Lädelisterben in Erlenbach geht weiter

Erstellt von Karin Steiner |
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Mit dem Eisen- und Haushaltwarengeschäft Schmid + Co. AG verschwindet ein weiteres alteingesessenes Fachgeschäft aus dem Dorfzentrum von Erlenbach. Fast 40 Jahre lang leitete die Familie Helbling das «Haus fürs Haus», das für die Bevölkerung viel mehr als ein Fachgeschäft war.

In vielen Regalen im grossen, hellen Laden an der Bahnhofstrasse 25 herrscht bereits gähnende Leere. Dass das Ende bevorsteht, ist nicht zu übersehen. «Wir suchten intensiv nach einem Nachfolger, der das Geschäft übernimmt, aber das ist ein Ding der Unmöglichkeit», sagt Edgar Helbling, der den Familienbetrieb gemeinsam mit seinen Schwestern Mirella Helbling und Elvira Tentor-Helbling leitet. «Es ist harte Arbeit, wir führen eine breite Palette an Produkten, da braucht es einiges an Fachwissen und Erfahrung. Ausser ein paar Wochen Ferien waren wir immer anwesend, und an den Wochenenden stand der Einkauf auf dem Programm. Das wollen die Jungen wohl nicht mehr auf sich nehmen.» 

Zwei Generationen im Einsatz

Im Jahr 1949 gründete Rudolf Schmid das Eisenwarengeschäft, das er und seine Familie jedoch nie selber leiteten. 1956 wurde der erst 22-jährige August Helbling eingestellt. Er war mit Leib und Seele Verkäufer und engagierte sich für das Weiterkommen des Geschäfts, so dass er 1962 zum Geschäftsführer avancierte. Er eröffnete die Haushaltsabteilung, begann Lehrlinge auszubilden, wurde Prüfungsexperte und konnte 1985 das Geschäft von der Familie Schmid übernehmen. Unterstützt von seiner Gattin Maria war er bis 2017 aktiv im Betrieb. 1988 trat der gelernte Maschinenmechaniker Edgar Helbling in das elterliche Geschäft ein, 1995 folgte seine Schwester Mirella Helbling und 1996 die zweite Schwester Elvira Tentor-Helbling, und seit 2011 gehört Arlette Walt zum beständigen Team.

Flexibles Verkaufssortiment

In den Jahrzehnten ihres Wirkens hat die Familie Helbling das Sortiment stetig an die Bedürfnisse der Kundschaft angepasst und viele Verkaufsschlager angeboten, von Dampfkochtöpfen, Spielwaren wie Lego und Tinky-Toy-Autos, Schlittschuhen und Eishockeystöcken über Solarlampen bis zu den beliebten Gartenschuhen «Crocs». Von Messern, Werkzeug für den Handwerker, Dekoartikeln fürs Haus, Gartenmöbeln, Sonnenschirmen und Grills gab es ein so breites Angebot, dass das Schmökern in den Regalen zum Einkaufserlebnis wurde. 

In den vergangenen Jahren sei der Überlebenskampf jedoch immer härter geworden, sagen die Geschwister Helbling. «Zum einen machen uns die Grossverteiler mit ihrem günstigen Konkurrenzangebot zu schaffen, zum anderen der Internethandel», sagt Mirella Helbling. «Immer schwieriger wurde auch die Zusammenarbeit mit den Lieferanten, die teilweise nur noch in grosser Stückzahl liefern», ergänzt Edgar Helbling. «Doch dank der Solidarität unserer Kundschaft sind wir immer gut über die Runden gekommen. Statt auf Rabatte setzten wir auf Qualität und Dienstleistungen. Dazu gehörte es auch, der Kundschaft die Ware nach Hause zu liefern und vor Ort zu installieren. Auf diese Art haben wir auch Corona gut überstanden.»

Beliebter Treffpunkt im Dorf

In Erlenbach sind in den letzten Jahren immer mehr Fachgeschäfte eingegangen, zum Beispiel die Bank, die Bäckerei, der Blumenladen. «Den Verlust eines Geschäfts bekommen immer auch die umliegenden Läden zu spüren, denn dadurch gibt es weniger Frequenz», so Edgar Helbling. Aber die Schmid + Co. AG war für die Erlenbacherinnen und Erlenbacher stets viel mehr als nur ein Fachgeschäft. Es war ein Treffpunkt, wo man auch Zeit hatte für einen Kaffee und ein Gespräch. «Viele Jahre lang übernahmen wir den Vorverkauf für Veranstaltungen in der Gemeinde, zum Beispiel für die Volksbühne», erzählt Elvira Tentor-Helbling. «Dadurch entstanden schöne Kontakte. Unser Geschäft bot eine Beständigkeit im Dorf – wir waren immer da.»

Noch bis zum 30. September ist der Laden geöffnet – alles wird mit Rabatt verkauft. «Für den Rest habe ich einen Abnehmer gefunden», so Edgar Helbling. Die drei Geschwister lösen danach die Firma auf und gehen in den wohlverdienten Ruhestand. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge, betonen sie. «Wir waren schon als Kinder stets hier bei unseren Eltern im Geschäft. Wir werden den Laden vermissen wie auch die Kontakte zu unserer treuen Kundschaft.»

 

BOX: Das Kaufverhalten der Kundschaft bestimmt das Angebot

Die alteingesessenen Fachgeschäfte, die im Erlenbacher Zentrum nach und nach eingehen, sind ein Verlust, denn sie spielen auch eine wichtige Rolle für das Zusammenleben in der Gemeinde. Dieser Ansicht ist auch Gemeindepräsident Philippe Zehnder: «Jeder Laden ist immer auch ein Treffpunkt, wo sich Bewohnerinnen und Bewohner austauschen können. So gesehen ist jeder Verlust eines ­Ladens auch ein Verlust für das soziale Leben im Dorf.

Als Hauptursache für das Verschwinden sieht er nebst Schwierigkeiten bei der Nachfolgeplanung das veränderte Kundenverhalten. «Kundinnen und Kunden suchen sich die einfachste und günstigste Form einer Dienstleistung oder eines Produktes aus. Mit den neuen Technologien haben sich neue Möglichkeiten im Verkauf eröffnet, die das Kundenverhalten in bestimmten Branchen bereits nachhaltig verändert haben.» Auch im Gemeinderat sei das Lädelisterben ein Thema. «Selbstverständlich überlegen wir uns als Gemeinderat, wie wir dem Lädelisterben entgegentreten können. Schlussendlich entscheiden aber die Kunden, was und wo sie einkaufen. Wir versuchen als Gemeinde, wo immer möglich, das lokale Gewerbe zu unterstützen. Letztendlich muss es für den Ladenbetreiber auch finanziell rentieren. Der schönste Laden nützt nichts, wenn er keinen Gewinn abwirft. Durch den Strukturwandel ist die Lage nicht einfach, aber gute Konzepte sind bei uns immer willkommen.»

Allerdings gab es mit «Juliette – pain d’amour» an der Bahnhofstrasse auch eine Neueröffnung. Lässt das auf einen Trendwechsel hoffen? «Ob ein neues Geschäft erfolgreich sein wird oder nicht, hängt hauptsächlich davon ab, ob die verkauften Dienstleistungen oder Produkte den zukünftigen Kundenbedürfnissen entsprechen oder nicht. Mit neuen und cleveren Geschäftsideen und mit pfiffigen Konzepten schliesse ich einen Trendwechsel nicht aus.»

Auch der Handwerks- und Gewerbeverein Erlenbach bestätigt, dass in den letzten Jahren ein Gesellschaftswandel stattgefunden hat. «Die Leute wollen bequem alles an einem Ort einkaufen oder online bestellen», sagt Vizepräsident Stefan Escher. «Aber bei manchen Fachgeschäften wie bei meinem Optikergeschäft braucht es eine persönliche Beratung. Solche Geschäfte waren auch von Corona viel weniger betroffen – im Gegenteil, in der Agglomeration von Zürich haben die Leute während der Pandemie wieder vermehrt im Dorf eingekauft, weil sie im Homeoffice arbeiteten und immer zu Hause waren.» Im Gewerbeverein stellt Stefan Escher keinen dramatischen Rückgang von Geschäften fest. «Manche haben altershalber aufgehört, aber es sind auch immer wieder neue dazugekommen. Ich sehe die Entwicklung grundsätzlich nicht negativ.» (ks.)