Küsnachter Schweine leisten im Kampf gegen den Neophyten «Henrys Geissblatt» Pionierarbeit: Ende Dezember läuft in einem Zolliker Wald die Ausnahmebewilligung ab. Die Erkenntnisse nähren die Hoffnung, dass das Experiment 2025 fortgesetzt wird – im Küsnachter Goldbach-Quartier.
Hinter dem Friedhof im Zolliker Isenbühl-Quartier wird geschnaubt und gegrunzt, dass es eine Freude ist – und es wird gewühlt und gestampft, dass die Fetzen fliegen: Mit sichtlichem Spass und leidenschaftlichem Eifer ist eine Schweineherde damit beschäftigt, den Waldboden «zunderobsi» zu bringen.
Das Spektakel im Wald lässt keinen kalt: An sonnigen Wochenenden herrschte während der letzten drei Jahre – auf diesen Zeitraum ist das Projekt «Schweine gegen Neophyten» als Versuch bewilligt worden – fast schon so etwas wie Volksfeststimmung im Wildpark: Spaziergänger bleiben stehen, Biker steigen vom Sattel und Jogger legen eine Verschnauf-Pause ein, um beim Doppelzaun – der innere grenzt die nahezu zwei Fussballfelder umfassende Versuchsfläche ein, der äussere soll Wildschweine oder streunende Hunde fernhalten – das schweinische Treiben zu beobachten.
Bitte nicht streicheln!
Unterdessen erklären Eltern ihren staunenden Kindern, dass diese Schweine nicht gestreichelt werden wollen: Sie müssen nämlich arbeiten – oder besser: in den Krieg ziehen. Denn was aus der Schweineperspektive nach purer Freude aussieht, ist aus wissenschaftlicher Sicht ein veritabler Feldzug: Im Dienste und zu Gunsten der Biodiversität sollen die Schweine einem asiatischen Immigranten den Garaus machen, der in kurzer Zeit alle anderen Pflanzen verdrängen kann und im Biotop Wald die Alleinherrschaft anstrebt: Zwar ist «Henrys Geissblatt», wenn es blüht, durchaus hübsch anzusehen und deshalb noch bis vor kurzem in den Gartencentern zum Verkauf angeboten, seit kurzem aber als sogenannter invasiver Neophyt geächtet, aus dem Handel genommen und offiziell verboten worden.
Black Betty, die Grösste, Stärkste und Schönste, ist die Leitsau der kleinen Rotte. Dicht gefolgt von ihren Artgenossen, rammt sie den Rüssel ins weiche Erdreich und stemmt sich mit den Hinterläufen vom Boden ab. Eigentlich wollen sie nur fressen – und zwar so ziemlich alles, was der Wald hergibt; das kann durchaus auch mal eine Maus sein oder Leckerbissen wie Eicheln und Nüsse, die nicht nur verzehrt, sondern zum Teil auch vergraben werden müssen. Vor allem aber sind da die Tausenden von Rhizomen und Wurzeln und allerlei Grünzeug – ein wild wucherndes Schlingpflanzen-Gestrüpp, das den Waldboden mit einem kompakten immergrünen Teppich bedeckt – es ist «Henrys vermaledeites Geissblatt».
Der Biologe und Naturschützer Christian Wiskemann hat das unselige Gewächs schon lange im Visier – und er hat auch früh schon mit dem Gedanken gespielt, Schweine gegen den Neophyten einzusetzen. Für das «Naturnetz Pfannenstil», das sich für den Erhalt der Lebensräume für Fauna und Flora zwischen Zürichsee und Greifensee engagiert, nahm diese Idee konkret Gestalt an: «Vor allem Wälder und Auen in den Gemeinden Zollikon, Küsnacht und Zumikon sind von ‹Henrys Geissblatt› befallen», weiss er. Die grosse Frage war allerdings: Welche Schweine eignen sich am besten? Im Rahmen eines Projekts im Kanton Zug hatte er die Erfahrung gemacht, «dass dieser invasive Neophyt besonders gerne Feuchtgebiete rund um kleine Weiher besiedelt; also musste ich eine Schweinerasse finden, die das Wasser liebt».
Das perfekte Schwein
Und so wandte er sich an Nils Müller, jenen Küsnachter Bio-Bauern, der sich auf dem Hof «Zur Chalte Hose» weit über die Schweiz hinaus einen Namen als Pionier für tierschonende Weideschlachtung gemacht hat und dessen sanfte Tötungsmethode unterdessen auch gesetzlich legitimiert ist. Nebst seiner Angusrinderherde züchtet Müller auch Turopolje-Schweine, eine Rasse, die ursprünglich aus Kroatien stammt und bis vor einem halben Jahrhundert bis auf dreissig Tiere nahezu ausgestorben war. Vor allem aber lieben Turopoljes das Wasser. «Sie sind nicht nur sehr pflegeleicht und robust», weiss Müller, der von der Idee, seine Schweine gegen Neophyten einzusetzen, sofort begeistert war. «Sie sind auch grossartige Schwimmer – und können sogar tauchen!» Das gewöhnliche Hausschwein, so Müller, komme für das Neophytenprojekt schon deshalb nicht infrage, «weil es derart überzüchtet ist, dass es sich ausserhalb des klimatisierten Stalles eine lebensgefährliche Erkältung holen kann und bei der kleinsten Aufregung droht, einen Herzinfarkt zu erleiden». Auch Wildschweine seien kaum geeignet, findet der Küsnachter Revierförster Manuel Peterhans: «Die sind halt sehr rar in unseren Wäldern und eigenen sich auch ideal als Waldbewohner, aber bei den Bauern ausserhalb des Waldes sind sie halt gar nicht gerne gesehen – und werden deshalb intensiv bejagt.»
«Da ist unser Turopolje-Schwein der perfekte Kompromiss», sagt Züchter Nils Müller, «so robust wie die Wildsau und zugleich so freundlich wie ein Hausschwein.» Und fügt nach einer Pause an: «Und als Schinken auf dem Teller ist es kerniger und schmackhafter als alle anderen zusammen!»
Projekt für Küsnacht?
Unterdessen freut sich der Förster Manuel Peterhans auf das kommende Jahr, denn im Goldbach-Wald ist der Henry-Neophyt mindestens so verbreitet wie im Zolliker Isenbühl-Quarter. Küsnacht müsse das nächste Einsatzgebiet für Müllers Turopolje-Schweine werden. Zwar liege noch keine amtliche Bestätigung vor und man dürfe es auch noch nicht laut sagen, aber – und in dem Punkt sind sich Wiskemann, Müller und Peterhans einig – die Resultate des Versuchsbetriebs mit Ausnahmebewilligung seien so vielversprechend, dass man hell begeistert gewesen sei. Die Turopoljes hätten den Henry so rübisstübis ausgemerzt, dass eine reguläre Bewilligung, Neophyten mit Turopolje-Schweinen zu bekämpfen, «nur noch eine Formalität» sei – höchstwahrscheinlich ...»
Und so wird der Küsnachter Goldbach-Wald höchstwahrscheinlich zum «Schauplatz der nächsten Turopolje-Chilbi werden», freut sich Nils Müller auf seinen nächsten Pioniereinsatz. Die wahren Pioniere aber heissen Black Betty, die Chefin, ihre Freunde Rasender Rudi, Sausende Susi, Emma, Rodolfo – und Speedy, der Kleinste in Müllers Turopolje-Sextett.