Letzter Arbeitstag nach 40 Jahren

Erstellt von Monika Abdel Meseh |
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Nach fast 40 Jahren unterrichten geht Martin Härtner in Pension. Morgen ist sein letzter Arbeitstag als Lehrer an der Küsnachter Sekundarschule Zentrum an der Rigistrasse. Er erinnert sich, wie anders die Schule früher noch war. Heute prägt auch der Lehrermangel den Alltag.

In vielen Kantonen beginnen Ende Woche die Sommerferien. Damit ist ein weiteres Schuljahr vergangen. Für die meisten Kinder und Lehrerinnen und Lehrer geht es nach der Pause weiter; aber nicht für alle. Manche Kinder schliessen die Schule ab; und manche Lehrpersonen werden pensioniert, so auch Martin Härtner. 

«Vor fast 40 Jahren bin ich an dieser Schule hier in Küsnacht gelandet und wollte nicht mehr weg», sagt der Lehrer lächelnd. Seine erste Festanstellung wurde zu seiner Lebensanstellung. Gefallen hat ihm am meisten die Art seiner Schüler und die gute Beziehung zu deren Eltern. «Ich habe sofort gemerkt, die Eltern sind nicht gleichgültig eingestellt und suchen das Gespräch, wenn es bei ihrem Kind schulisch nicht so gut läuft», erzählt der gebürtige Winterthurer. 

Als Vater von nunmehr zwei erwachsenen Söhnen kann er sich nämlich besonders gut in die Lage der Eltern versetzen und ihre Sorgen verstehen. Aber auch die Schülerinnen und Schüler sehen in ihm eine Vertrauens- und Bezugsperson. «Es ist wichtig, dass man seine Art vor der Klasse nicht verstellt. Manchen wird sie passen, anderen wiederum nicht.»

Fest steht, dass nicht nur Schüler ihre Lieblingslehrer haben, sondern auch umgekehrt. Und dennoch relativiert Martin Härtner bestimmt: «Natürlich gibt es Kinder, mit denen man sich besser versteht als mit anderen, aber jedes Kind muss sich respektiert und beachtet fühlen. Lehrer sind für alle da.»

Der Lieblingsmoment ist Ende Sek

Auf die Frage, ob er sich an einen Lieblingsmoment erinnert, muss er erst mal überlegen. Kein Wunder, denn in seinen fast 40 Jahren als Lehrer für Mathematik, Geografie, Naturwissenschaften und Bildnerisches Gestalten hat er viele Erinnerungen mit seinen Jahrgängen gesammelt. «Ich glaube, es ist jeweils der letzte Schultag der dritten Klasse, wenn du siehst, wie aus den Kindern junge ­Erwachsene geworden sind. Da sind immer sehr viele Emotionen im Spiel», erzählt Martin Härtner, der dieses Jahr seinen 65- jährigen Geburtstag gefeiert hat. 

Diesen konnte er eigentlich all die Jahre geheim halten, doch in seinem letzten Jahr haben ihn seine Schüler und Kollegen mit einer Geburtstagsfeier überrascht. Dies war nicht seine einzige Feier. «Die Eltern und die Schüler haben für mich auch eine Abschiedsfeier organisiert, an die meine Frau auch eingeladen wurde. Es gab Reden, einen Apéro und einen riesigen Berg an Geschenken.»

All diese Wertschätzung zu bekommen, zeigt ihm, dass er etwas richtig gemacht haben muss. Allgemein sieht Martin Härtner eine grosse Veränderung zu früher. «Den Lehrpersonen wird sowohl von Schülern als auch den Eltern mit viel mehr Respekt begegnet als früher.» 

Woran das wohl liegen könnte? «Ganz einfach, wir Lehrer haben auch viel mehr Verständnis für unsere Schüler und ihre Probleme und versuchen den Eltern auf Augenhöhe zu begegnen», erklärt er. 

Zudem sei die gesprächsorientierte Kultur, die derzeit an den meisten Schulen herrsche, eine grosse Hilfe in schwierigen Situationen, wie etwa in der Corona-Zeit. Da war Martin Härtner als Lehrperson nicht nur im Schulzimmer gefragt. Während der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 war der persönliche Kontakt untereinander abgebrochen und Homeschooling war angesagt. «Das war für alle Beteiligten eine Umstellung. Die Stoffvermittlung musste ganz anders ablaufen und das nötige Know-how mussten wir uns erst mal aneignen», so der Mathematiklehrer. Inzwischen hat sich der Schulalltag wieder normalisiert, aber die Digitalisierung ist nun noch mehr Teil der Unterrichtsmethoden. Damit hätte sich auch die Gestaltung der Schulstunden stark verändert. «Der Lehrplan ist sehr strikt, es bleibt kaum Zeit für spontane oder aktuelle Themen», erklärt er. Besonders in dem Fach Geografie, welches er am liebsten unterrichtet, wären aktuelle Themen für Schüler jedoch am interessantesten. 

Lehrermangel ist ein Problem

Auch diese Sekundarschule ist vom Lehrermangel betroffen, besonders jetzt, wo viele Lehrer in Pension gehen, manche Stellen auslaufen und die Schülerzahl zunimmt. «Es herrscht eine sehr grosse Fluktuation. Viele wurden eingestellt, obwohl sie nicht die richtige Ausbildung für den Beruf haben», meint der 65-­Jährige. 

Diese Personen würden dann intern ein Coaching von den Lehrern erhalten, die schon länger dabei sind. Dieses stelle für beide Parteien einen enormen Aufwand dar. «Es ist keine Belastung, aber wir haben einfach die zeitlichen Ressourcen dafür nicht. Viele der Neuangestellten merken dann, dass das Unterrichten und der ständige Kontakt zu Kindern doch nichts für sie ist.» Die Schüler und Schülerinnen bräuchten aber Lehrer, die nicht nur Stoff vermittelten, sondern auch eine gewisse Empathie aufbringen könnten. 

Für viele Eltern sei es nämlich oft eine Niederlage, wenn ihre Kinder in der Sekundarschule landeten, so Härtner. «Der Druck ist da, dass Kinder eher auf ein Gymi sollen und wollen. Die gesellschaftliche Struktur in Küsnacht ist einfach so aufgebaut. Daher ist es wichtig, eine Verbindung zu Kindern und Eltern zu haben und ihnen zu zeigen, dass es mehrere Optionen gibt», erklärt Martin Härtner. 

Leere Agenda 

Dieser Kontakt mit den Schülern wird dem Lehrer in Zukunft fehlen. Besonders traurig ist er darüber, seine jetzige Klasse nicht zu ihrem Abschlussjahr führen zu können. «Ich schaue mit einem lachenden und einem weinenden Auge meiner Schulzeit hinterher. Ich bin mir aber sicher, dass sie das schaffen.»

Konkrete Pläne für seine Pensionszeit hat er noch keine. Er hofft auf mehr Flexibilität und eine leere Agenda, sodass er mehr Zeit hat für seine Hobbys. «Es wartet keine Weltreise auf mich, aber ich werde sicher einige Städte besuchen, mehr Zeit im Garten verbringen, lesen, fotografieren und einfach meine freie Zeit geniessen», sagt er schmunzelnd. 

Morgen wartet auf ihn noch sein letzter Arbeitstag, erfüllt mit Abschieden, Umarmungen und vielleicht einigen Tränen, dann geht der beliebte Lehrer in seinen wohlverdienten Ruhestand.