, die so kunterbunt und vielfältig sind, wie andere es in hundert Jahren nicht erleben. Die stärksten Bilder, die aus den Teenagerjahren auftauchen, rufen die Goldgräberromantik des Wilden Westens in Erinnerung: Laura war mit 15 Jahren als Austauschschülerin einer Familie im nordkalifornischen Ort Shingle Springs zugeteilt worden. «Der Zufall wollte es, dass der legendäre Highway 50 an der berühmten, aber abgelegenen Sutters Mill vorbeiführt, wo der Schweizer Johann August Sutter einst die Kolonie Neu-Helvetien gründete.»
Zwar liegt Hollywood viele hundert Meilen weiter südlich; dennoch war Laura vom Wunsch beseelt, Schauspielerin zu werden. «Dabei ging es mir gar nicht um Ruhm und Ehre», sagt sie. «Mich faszinierte einfach die Idee, die Identität beliebig vieler Persönlichkeiten anzunehmen und verschiedene andere Lebensentwürfe mit meinem Leben zu verbinden.» Mit einer Nebenrolle im Schweizer Erfolgsfilm «Vitus» beendete Laura Hayek ihre Leinwand-Karriere. So nahm sie Ballettunterricht, belegte Theaterkurse, sammelte Prospekte und Unterlagen aller möglichen Schauspielschulen – und fand zu Hause dennoch kein Musikgehör: Der Vater mochte seine Tochter nicht unbeaufsichtigt durch den Wilden Westen ziehen lassen – und bestand darauf, dass Laura zurück in die Schweiz kommen und die Handelsschule abschliessen solle.
Heute schaut sie mit Besorgnis über den Grossen Teich: «Die anstehenden Präsidentschaftswahlen entlarven den Niedergang der USA – und es macht Angst, dass ein so marodes Land noch immer über so viel Macht verfügt.»
Grosse Tierliebe
Beim Biotop im elterlichen Garten nimmt ein Drama seinen Lauf, das bezeichnend ist für die beiden grossen Herzensanliegen der verhinderten Schauspielschülerin: Da ist auf der einen Seite die bedingungslose Liebe zum Mit-Lebewesen Tier. Sie gilt nicht nur dem Hund Nino oder der Katze Lola, die selbstverständlich vollwertige Familienmitglieder sind. Lauras Liebe gehört auch den Tieren in der freien Natur – und insbesondere jener Entenmutter, die offenkundig die Aufzucht ihrer ungeschlüpften Küken an die Menschenfrau delegiert hat. Auf der anderen Seite geht es um das Verantwortungsbewusstsein einer Mutter: Laura Hayek, die ihren zwölf Jahre alten Sohn und die achtjährige Tochter alleine aufzieht, sieht sich dennoch nicht als alleinerziehend. Sie hat Glück, dass ihre Familie – vor allem ihre Mutter – sie so bedingungslos unterstützt. «Ich achte darauf, dass die beiden Väter ihre Kinder regelmässig sehen. Es ist wichtig, dass die Probleme der Erwachsenen nicht zu jenen der Kinder gemacht werden. Jede Konstellation birgt ihre Herausforderungen, ob alleine, in einer Partnerschaft oder in der Ehe. Und wenn ich mir die beiden so anschaue, muss ich sagen: Ich habe nicht alles falsch, aber einiges richtig gemacht!»
Sie möchte auch die Namen der Kinder nicht in der Zeitung lesen: «Ich beschütze sie wie eine Löwenmutter», sagt sie. «Denn ich möchte sie so erziehen, dass sie starke Wurzeln haben – und weit fliegen können. Das ist nur möglich mit Stabilität, Kontinuität, Geborgenheit und der Pflege des Urvertrauens. Es muss uns als Eltern bewusst sein, dass wir mit unserem eigenen Verhalten einen den grössten Einflüsse auf die mentale Gesundheit der Kinder haben.»
Helle Aufregung herrscht bei den Kids, als die Mutter mit fünf Enteneiern nach Hause kommt. «Wir sind jetzt dafür verantwortlich, dass sie schlüpfen und überleben können», sagt die Mutter. «Megaspannend» finden die beiden die Rettungsaktion. «Wir legen die Eier gut gepolstert dort ins Regal bei der Heizung!» «Genau – aber nicht zu nahe; sie dürfen nämlich auch nicht zu warm haben.»
Nachdem der Traum von der Schauspielerei geplatzt ist, hat Laura Hayek – sehr zur Freude ihrer Eltern – das Handelsdiplom gemacht und ihre beruflichen Ambitionen von den schönen Künsten auf die nüchternen Finanzen verlagert, «wobei», schränkt sie ein, «auch die Finanz- und Wirtschaftswelt ihren Reiz hat».
Nicht im Traum hätte sie sich bis anhin vorgestellt, eines Tages in der Finanzwirtschaft Fuss zu fassen – «und dann», lacht sie, «hatte ich meinen ersten Job bei der Citibank!» Sie heuerte beim Verlagshaus Axel Springer an, das sich alsbald den Ringier-Verlag einverleibte – und Laura Hayek eine herbe Enttäuschung bescherte: «Nachdem ich schwanger geworden war und meine Tochter geboren hatte, eröffnete man mir nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs die Kündigung. Kurz darauf veröffentlichte das Ringier-Blatt ‹Blick› einen kritischen Bericht über skrupellose Arbeitgeber, die Mütter auf die Strasse stellen!»
Als Pächterin des «Dörflis» hat sich Laura Hayek vorübergehend einen alten Traum erfüllt: «Ich hatte schon immer mal in der Gastronomie Fuss fassen wollen.» Heute weiss sie, dass alles, was sie erlebt hat, genauso geschehen musste, damit sie dahin kam, wo sie ist. Seit zwei Jahren leitet Laura Hayek beim Web3 Asset Manager DCAP AG das Marketing. «Diese neue Industrie hat viel Potenzial, sie ist unglaublich spannend und inspirierend.»
Wie bringt sie das alles neben der Erziehung von zwei halbwüchsigen Kindern unter einen Hut? «Nicht zu vergessen», lacht sie, «der Hund will ja auch noch ausgeführt werden! Alles kein Problem: Nino begleitet mich am Morgen und am Abend beim Joggen und die Kinder sind schon ziemlich selbstständig. Wenn ich von etwas Ahnung habe, dann ist es das Organisieren!»
Während der Coronapandemie wurde ihr bewusst, wie wenig es braucht, um die Menschheit weltweit kollektiv in ihrer Freiheit einzuschränken. «Diese Erfahrung hat mich demütig werden lassen», sagt sie. «Heute bin ich mir sehr wohl bewusst, an welch schönem Ort wir leben, was wir alles haben – und wie gut es uns in Wahrheit geht. Und heute weiss ich, dass der Tag, an dem ich nichts mehr lerne, der letzte meines Lebens sein wird.»
Am nächsten Tag tut sich etwas im Büchergestell beim Heizungsradiator. Fieberhaft beobachten der Sohn und seine Schwester, wie die erste Eierschale aufreisst. Es dauert nicht lange und ein kleines braunes Fläumlein wird durch die geplatzte Schale erkennbar. Und dann ist es geschlüpft, das noch etwas hässliche, aber zusehends muntere Entlein.
Ähnlich spannend läuft das Geschehen bei einem zweiten Ei ab; doch es dauert nicht lange, bis der Winzling unter seiner Schale erschöpft mit einem letzten Zucken aufgibt.
Im Innern der drei anderen Eier ist es bedrückend ruhig geblieben. Da ist schon seit geraumer Zeit kein Leben mehr drin.
Aber einer hat es geschafft. Sehr behutsam legt Laura Hayek den kleinen Wasservogel nacheinander in die Hände ihrer Kinder. «Der heisst jetzt Alpha unico!»
«Was soll das denn bedeuten?», will der Junior wissen.
«Das bedeutet, dass er der Erste, der Beste und der Schönste ist – und vor allem: der Einzige!»
«Aber vielleicht», wendet die Tochter ein, «vielleicht ist es ja auch ein Meitli ...»
«Dann halt Alpha unica!»