Dem Dorfbach entlang an 13 Stationen Halt machen, um viel über Küsnacht zu lernen: Das bietet der Audiowalk der Kulturellen Vereinigung und des Ortsmuseums. Über eine Internetseite spielt man die kurzen Hörspiele auf sein privates Handy. Autorin ist Kulturpreisträgerin Renate Muggli.
Am Küsnachter Horn wird es dann plötzlich ganz wirr und ganz laut wegen der vielen Stimmen aus der Vergangenheit und den Geschichten, die sie alle aus den alten Tagen der Ortes erzählen möchten, dem Delta, bei dem der Dorfbach in den Zürichsee mündet. Bis dann das Horn selbst eindringlich das Wort ergreift: «Ruhe, fort jetzt, ihr Wesen, zurück in eure Vergangenheit! Jetzt bin ich hier, und nur ich, das Horn von heute: Lasst die Menschen in Ruhe!» Renate Muggli ist heute noch sichtlich berührt, wenn sie von dieser Stelle erzählt, dem letzen und 13. Posten des Audiowalks «Zeitfluss – dem Dorfbach entlang», den sie choreografiert und zusammen mit der Kulturellen Vereinigung Küsnacht und dem Ortsmuseum ins Leben gerufen hat.
13 Stationen dem Dorfbach entlang
Jeder und jede – ausgerüstet mit dem eigenen Handy und am besten mit Kopfhörern – kann den Audiowalk zu jeder Stunde und jedem Tag selber ablaufen, im eigenen Tempo, und dabei viel über Küsnacht erfahren. Die einzelnen Sequenzen dauern weniger als fünf Minuten. Der rote Faden der nicht zusammenhängenden Geschichten ist der Dorfbach.
«Wir wollten in Küsnacht ein neues Angebot schaffen, das den Alteingesessenen genauso viel Interessantes bietet wie den Neuzuzügern», erzählt Martine Peyer von der Kulturellen Vereinigung. Sie hat die hauptsächliche Recherchearbeit übernommen. «Ich stützte mich dabei nicht nur auf die Küsnachter Jahrhefte und das Depot des Ortsmuseums, sondern auch auf die erzählten Geschichten, die sogenannte Oral History, die Erinnerungen der Dorfbewohnerinnen und -bewohner.» Eine Schatzgrube sei das «Mitschwätz-Bänkli» gewesen, so Muggli. Ein Angebot, das Elisabeth Abgottpon vom Ortsmuseum vor zwei Jahren ins Leben gerufen hat und welches die Küsnachterinnen und Küsnachter seither zum spontanen Erzählen von vergangenen Geschichten einlädt. «41 Seiten Informationen sind auf diese Weise zusammengekommen.» Nebst Museumsleiterin Elisabeth Abgottspon hat auch Regina Neukom von der Kulturellen Vereinigung mit Peyer zusammen mitgesammelt. «Wir wussten, jetzt müssen wir jemanden finden, der dieses Wissen dramaturgisch vermitteln kann.»
Lebendige Szenen
Die Wahl fiel auf Renate Muggli, Mitgründerin der Küsnachter Theatergruppe Die Kulisse, Gründungsmitglied des schweizerischen TAG (Theater am Gymnasium) und ehemalige Kulturpreisträgerin von Küsnacht (2011). Die heute 69-jährige Muggli gab auch jahrelang Theaterkurse an der Kanti Küsnacht und organisierte zwei Freilichttheater in Küsnacht – eins handelte von der katastrophalen Überschwemmung 1778, an die auch im Audiowalk an einer Station erinnert wird.
Die stark mit Küsnacht verbundene Muggli nahm sich also der kolossalen Aufgabe an, die 41 recherchierten Seiten aus Fakten und Oral History für ein Publikum interessant zu inszenieren. «Beim Durchspielen von Möglichkeiten und Unmöglichketien kristallisierte sich die Auflage meiner Arbeit heraus», erzählt sie jetzt, sitzend im Garten des ehemaligen Restaurants Ochsen – dort, wo am Stammtisch wichtige Persönlichkeiten aus dem damaligen Küsnacht bei Wein und Bier über Politik und Schulwesen diskutierten. «Ich wollte lebendige, hörspielartige Szenen schreiben, keine durchgehende Geschichte.»
Die Zuschauer sollten überrascht und unterhalten werden. Und es sollten nicht nur Menschen, sondern auch Dinge oder Wesen sprechen. Einmal ist es sogar eine künstliche Intelligenz, die aus der Zukunft zu uns redet. Alles sollte zudem familienfreundlich werden, aber auch anspruchsvoll für die Erwachsenen sein. «Mir war klar, dass ich all diese Auflagen nicht am Schreibtisch unter einen Hut bringen würde», erzählt Muggli weiter. «Ich musste den Rundgang durch Küsnacht selber unter die Füsse nehmen.»
Und so begab sich Muggli auf den Weg entlang des Baches, startend auf dem Steg beim Tobelausgang bis zum Walkende, dem Horn beim Delta. Bei jeder der 13 vorselektionierten Hörspielstationen machte sie Halt und lauschte, was der Ort ihr erzählen wollte. «Ich fragte mich, was sehe, was höre, was rieche und was fühle ich – und was für Infos habe ich zu diesem Ort.» Der Gang dauerte so statt der eineinhalb Stunden deren sechs. Herausgekommen ist ein sinnlich-lebendiger Rundgang, den ein Kind im Gespräch mit dem Dorfbach beginnt, wo Vergangenheit (Bachüberschwemmung) auf die Gegenwart (Musikschule und Kind) und auf die Zukunft trifft (dabei spielt das Kind als Sinnbild die Zukunft).
Am Schluss des Walks, bei der 13. Station am Horn, fühlte sich Muggli auf ihrem Erkundungsweg selber müde. «Der Rundgang erschöpfte mich», erzählt sie, «so geht es den Zuhörern wohl auch, und ich spürte diesen Ort mit den rauschenden Bäumen und dem glitzernden See, der kühlende Wind tat mir gut.»
Was dann passierte, war mehr ein supernaturales Erlebnis. «Ich sass da mit der Frage, wohin mit den vielen Infos über diesen Ort», erzählt die Autorin. Und lacht ihr jugendliches Lachen, die Zuhörerin längst in ihrem Bann. Muggli verrät das Geheimnis: «Ich musste nur gut zuhören. Die Infos kamen als Wesen der Vergangenheit auf mich zu und erzählten mir ihre Geschichte.» Die 18 Sprecherinnen und Sprecher des Audiowalks sind übrigens Mitglieder der Schauspielgruppe Die Kulisse sowie Kinder und Jugendliche aus der Musikschule Küsnacht und Thalwil. Mit Tontechniker Andrea Wullschleger gingen sie alle für zwei Tage ins Tonstudio um aufzunehmen.
Aber zurück zum Küsnachter Horn: «Schau den herrlichen grossen Bäumen zu, wie sie im Wind wiegen», sagt das grosse Wesen, das Horn selbst, zum Schluss, es ist die Stimme von Dominique Barth, «setz dich in den Sand und bau dir ein eigenes Horn!» Es ist, so viel verrät Renate Muggli noch, die Lieblingsszene der Autorin. Nämlich da, wo sich die Vergangenheit mit der Gegenwart und der Zukunft vereint.
Wer den Hörspiel-Spaziergang «Zeitfluss – dem Dorfbach entlang» der Kulturellen Vereinigung Küsnacht in Begleitung der Autorin Renate Muggli erleben will, hat am Samstag, 7. September, Gelegenheit dazu. Der Walk startet um 14 Uhr und dauert bis circa 15.30 Uhr. Renate Muggli erzählt dann noch mehr über den spielerischen Ansatz des aktuellen Projekts. Start des Walks ist im Ortsmuseum am Tobelweg 1 in Küsnacht. Schluss ist am Küsnachter Horn.