Sie gehen zusammen auf Sagenjagd

Erstellt von Damjan Bardak |
Zurück

Andreas Wullschleger und Simon Berginz arbeiten in ihrem Podcast «Sagenjäger» mittelalterliche Geschichten des Kantons auf. Zuletzt waren sie auch in Küsnacht auf Sagenjagd. Darüber erzählen die Podcaster in ihrer neuen Staffel «Zürichsee».

Damjan Bardak

In einer kleinen Höhle, die sich mitten im Küsnachter Tobel befindet, lebt ein blutroter Drache. Dieser verbreitet Angst und Schrecken in der ganzen Bevölkerung. In und um Küsnacht zerstört er Häuser, Wälder und Felder – zumindest, wenn man der Sage um den Fledermausstein Glauben schenkt. Heute ist das Tobel ein ­beliebtes Ziel für Wanderungen und Exkursionen. «Dass hier ein schrecklicher Drache lebt, ist aufgrund der Schönheit des Tobels schwer vorstellbar», sagt Andreas Wullschleger, der gebürtige Erlen­bacher, lachend. Dennoch finden die Moderatoren die Sage über den Drachen vom Küsnachter Tobel eindrücklich, als sie bei ­ihrer Recherche auf eine Natur­katastrophe stossen, die Küsnacht Ende des 18. Jahrhunderts traf.

Der Erzählforscher Sebastian Dümling bestätigt den Moderatoren in seiner ­Expertise, dass es Hinweise gibt, welche ­darauf deuten, dass die Sage und das ­Naturereignis zusammenhängen.

Als Küsnacht überschwemmt wurde

Aufgrund eines heftigen Unwetters er­eignete sich im Jahr 1778 eine Überschwemmung, die in Küsnacht 63 Menschen das Leben kostete. Ausgehend vom Tobel häufte sich im Dorfbach Küsnachts Wasser an, das das Ufer überschritt und mit rasendem Tempo ins Dorf hinun­terfloss. Zahlreiche Gebäude wurden zerstört, und grosse Teile Küsnachts waren nicht mehr erkennbar.

«Die Menschen konnten sich nicht erklären, wieso sie eine solche Katastrophe traf», sagt Simon Berginz. Somit hätten sie Erklärungen geschaffen, um ihr fürchterliches Schicksal zu verarbeiten. Die Gottesfürchtigkeit habe dabei eine zentrale Rolle gespielt, da die Menschen die Flut als Strafe ansahen, so Berginz.

Aus heutiger Sicht stehe dieser Drache für die Natur beziehungsweise für deren unberechenbare Gewalt, der Küsnacht schon einmal unterlag. Simon Berginz ist überzeugt: «Die Katastrophe von 1778 muss die Entstehung dieser Sage beeinflusst haben.» Anders kann er sich nicht vorstellen, wie die Küsnachter Bevölkerung auf diesen Drachen gekommen sei. Für die Podcaster ist die Sage vom Fledermausstein einzigartig, da sie selten eine so eindeutige Parallele zwischen einem Ereignis und einer Erzählung sahen.

Schweiz ist Hochburg für Sagen

In der Schweiz habe sogar das kleinste Dorf eine Sage, sagt Wullschleger. «Die ­Geschichten liegen hierzulande zahlreich bereit, um erzählt zu werden.» ­Sagen für ihren Podcast zu finden, fiele ihnen aufgrund des vielen Erzählstoffs, welchen die Schweiz bietet, einfach. An die Geschichten gelangen die beiden durch Sagensammlungen oder die Datenbank der Märli-Stiftung. In besonderen Fällen werden ihnen die Geschichten sogar erzählt. Für die Sage über die Geissenhenker mussten sie zum Beispiel nach Erlenbach, damit ­ihnen der Sigrist der reformierten Kirche die Geschichte mitteilt. «Diese Sage erzählt der Sigrist seinem Nachfolger, wenn dieser in Pension geht», sagt Berginz. Auf diese Art werde die Geschichte übermittelt.

Wer aber denkt, dass Sagen ausschliesslich in ländlichen Gebieten erzählt werden, der täuscht sich. Allein über die Stadt Zürich könnten die beiden einige Folgen produzieren. Wullschleger sagt dazu: «Zürich ist eine geschichtsträchtige Stadt und verfügt somit auch über viele Sagen.» Doch haben sie sich ­explizit dagegen entschieden, nur in der Stadt auf Jagd zu gehen, und stattdessen Staffeln zu verschiedenen Regionen erstellt.

Begonnen haben sie in Zollikon, sind dann nach Winterthur und ins Zürcher Oberland gegangen und behandeln in ihrer aktuellen vierten Staffel Geschichten rund um den Zürichsee. «Bis jetzt ­haben wir die Grenze des Kantons Zürich noch nicht überquert», sagt Berginz. ­Allerdings wünschen sie sich, in Zukunft auch Folgen in alpinen Gebieten erstellen zu können. Sie würden sich selbst nicht eingrenzen wollen, aber durch regional strukturierte Staffeln schaffen sie Ordnung.

Während Radiozeit kennengelernt

Viele Jahre arbeiteten der gebürtige Erlenbacher Andreas Wullschleger und der Winterthurer Simon Berginz zusammen beim Radio Zürisee. «Dort haben wir uns kennengelernt und sind über die Zeit gute Freunde geworden», sagt Wullschleger.

Im Herbst 2020 begannen sie mit der Produktion des Podcasts «Sagenjäger» und veröffentlichten seither vier Staffeln. Nach einem Jahr gründete Andreas Wullschleger die Podcast-Agentur Ellie Media mit Sitz im Seefeld, bei der sich sein Kollege Berginz später anschloss. Über die Jahre haben sie sich eine treue Hörerschaft erarbeitet, die die Beiträge der beiden schätzt. «Zuvor gab es keinen Podcast in der Schweiz, der sich nur auf Sagen fokussierte», sagt Berginz. Es sei zwar ein nischenhaftes Thema, doch für jede und jeden wäre eine spannende Geschichte dabei.

Weitere Informationen zum Podcast: www.sagenjaeger.ch