«Schöner wäre es, nicht zu fusionieren»

Erstellt von Robin Walz |
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Der Handwerks- und Gewerbeverein Erlenbach (HGE) steht ohne Präsident da. Vizepräsident Stefan Escher spricht über die Schwierigkeiten, engagierte Vorstandsmitglieder zu finden, und darüber, was das für die Zukunft des Vereins bedeutet. 

Herr Escher, der langjährige HGE-Präsident Peter Blatter hat per April 2024 seinen Rücktritt bekanntgegeben. Haben Sie einen Nachfolger gefunden? 

Stefan Escher: Bis jetzt haben wir niemanden. Wir sehen uns schon länger um und haben diverse Leute angefragt, aber wir sind noch nicht fündig geworden. 

Als Vizepräsident wären Sie ein möglicher Kandidat.

Nein, mir wäre das zu viel Aufwand. Ich habe noch andere Aufgaben, sei das in weiteren Organisationen, in denen ich im Vorstand oder im Stiftungsrat vertreten bin, oder im eigenen Geschäft. Als HGE-Präsident hat man auch Verpflichtungen mit dem Bezirks- und Kantonsgewerbeverband sowie diverse Präsidententreffen. Häufig starten diese bereits um 17 Uhr. Ich habe aber ein Geschäft mit Präsenzzeit und will dieses nicht hinter ein solches Amt stellen. Hinzu kommt, dass ich auch noch eine Familie habe. Solange die Kinder klein sind, möchte ich so wenig wie möglich weg sein. 

Wäre eine Frau wünschenswert? Im Vorstand sind nur Männer …

Natürlich. Tatsächlich hatten wir bisher im HGE-Vorstand noch nie eine Frau. Am liebsten hätten wir eine junge Person. Es läuft aber wohl darauf hinaus, dass es ­jemand sein wird, der oder die sich vom Berufsalltag schon etwas zurückgezogen hat. Das ist auch sinnvoll, denn so ist man flexibler und kann sich mehr auf das ­Präsidiumsamt fokussieren. 

Mit wie viel Zeitaufwand muss eine künftige Präsidentin oder ein künftiger Präsident rechnen?

Ein Pensum zu nennen, wäre unseriös. Es gibt viele administrative und organisatorische Aufgaben. Und bezüglich Aufwand setzen wir nach oben natürlich keine Grenzen. 

Was würde passieren, wenn man ab April keine Nachfolge hätte?

Dann würde ich als Vizepräsident die ­Generalversammlung durchführen, die dann im April 2025 stattfindet, und das Nötigste erledigen. Einige Aktivitäten müssten wir in diesem Fall aber wohl runterfahren. Den Gewerbeverein auflösen möchten wir jedoch auf keinen Fall. Alle, die dabei sind, haben Spass. Aber die Bereitschaft für ein Engagement hat eher abgenommen. 

Auch in Herrliberg scheint der Gewerbeverein Schwierigkeiten zu haben, das Präsidentenamt neu zu besetzen. Und im Vorstand tun sich ebenfalls leere Reihen auf. Was sind die Gründe dafür?

In der Gesellschaft hat das Engagement für öffentliche Tätigkeiten generell stark abgenommen. Die Freizeitgestaltung ist viel individueller organisiert. Ich habe auch das Gefühl, dass die Work-Life-Balance wichtiger geworden ist. Heute sagt man eher, die Karriere muss nicht mehr voll forciert werden. Einige reduzieren ihr Arbeitspensum, wollen dann aber nicht noch zusätzliche Vereinsverpflichtungen übernehmen. 

Braucht es heutzutage in einer stark ­globalisierten Welt überhaupt einen ­lokalen Gewerbeverein? Ist das noch zeitgemäss?

Lange gab es bei Kundinnen und Kunden den Trend, in billigen Discountketten einzukaufen. Covid hat das verändert. Das Interesse an Detaillisten, die lokal produzieren und zugänglich sind, hat zugenommen. Das ist hoffnungsvoll.

Was gibt es für Vorteile für Firmen, die bei Ihnen Mitglied sind?

Das sind diverse Aspekte, die je nach Person und Geschäft verschieden gewichtet werden. Für mich ist das Wichtigste, dass man die anderen Geschäfte in Erlenbach kennt und sich austauscht. Das hält das Dorf zusammen. Es geht ums Vernetzen und ums Gemeinschaftsgefühl. Ich finde, das ist viel wert. Zudem ist diese Vereinigung auch ein politisches Organ, denn der lokale Gewerbeverein ist dem Bezirks-, dem Kantonal- und dem Schweizerischen Gewerbeverband angeschlossen. Insbesondere der Schweizerische Gewerbeverband ist eine der wichtigsten Stimmen in Bundesbern, wenn es darum geht, das Gewerbe in wesentliche Entscheide einzubinden. Der Gewerbeverband setzt sich für die Interessen von allen Gewerbetreibenden, KMUs und Selbstständig­erwerbenden ein.

Für Sie wäre aber die politische Ver­tretung in Erlenbach wichtig. Sitzt im ­Gemeinderat ein Gewerbler beziehungsweise läuft der Austausch mit der poli­tischen Gemeinde gut? 

Da gäbe es bestimmt noch grosses Potenzial. Ich denke zum Beispiel an die Mitgestaltung der Kriterien, nach welchen die Gemeinde Aufträge an Fremde oder eben ortsansässige Unternehmen vergibt.

Sie zählen derzeit 70 aktive Mitglieder. Wie können Sie weitere dazugewinnen? 

In Erlenbach sind etwa 400 Firmen gemeldet, also besteht auch hier noch ein grosses Potenzial. Am besten geht man bei den Leuten persönlich vorbei und hakt nach. Denn für die meisten ist die Mitgliedschaft im Gewerbeverein keine Dringlichkeit. Grundsätzlich sind sie aber gewillt, beizutreten. Deshalb muss man mit ihnen sprechen und auch gleich den Anmeldezettel in die Hand drücken, sonst geht das im Alltag wieder unter. Das braucht aber auch einfach Zeit, die uns fehlt. 

Und wie kann man diejenigen Mitglieder, die man schon hat, bei Stange halten?

Wir haben viermal pro Jahr einen Lunch. Im Sommer organisieren wir zudem die Tavolata, welche die Bevölkerung sehr schätzt. Dann gibt es noch den Samichlaus im Herbst. Und am Beach-Fondue, das jeweils im Winter von einem ehe­maligen Vorstandsmitglied organisiert wird, kann man auch teilnehmen. Solche Gemeinschaftserlebnisse kommen gut an. Es gibt auch Mitglieder, die zwar ihren Beitrag zahlen, aber schon seit Jahren nicht mehr aktiv teilnehmen. Wir schätzen die Zahlungsbereitschaft, die Passivität ist jedoch schade.

Ist ein Mitgliederschwund feststellbar?

Es gab über die letzten zehn Jahre eine Mitgliederreduktion von rund 10 Prozent. 

Was ist der Höhepunkt im Vereinsjahr 2024?

Die Tavolata. Die findet jeweils im Sommer draussen statt. Es gibt eine über ­hundert Meter lange Festbank, die von Gewerblern oder teils Vereinen aus ­Erlenbach bedient wird. Sie können sich präsentieren und vor allem der Gemeinschaft etwas zurückgeben. Das kommt auch bei der Bevölkerung gut an.

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung des Vereins?

Früher war das Engagement eher grösser. In den vergangenen Jahren hat sich das etwas stabilisiert. Ich habe das Gefühl, es bleibt so. Langfristig ist die Frage, ob die verschiedenen Gewerbevereinen in den Gemeinden fusionieren müssen. 

Wäre eine solche Verschmelzung mit anderen Gewerbevereinen von Ihrer Seite wünschenswert?

Mir wäre lieber, wir fänden einen neuen Präsidenten, der sich auch Zeit nehmen möchte und Lust hat, den Gewerbeverein Erlenbach weiterzuentwickeln. Vermutlich werden wir aber früher oder später keine andere Möglichkeit haben. 

Vorerst müssen Sie an der anstehenden GV im April nicht nur den scheidenden Präsidenten ersetzen, sondern auch ein weiteres Vorstandsmitglied finden. Sandro Gianesi tritt nach 13 Jahren zurück …

Mit seinem Austritt gehen grosses Wissen über Erlenbach und eine tiefe Verwurzelung verloren. Zudem ist es im Vorstand ein Abschied von einer engagierten Persönlichkeit. Gianesi bleibt dem Verein aber erhalten, und so, wie ich ihn kenne, wird er, wenn nötig, sicher immer Hand bieten. Ich glaube sogar, der HGE-Sami­chlaus läuft weiterhin unter seiner Führung.