Seit zehn Jahren lenkt Andreas Homoki (63) die Geschicke des Opernhauses in Zürich. Im Interview spricht er über seine Absicht, das Haus für alle zu öffnen, und erzählt, was ihm in Küsnacht, wo er seit vier Jahren wohnt, besonders gefällt.
Herr Homoki, Sie haben aus dem traditionellen Opernhausball ein Kostümfest gemacht. Was bewegte Sie zu dieser Idee?
Wir wollten ein neues Format ausprobieren. Das Opernhaus ist ja eine fantastische Kulisse für Opernaufführungen.Gewisse Menschen haben aber Schwellenängste vor dieser Hochkultur. Sie denken, die Oper sei etwas Vornehmes. Ich finde das Quatsch. Oper muss genauso zugänglich sein wie jede andere Kulturform. Auch als Regisseur inszeniere ich immer so, dass Menschen, die zum ersten Mal in die Oper gehen, möglichst viel verstehen. Öffnung war deshalb von Anfang an mein Thema.
Seit zehn Jahren sind Sie als Intendant in Zürich tätig. Wie hat sich das Thema Öffnung im Programm widergespiegelt?
Da ist es Öffnung im Sinn von Hinausgehen: Wir haben zum Beispiel die Live-Übertragung «Oper für alle» unter freiem Himmel. Sobald der Platz vor dem Opernhaus fertiggestellt war, fingen wir damit an. Wir veranstalten jedes Jahr ein grosses Fest im ganzen Haus und in den Werkstätten. Wir haben unsere Vermittlungsprogramme für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und führen ganze Schulklassen vor einer Vorstellung an die Oper heran. Es gibt zudem sehr viele Möglichkeiten gerade für junge Menschen, vergünstigt an Karten zu kommen.
Oper ist ziemlich teuer.
Ja, Oper ist teuer. Sie kostet sehr viel Geld, weil einfach viele Menschen – Orchester, Chor, Ballett, Ensemble, Technik und viele weitere – jeden Abend für 1100 Zuschauende pro Vorstellung arbeiten.
Ist Ihnen diese Öffnung gelungen?
Ich denke, ja. Heute zum Beispiel ist ein Drittel der hier anwesenden Gäste noch nie zuvor im Opernhaus gewesen. Das Kostümfest ist also ein weiterer Schritt. Wir wollten spasshaft und «down to earth» daherkommen und nannten uns auch deshalb nicht mehr Ball. Ball tönt ja auch so sophisticated.
Ist das Publikum heute Abend jünger als sonst jeweils am traditionellen Ball?
Ja, ich habe den Eindruck. Es ist sicher ein sehr lebendiger Event. Zudem waren wir schnell ausverkauft.
Sie sind als Torero verkleidet?
Ja, erst wusste ich nicht, als was ich gehen soll. Dann bin ich in unseren Kostümfundus gegangen, wo es Kleider gibt, die aktuell nicht mehr gebraucht werden. Die Damen, die das verwalten, hatten mir das Kostüm schon bereit: «Du gehst als Torero!» (Lacht.) Ich hatte keine Wahl.
Fühlen Sie sich wohl darin?
Ja, sehr. Es fühlt sich gut an, ein bisschen wie ein Frack, aber nicht ganz so anspruchsvoll.
Der Verkauf mit den Kostümen vor dem Fest war eine gute Idee. Viele haben sich da noch mit Kleidern eingedeckt.
Ja, das war speziell. Fundusverkäufe machen wir zwar immer wieder, aber normalerweise nicht dort in Oerlikon, wo der Fundus tatsächlich ist. Sondern regelmässig alle paar Jahre gibt es einen grossen Kostümverkauf hier am Opernhaus. Die Schlange reicht jeweils bis zum Bellevue.
Woher das Interesse, was meinen Sie?
Ich habe schon das Gefühl, dass das Opernhaus in Zürich sehr wahrgenommen wird. Die Leute spüren, dass da was Interessantes passiert.
Als Sie 2012 in Zürich die Intendanz übernahmen, machten Sie zur Spielzeiteröffnung ein grosses Fest.
Ja. Und es gab Getränke und Grillwürste. Es ging darum, zu sagen: «Hallo, wir sind da – kommt zu uns, wir beissen nicht.» Das Fest veranstalten wir seither jedes Jahr zur Saisoneröffnung.
Ihr Vorgänger Alexander Pereira war seit 21 Jahren Intendant, als sie ihn ablösten. «Der Manager geht, der Künstler kommt», hiess es damals. Sie kündeten an, dass Sie von Pereira lernen wollten, so viel Sponsoringgelder zusammenzubringen wie er. Ist Ihnen dies gelungen?
Alexander hat damals sehr viel aufgebaut. Daran konnten wir eigentlich gut anknüpfen. Kurz bevor er ging, kam der Einbruch wegen der Finanzkrise. Von da mussten wir dann wieder anfangen, doch wir sind sehr gut unterwegs. Der Verwaltungsrat ist zufrieden, der Kanton ist zufrieden, also bin ich auch zufrieden (lacht) . Ich habe kluge Köpfe im Team, die das Sponsoring können. So kann sich mein Kopf auf die Kunst konzentrieren.
Sie hatten mit Corona eine schwierige Zeit. Wie haben Sie überlebt?
Alle hatten ja zu kämpfen. Wir konnten in der Zeit keine Einnahmen generieren, was doch 30 Prozent unserer Gelder ausmacht. Wir gingen in Kurzarbeit, bekamen Geld von unseren Trägern. Aber nicht vollständig. Alle Mitarbeitenden haben auf 10 bis 20 Prozent ihres Lohns verzichtet, dadurch konnten alle weiterarbeiten.
Sie fanden dann kreative Lösungen, trotzdem aufzuführen ...
Ja, wir haben das Orchester vom Graben ausgelagert in den Probenraum und von dort in den Zuschauerraum übertragen, so auch den Chor. Vor etwa 80 Prozent der üblichen Zuschauerinnen und Zuschauer konnten wir 2020 auf diese Weise doch spielen. Das war weltweit einmalig.
Das war tatsächlich sehr kreativ.
Da bin ich meinem Team sehr dankbar. Wir haben damals ja auch live gestreamt, teils sehr prominent mit Arte, teilweise selber.
Ist das Publikum seither wieder zurückgekommen?
Manche Menschen sind vorsichtiger. Aber das Ganze erholt sich zunehmend. Wir sind noch nicht ganz an dem Punkt vor Corona, aber glücklich, dass es wieder funktioniert und wir auf einem sehr guten Weg sind. Theater geht ja nur, wenn Menschen da sind.
Nebst der Öffnung, wo liegt ein weiterer Schwerpunkt von Ihnen?
Ich lege starken Wert darauf, dass alle Menschen, die an einer Aufführung beteiligt sind, wahrgenommen werden. Also nicht nur die, die an der Rampe stehen – Solisten, Stars, Ensemblesänger –, sondern auch der Chor, das Orchester im Orchestergraben, die Kolleginnen und Kollegen hinter der Bühne, welche die Deko, die Kostüme, die Bühne gemacht haben. Jede Aufführung bedeutet eine unglaubliche logistische Hintergrundarbeit. Als Intendant und Regisseur muss man diesen Spirit von Gemeinsamkeit kreieren können.
Davon könnte sich jede Firma eine Scheibe abschneiden. Wie machen Sie es?
Indem ich versuche, Bescheid zu wissen, was die Leute machen. Als Intendant mit 600 Mitarbeitenden kann ich natürlich nicht alle persönlich kennen, und trotzdem übernehme ich für jeden Einzelnen und jede Einzelne die Verantwortung. Ich bin halt der, der vorne steht. Wenn es blöd läuft, stellt sich der Chef hin, wenn die Torte geflogen kommt. Dafür wird er schliesslich bezahlt.
Sie sind noch bis 2025 da, dann gehen Sie. Was ist der Grund ?
Dann bin ich 13 Jahre hier, das ist genug. Wie sagt man so schön? Man muss aufhören, wenn es am besten schmeckt oder am schönsten ist. Nicht darauf warten, bis es heisst: Wann geht der eigentlich?
Was sind Ihre weiteren Pläne?
Ich bin ja nicht von Haus aus Intendant. Ich bin ein künstlerischer Mensch auf der Suche nach künstlerischer Betätigung und habe schon vor langer Zeit zur Arbeit als Regisseur gefunden. Das werde ich auch weiterhin machen.
Bleiben Sie in Küsnacht wohnen?
Das werden wir sehen.
Gefällt es Ihnen denn dort? Sie sind ja vor vier Jahren von Zollikon nach Küsnacht gekommen.
Mir gefällt es sehr! Küsnacht ist ein intaktes Dorf. Natürlich gibt es diese massive Zersiedlung wegen der Villen wohlhabender Menschen. Und doch ist das Dorf schön, und man trifft sich.
Haben Sie Kontakte in Küsnacht?
Ich habe sehr nette Nachbarn. Ansonsten bin ich in der Stadt besser vernetzt. Das ist ja nur zehn Minuten mit dem Auto.
Was ist Ihr Lieblingsort in Küsnacht?
(Überlegt.) Hm, eigentlich unten, da am Wasser bei der «Sonne», dieser Biergarten und überhaupt der ganze Weg zum Küsnachter Horn. Und dann da oben, wo ich wohne, diese Spaziergänge. Ich wohne ja eingangs des Küsnachter Tobels, beim Alexanderstein. Küsnacht ist eigentlich ein ganz eigener Kosmos, Natur spielt eine grosse Rolle.Interview: Manuela Moser