Verspielte Wunderwerke der Technik

Erstellt von Elsbeth Stucky |
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In Küsnacht ist André Ginesta (81) eine Persönlichkeit, führt er doch das gleichnamige Familienimmobiliengeschäft seit 55 Jahren. Weniger bekannt ist, dass er historische Musikautomaten sammelt. Seine Ausstellung «Tanzende Puppen und singende Vögel» ist im Ortsmuseum Meilen zu erleben.

Wie kommt ein Immobilienhändler zur Faszination für historische Musikautomaten? André Ginesta nimmt sich Zeit, vor der persönlichen Führung für den «Küsnachter» durchs Ortsmuseum Meilen zu erzählen, was ihn daran so fasziniert. Auf einen Nenner gebracht sind es drei Dinge: die Technik, die Schönheit der Figuren und natürlich die Musik. 

Alles begann mit einem Erbstück. «Durch die Grosseltern meiner Frau kamen wir zu einem sogenannten Reproduktionsklavier», so der Küsnachter. Eine Rarität, die wieder belebt werden musste. «So flog ich zwei Experten aus den USA ein, und sie brachten den Flügel wieder zum Laufen.» André Ginesta und seine Frau Evelyne, beide in Küsnacht auf­gewachsen, leben heute in Männedorf ­inmitten ihrer historischen Sammlung. 

Ein magisches Erlebnis

Ein Teil der Sammlung ist jetzt im Ortsmuseum Meilen zu sehen. Ein magisches Ereignis mit «Tanzenden Puppen und ­singenden Vögeln» erwartet die Besucherinnen und Besucher. Für die Komplettierung der Ausstellung, so Ginesta, seien auch Leihgaben dabei.

Des Sammlers Begeisterung überträgt sich: «Stellen Sie sich vor, früher war ­Musik wenigen Menschen zugänglich. Spielte ein Drehorgelmann auf dem Dorfplatz, war es eine Sensation.» Obwohl ­Ginesta aus einer unmusikalischen Familie stammt, liebe er Musik und gehe viel in die Oper, meint er. 

An die Öffentlichkeit

Hauptsächlich haben Immobilien die Welt von André Ginesta bewegt. Und immer noch ist der 81-Jährige vier Tage die Woche in der familieneigenen Firma ­Ginesta Immobilien AG in Küsnacht anzutreffen. «Für spezielle Projekte», wie der Verwaltungsrat erklärt.  

1944 gründete Achilles Ginesta das ­Unternehmen in Küsnacht. «Mein Vater verkörperte Werte und war ein vorbildlicher Geschäftsmann.» André als ältester Sohn von sechs Kindern stieg mit 26 Jahren ins Geschäft ein. Nun steht sein Sohn Claude dem Unternehmen vor. 

Weit weniger bekannt dürfte Ginestas Leidenschaft für das Sammeln historischer Musikautomaten sein. Zum dritten Mal geht der Sammler in Meilen an die Öffentlichkeit. Das erste Mal waren es ­Musikdosen, einige Jahre später Orgeln. 

Die Frage, ob seine Frau seine Passion im gleichen Masse teile, amüsiert Ginesta. Mit erhobenem Zeigefinger sagt er: «Sie ist schuld, es war ihr Erbstück, das den Ausschlag gab.» 

Musikdosen als Exportartikel

Mit seinem eigens gedrehten Film stimmt Ginesta die Besucher auf das Thema des Tages ein. Seine vertonte Stimme schildert die geschichtliche Entwicklung und die verwendete Technik der Musikautomaten. Dann, beim Gang durch das Haus, wird klar: Puppen und Vögel vor gut 200 Jahren tanzten und sangen für bessere Kreise der Gesellschaft. Wie wichtig Musikdosen einst waren, darüber staunt der Laie. Der ehemalige Präsident des Vereins Schweizer Freunde mechanischer Musik erzählt, dass der Schweizer Export von Spieldosen einst 13 Prozent ausmachte. Zentrum der heimischen Spieldosenherstellung war nach Genf Sainte-Croix im Waadtland – dort, wo André ­Ginesta sein Welschlandjahr verbrachte und aufmerksam wurde auf die spielenden Dosen. Viele davon hätten früher den Weg zu Abnehmern im Orient ge­funden.

Auf Knopfdruck bringt der Sammler die Exponate in Bewegung. Es erklingt Musik, ein Karussell dreht sich, Puppen wiegen sich im Takt. Ein Teddybär produziert Seifenblasen, und der Maler Van Gogh malt seine Sonnenblumen. 

André Ginesta unterhält die Anwesenden aufs Beste, erzählt, wie Puppen den feinen Pariser Damen dienten, um die neuste Mode vorzuführen. Und wie Ziervögel anhand von Orgeln lernen sollten zu singen. «Denn eine Dame durfte nicht pfeifen.» Den «l’artiste peintre» nimmt ­Ginesta ins Gericht: «Schaut nur, was für ein Dandy, was für ein Wichtigtuer er ist.»  

Die grösste Beachtung dürfte der «Schreibende Automat» mit seiner Abc-Schreiberin finden. Sie wurde für die Ausstellung von Annette Beyer aus deren Puppenautomatensammlung in Zürich zur Verfügung gestellt. Die Abc-Schreiberin ist eine absolute Rarität. Es gibt weltweit nur vier solcher Automaten aus dem 18./19. Jahrhundert, die heute noch funktionieren.  

Am Ende der Führung wird klar: Der Ursprung der «Digitalisierung» liegt Jahrhunderte zurück, als man mit mechanischen Mitteln selbstspielende Musik und sich selbst bewegende Puppen schuf. Und so zeigt der Blick in die Vergangenheit Entwicklergeist von höchst verspielten Köpfen. Und genau dies möchte der 81-jährige Ginesta bewahren und mit der Ausstellung in Erinnerung rufen. «Eben als Ursprung der Digitalisierung», wie er sagt. Je ausgeklügelter ein Musikautomat war, umso kostbarer, umso beeindruckender. Das Geheimnis des Innenlebens sollte nicht offenbart werden, auch dies war ein Teil des Zaubers. 

Die Ausstellung im Ortsmuseum Meilen kann noch bis am 11. Dezember besichtigt werden. Ein Besuch ist nur mit Führung (gratis) möglich, die Objekte müssen ja in Betrieb gesetzt werden. Führungen alle 30 Minuten: An Samstagen von 13 bis 15 Uhr und an Sonntagen von 14 bis 16 Uhr nur auf Voranmeldung. Reservationen unter www.umfrageonline.ch/s/puppen