Kontroverse: Soll sich die Gemeinde einmischen?

Erstellt von Manuela Moser |
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Soll der Gemeinderat sich bei kantonalen Abstimmungen mit einer Wahlempfehlung einmischen? Zurückhaltung sei sehr empfohlen, sagt das Bundesgesetz, aber wenn ein besonderes Interesse nachgewiesen werden könne, gelte die Ausnahme.

Am 3. März stimmt die Bevölkerung des Kantons Zürich über den Bau eines durchgehenden Uferwegs ab. Im letzten «Küsnachter» hat der Küsnachter Gemeinderat zu dieser Volksinitiative («Für öffentliche Uferwege mit ökologischer Aufwertung») wie auch zur geplanten Pistenverlängerung Stellung genommen. Er empfiehlt ein Nein bei ersterem Geschäft und ein Ja bei den Pistenverlängerungen. 

«Darf er das?», fragen sich einige Küsnachterinnnen und Küsnachter. «Mir scheint es ziemlich unüblich, dass sich eine Kollektivbehörde mit einer Abstimmungsempfehlung – notabene für eine kantonale Abstimmung – an die Bevölkerung wendet», heisst es da in einem aktuellen Leserbrief. Und:  «Brauchen wir Empfehlungen vom Gemeinderat für kantonale Vorlagen?» In seiner regelmässigen Parteikolumne «Aus der Küsnachter Politik» geht SP-Präsident Ueli Häfeli noch einen Schritt weiter. «Ich frage mich ernsthaft, ob der Gemeinderat legitim handelt, wenn er in eine Abstimmungsvorlage eingreift, um die Eigentumsrechte einer kleinen Minderheit von Seeanstössern und Seeanstösserinnen zu schützen.»

Komplexe Frage

«Die Frage lässt sich nicht abschliessend beantworten», sagt Alexander Locher, juristischer Sekretär bei der Direktion der Justiz und des Innern beim Kanton Zürich. Er verweist auf das «Merkblatt zur Intervention von Gemeinden bei kantonalen Volksabstimmungen» vom Februar 2020, das er mitverfasst hat. Darin heisst es wörtlich: «Die Teilnahme einer Gemeinde an einem kantonalen Abstimmungskampf wird gemäss steter Rechtsprechung des Bundesgerichts als zulässig erachtet, wenn die Gemeinde unmittelbar und im Vergleich zu anderen Gemeinden besonders stark betroffen ist.» Eine Gemeinde darf sich nicht «unverhältnismässig» einmischen, sondern muss sachlich informieren, «damit die Stimmberechtigten ­ihren Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Meinungsbildungsprozess treffen können». 

Laut Bundesgericht kann eine Gemeinde also eine «besondere Betroffenheit» geltend machen. Locher kann nicht beurteilen, ob eine solche im konkreten Fall Küsnacht vorliegt,  letztlich müsste dies ein Gericht anhand aller Umstände  entscheiden. Kommt erschwerend dazu, dass beide Wahlempfehlungen der Gemeinde Küsnacht anders gelagert sind: Bei der Pistenverlängerung geht es um eine kantonale Vorlage, und die Gemeinde stellt sich mit ihrem Ja auf keine Abwehrhaltung. «Dieser Fall ist im besagten Merkblatt nicht geregelt», so Locher weiter. Es sei dort nur der Fall erörtert, in dem eine untergeordnete Einheit – also die Gemeinde – sich gegen eine Abstimmungsvorlage der übergeordneten Einheit – des Kantons – stellt. In jenem Fall ist für eine Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung vorausgesetzt, dass sich die Gemeinde am sogenannten Gemeindereferendum beteiligt hat. 

Anders ist es bei der Uferinitiative. «Da handelt es sich um eine Volksinitiative aus der Bevölkerung, und dieser Fall ist im besagten Merkblatt kein Thema.» Kurz und knapp, schliesst Locher: «Ich rate zu Zurückhaltung, aber verboten ist die Einmischung grundsätzlich nicht, sofern die Gemeinde eine besondere Betroffenheit geltend machen kann.»

Erlenbach und Herrliberg

Ein Blick auf die Nachbarsgemeinden zeigt, dass sich Herrliberg und Erlenbach mehr zurückhalten. Gaudenz Schwitter (FDP), Gemeindepräsident Herrliberg, verweist auf Art. 32 Abs. 2 der Schweizer Bundesverfassung, welche das Recht der freien Willensbildung gewährleistet. «Ich vermag kein besonderes Bedürfnis der Herrlibergerinnen und Herrliberger zu erkennen, dass der Herrliberger Gemeinderat in Sachen Uferinitiative daher eine offizielle Abstimmungsempfehlung zu fassen hätte», meint Schwitter weiter. Die gleichen verfassungsrechtlichen Vorgaben würden auch für Abstimmungsempfehlungen einzelner Behördenmitglieder gelten. Im Fall der Vorlage zur Pistenverlängerung verweist Schwitter auf die Gemeindekonferenz des Bezirks Meilen, der – just Anfang dieser Woche – eine Empfehlung für die Pistenverlängerung herausgegeben hat.

In Erlenbach tönt es ähnlich, wenn nicht noch etwas klarer. Gemeindepräsident Philippe Zehnder (parteilos): «Bei der Uferinitiative und bei der Pistenverlängerung handelt es sich um kantonale Vorlagen. Die dafür zuständigen Behörden, nämlich Regierungsrat und Kantonsrat, haben ihre Abstimmungsempfehlungen den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern bereits kommuniziert.» Der Gemeinderat Erlenbach sei weder zuständig noch beauftragt, kantonale oder sogar nationale Vorlagen zu beraten und dem Souverän seine Empfehlungen abzugeben. «Der politischen Ordnung halber steht es mir mit der Kraft meiner Funktion als Gemeindepräsident nicht zu, die öffentliche Meinung mit meiner persönlichen Haltung zu beeinflussen.» Er habe also volles Vertrauen darauf, dass der Souverän mit den Argumenten der Befürworter und der Gegner am 3. März die richtigen Entscheidungen treffen werde.

Küsnacht sieht Interesse

Küsnacht schätzt die Ausgangslage anders ein. Der Gemeinderat befasse sich regelmässig bei kantonalen Vorlagen mit der Frage, welche Auswirkungen diese auf die Gemeinde beziehungsweise die Küsnachter Bevölkerung hätten. Gemeindepräsident Markus Ernst (FDP): «Ist seiner Ansicht nach die Gemeinde oder die hiesige Bevölkerung von einer Vorlage besonders betroffen, bezieht der Gemeinderat in der Regel öffentlich Stellung dazu.» 

Dass die Gemeinde Küsnacht zumindest für die Ablehnung der Uferinitiative ein hohes Interesse geltend machen würde, ist wahrscheinlich gegeben. Wie die «Zürichsee-Zeitung» Anfang Woche schrieb, wären in Küsnacht hohe Zahlungen fällig, laut Gutachten hinter Kilchberg und Thalwil mit geschätzten 76,6 Millionen Franken die dritthöchsten. Das ist aber nicht der Preis für die Baukosten der Wegabschnitte und Uferaufwertungen, sondern für die Landkäufe und Entschädigungen von Privaten, die vom Uferwege betroffen wären. Aber genau hier finge der Streit dann von neuem an: Laut Befürwortern ist die Gültigkeit dieser Konzessionen umstritten, die Beiträge allenfalls eben doch nicht so hoch.Manuela Moser