Tempus: Mehr als eine Schule

Erstellt von Manuela Moser |
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Die Schulgemeinde Küsnacht ist seit vielen Jahren Trägerin des Berufsvorbereitungsjahres im Bezirk Meilen. Neun Jugendliche, die aus ihrer Heimat flüchten mussten, erzählen hier in ihren Worten über die Herausforderungen, welche sie an der Tempus Schule packen können.

An der Tempus Schule in Küsnacht besuchen 120 Jugendliche das Berufsvorbereitungsjahr. Unter ihnen auch Schüler aus der ganzen Welt – so in zwei Klassen «Sprache und Integration» und in drei Klassen «Vorkurs Deutsch». Vorwiegend sind es junge Männer aus Afghanistan oder Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Eine eigene ukrainische Klasse wurde vor ­einem Jahr ins Leben gerufen und wird nach den Sommerferien wieder aufgelöst und in die anderen integriert. 

Lehrerin Tetiana German ist wie ihre 13 ukrainischen Zöglinge im Frühling 2022 in die Schweiz geflüchtet. Zusammen mit ihrem 17-jährigen Sohn lebt sie inzwischen in einer eigenen Wohnung. «Meine Schüler leben in einem Spagat. Ihnen geht es gut, andererseits wird dort, wo sie herkommen, alles kaputt gemacht.» Es sei deshalb wichtig, als Vertrauensperson für die Jugendlichen da zu sein. Die Kinder müssten gleichzeitig eine hohe Motivation mitbringen. «Sie schliessen ja gleichzeitig via Online-Studium auch ihre Ausbildung in der Ukraine ab.» Dies bedeute eine Doppelbelastung. Zugute komme den Schülern, dass die Ausbildung daheim wie auch hier in der Schweiz einen hohen Stellenwert geniesse. «Wir planen kurzfristig», so laute die Abmachung mit ihrer Klasse, «wir nutzen die Zeit für eine gute Ausbildung und es bleibt offen, ob wir einmal zurück nach Hause gehen.»

Auch für Marc Mouci, Klassenperson «Sprache und Integration», sind die Jugendlichen mehr als nur Lernende. «Es kommt schon mal vor, dass ich mitten in der Nacht eine SMS erhalte mit den Worten ‹ich kann nicht schlafen›.» Dann sei er auch mal Vaterersatz, schliesslich seien die meisten ohne ihre Eltern hier. «Oft haben sie auch viel Traumatisches auf der Flucht erlebt, über vieles können sie gar nicht reden.» Mouci stammt selbst aus dem Libanon; er ist als Elfjähriger wegen des Bürgerkrieges in die Schweiz gekommen; seine Mutter ist Schweizerin.

Tempus-Rektor Christian Süss ist zufrieden mit dem Ausbildungsweg, den seine Schule allen Jugendlichen nach der obligatorischen Schulzeit anbietet: «Wir müssen manchmal gegen einen schlechten Ruf ankämpfen – einige denken, wer das 10. Schuljahr besucht, habe es nicht geschafft, aber das stimmt nicht.» Wie am Gras könne man auch an Jugendlichen nicht ziehen. Manche bräuchten einfach mehr Zeit. Erfolg heisst für Süss, dass jedes Jahr über 95 Prozent der Jugendlichen nach der Tempus Schule eine Anschlusslösung haben.

Bohdan, 18

Mein Leben hat sich im letzten Jahr sehr verändert. Ich bin aus der Ukraine gekommen. Ich hatte dort ein gutes Leben und habe versucht, eine Rockband zu gründen, und träumte davon, berühmt zu werden. Alles war in Ordnung, aber nach dem ersten Luftangriff änderte sich alles: Explosionen, Schüsse, Feuer, Luftschutzbunker, Hass und Angst. Ich kam mit meiner Mutter in die Schweiz, mein Vater blieb zu Hause. Vorher dachte ich, die Schweiz sei ein Land in den Bergen mit hohen Preisen und strengen Regeln, und nachdem ich ein Jahr hier gelebt habe, kann ich dies nur bestätigen. Ich habe auch herausgefunden, dass in diesem schönen Land herzige Menschen wohnen. Es hat mich beeindruckt! Trotzdem, dieses Land erfordert eine gut durchgedachte Lebensstrategie. Aller Anfang ist schwer, aber man muss sich Mühe geben. Ich würde später gerne ein Geschäft in der Ukraine eröffnen.

Andrii, 17

Ich komme aus der nördlichen Ukraine, dem Zhytomyr-Gebiet, das reich an Wäldern, schönen Naturschutzgebieten und herzlichen Leuten ist. Ich bin hierher wegen des Krieges gekommen, als wir die ersten Angriffe seitens weissrussischer Grenze erlebt haben. Seit ich in der Schweiz lebe, besuche ich die Tempus Schule. Zuerst hatte ich keine Pläne, in der Schweiz zu bleiben, weil ich grosses Heimweh hatte. Aber mit der Zeit habe ich mich in die Schweiz verliebt. Dies hat mir Motivation gegeben, Deutsch zu lernen und eine Lehrstelle zu finden. Ich interessiere mich für Informatik und alles, was mit Computern zu tun hat. Deshalb möchte ich eine Lehrstelle in diesem Bereich bekommen. Im Allgemeinen ist es mein Ziel, eine tolle Arbeit zu finden, Geld zu verdienen und hier zu leben. Ich mag die Schweiz, aber ich werde mein Heimatland und meine Familie und meine Freunde nicht vergessen.

Nick, 21

Ich komme aus Thailand und bin vor einem Jahr und sechs Monaten in die Schweiz gekommen. Ich spreche drei Sprachen. Thai und Englisch. Deutsch ist meine dritte Sprache und es ist wirklich schwierig, aber ich denke, ich kann es lernen. Es dauert einfach eine Weile. Ich wohne in Maur, zusammen mit meinem Vater, der Schweizer ist. Wegen der Pandemie sind wir aus Thailand in die Schweiz gekommen, da dort der Lockdown sehr hart war und viele ihre Geschäfte schliessen mussten. Ich lerne jetzt seit eineinhalb Jahren Deutsch. Mein Wunsch ist es, eine gute Ausbildung und eine gute Zukunft zu haben. Ich denke sehr viel über Lehrstellen, die Arbeit, meine Zukunft und meine Familie nach.

In meiner Freizeit zeichne ich Bilder, mache Kunstwerke und höre Musik. In der Schule lerne ich Deutsch, Mathematik und arbeite mit Metall und Holz. Ich habe eine Lehrstelle als Heizungsinstallateur gesucht und zweimal geschnuppert. Dieser Beruf hat mir gefallen, aber die Eignungsprüfung war sehr schwierig. Leider habe ich die Lehrstelle nicht bekommen. Also habe ich dann als Koch geschnuppert und das hat mir auch sehr gefallen. Beim zweiten Anlauf hat es geklappt und ich fange im August als Koch EBA in Zürich an. Ich bin sehr froh, eine Lehrstelle gefunden zu haben. Die Suche hatte mich ziemlich gestresst.

Lale, 16

Ich bin ursprünglich aus der Türkei und vor zwei Jahren in die Schweiz gekommen. Aufgewachsen bin ich in Albanien und im Kosovo. Ich spreche bereits zwei Sprachen (Türkisch und Englisch) und lerne zurzeit zwei weitere Sprachen (Deutsch und Französisch). Ich wohne mit meiner Familie in Stäfa. Mein Wunsch war es, ins Gymnasium zu gehen, weil ich später Ärztin oder Wissenschafterin werden möchte. Leider habe ich die Prüfung knapp nicht bestanden, weil ich im Deutsch noch nicht so weit bin. Ich war dann sehr enttäuscht. Das Schulbildungssystem ist hier ganz anders als da, wo ich vorher gewohnt habe. Jetzt habe ich aber die Möglichkeit bekommen, im August an der Kantonsschule Uetikon als Hospitantin anzufangen. Das heisst, dass ich in Deutsch und Französisch eine längere Probezeit habe. Für mich ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen und ich werde alles tun, um später die Matura zu bestehen. Man soll seine Ziele, Wünsche und die Arbeit ernst nehmen. Es geht um die Zukunft. 

Ahmadshoaib, 17

Ich komme aus Afghanistan. Ich bin seit einem Jahr und etwa acht ­Monaten in der Schweiz. Zurzeit wohne ich in einer WG in Wollishofen und bin ohne Familie in die Schweiz gekommen. Ich lerne seit etwa einem Jahr Deutsch. Als Erstes habe ich die Aufnahmeklasse im MNA-Zentrum Lilienberg besucht, dann einen Deutschkurs in der Academia Schule und anschliessend ­einen Deutschkurs in der Migros-Klubschule. Seit August 2022 bin ich an der Tempus Schule im 10. Schuljahr in der Sprach- und Integrationsklasse und habe eine Lehrstelle oder ein Praktikum als Informatiker gesucht. Informatiker war schon immer mein Wunschberuf. 

Eine Lehrstelle als Informatiker zu finden, war aber sehr schwierig, weil ich keine Sekundarschule in der Schweiz besucht habe. Ich habe seit Schulbeginn sehr oft an die Lehrstelle gedacht und mir Sorgen gemacht. Jetzt habe ich eine Integrationsvorlehre als Informatiker an der ETH Zürich gefunden und bin sehr glücklich darüber. Ich mache mir aber schon Gedanken über die Zeit danach, weil ich keine Arbeitserfahrung habe. 

Die Schule hat mir bei der Lehrstellensuche geholfen und ich konnte ein paar Mal schnuppern. Ich hätte mir aber mehr Fächer gewünscht, die mich besser auf eine Ausbildung im Informatikbereich vorbereitet. 

Kateryna, 18

Ich bin am 10. März 2022 aus der Stadt Charkiw in die Schweiz gekommen. Während des Krieges habe ich zwei Wochen in dem Luftschutzkeller gewohnt, und jeden Tag die Explosionen gesehen und gehört. Mein Vater, der zu Beginn des Krieges in der Stadt Lutzk im Westen der Ukraine war, ist weiter nach Osten gefahren, um mich, meine Mutter und meine Katze von Charkiw abzuholen und nach Europa an einen sicheren Ort zu begleiten. Dann hat er sich als freiwilliger Soldat beworben und leider schon sein Bein im Kampf gegen die Russen verloren. Die ersten drei Monate haben wir bei einer wunderbaren schweizerischen Familie gewohnt. Diese Familie hilft uns noch bis heute, und wir sind ihnen sehr dankbar. 

Seit einem Jahr bin ich an der Tempus Schule. Ich freue mich, dass ich hier Deutsch lernen kann. Ich besuche auch einen Pferdestall, weil Pferde seit meiner Kindheit meine Leidenschaft sind. Mein Traum ist der Frieden und die Freiheit für mein Land, keine Schmerzen, kein Weinen von Kindern und keine verletzten Menschen. 

Ich mag es hier in der Schweiz. Die Leute sind freundlich und unterstützend. Trotzdem möchte ich nicht nur hier eine Lehre machen, sondern mich später auch in der Ukraine weiter ausbilden lassen. 

Maria, 17

Vor einem Jahr bin ich hier aus der Ukraine geflüchtet. Zu Beginn des Krieges haben wir zehn Tage im Keller ­verbracht, und nachdem meine Schwester und ich uns von meinem Vater und meinem Bruder verabschiedet hatten, begannen wir unsere sehr harte Reise durch Europa. In Rumänien trafen wir unsere Mutter. Jetzt ist meine Schwester mit unserem Vater und Bruder in der Ukraine, und meine Mutter und ich sind hier in der Schweiz. Wir rufen uns gegenseitig fast jeden Tag an. Unsere Familie ist im Moment gesplittet. Es war sehr schwierig, uns an einen neuen Ort anzupassen. Aber es war auch eine Erfahrung. Im Moment lerne ich Deutsch an der Tempus- Schule. Ich bin nicht schlecht in Sprachen, obwohl ich Deutsch kompliziert finde. Zurzeit beschäftige ich mich auch mit Musik. Mein Traum wäre es, in einem Orchester zu spielen. Dafür braucht es unendlich viel Mühe und Aufwand. Aber mit der Unterstützung meiner Lehrerinnen und meiner Familie scheint mein Ziel nicht mehr so weit entfernt zu sein. 

Iryna, 17

Ich heisse Iryna und komme aus Odessa im Süden der Ukraine. Seit ich in die Schweiz gekommen bin, ist mein Leben in zwei Teile aufgeteilt: vor und nach dem Krieg. Am Anfang war es wirklich schwierig. Ich hatte hier keine Freunde, also blieb ich den ganzen Tag zu Hause. Deshalb habe ich mich sehr ­gefreut über die Möglichkeit, an der Tempus-Schule zu lernen. Da gab es ein Aufnahmegespräch. Da habe ich meine Lehrerin, Frau German, kennen gelernt. Nach dem Gespräch mit dem Rektor wurde ich in die ukrainische Klasse aufgenommen. Ich war ausser mir vor Freude, als ich den Anruf erhalten habe. Ich bin sehr motiviert, Deutsch zu lernen. Jetzt bin ich in der Tempus Schule seit einem Jahr. Meine Ziele sind klar! Ich will meine Deutschkenntnisse verbessern und später in der Schweiz eine Lehre machen. Ich interessiere mich für den Gastgewerbebereich. Eine gute Ausbildung und Erfahrung braucht man überall. Irgendwann in der Zukunft würde ich meine Heimat gerne nach dem Krieg wieder aufbauen.

Illia, 19

Vor dem Krieg wohnte ich mit meiner Mutter und dem jüngeren Bruder in Sumy, im nordöstlichen Teil der Ukraine. Meine Heimat mussten wir wegen des Krieges verlassen. Es war hart. Wir hatten grosse Angst und viel Unsicherheit. Aber zum Glück konnte ich mich wieder fassen und hier eine neue Perspektive für mich finden.

Meine Ziele sind es, Deutsch zu lernen, einen Job zu finden und mit meiner Freundin ein glückliches Leben aufzubauen. In der Ukraine habe ich Gestaltung und Architektur an der Fachhochschule gelernt. Wir haben viele interessante digitale Projekte gemacht.

Ich denke, es ist meine Berufung, zu zeichnen und Videoprojekte zu machen. Ich hoffe, im Kanton Zürich eine Lehrstelle in diesem Berufsfeld zu finden. Nur mein Deutsch muss ich verbessern, was ich an der Tempus Schule im Vorkurs machen kann.