«Influencer sind ja oft keine Experten»

Erstellt von Pascal Turin |
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Die Mäzenin Ellen Ringier gründete vor über 20 Jahren das Elternmagazin «Fritz+Fränzi». Herausgeberin der Zeitschrift ist die Stiftung Elternsein, die sich mit ihren Erziehungsratgebern an Mütter und Väter richtet. Von der Paradies-Stiftung wurde sie mit dem Preis von 150 000 Franken ausgezeichnet.

Interview: Pascal Turin

Ellen Ringier, die Paradies-Stiftung zeichnet zwar offiziell Ihre Stiftung Elternsein aus, aber eigentlich ist es doch ein Preis für Ihr Lebenswerk. Liege ich da richtig?
Ich engagiere mich seit 30 Jahren für Stiftungen aller Art. Darum haben Sie wahrscheinlich recht und die Paradies-Stiftung will mit diesem Preis auch mein Lebenswerk auszeichnen.

Was bedeutet Ihnen der Preis persönlich?
Ich bin es nicht so gewohnt, Preise zu ­erhalten, sondern welche zu verteilen. Da gibt es eine Art Hemmschwelle. Ausser dem Bildungspreis der Pädagogischen Hochschule Zürich habe ich eigentlich noch nie einen wichtigen Preis erhalten. Und der Preis der Paradies-Stiftung ist eine wirklich grosse Anerkennung.

Weshalb ist er eine grosse Anerkennung?
Weil ich gesehen habe, wer im Verlauf der letzten Jahre den Preis erhielt und welche Institutionen gefördert worden sind. Das sind Institutionen wie die Winterhilfe, bei denen ich sagen muss, dass die wirklich zur Verbesserung des Lebens von vielen Menschen beitragen. Ausserdem ist der Preis ausserordentlich hoch dotiert. Preise von anderen Stiftungen sind vielleicht 20 000 oder mal 30 000 Franken. Aber 150 000 Franken sind enorm viel Geld.

Wie kamen Sie auf die Idee, die Stiftung Elternsein zu gründen?
Ich stieg mit 40 Jahren aus dem Anwaltsbüro aus, für das ich damals arbeitete. Ich war etwas enttäuscht von meiner Arbeit, die oft gegen meinen Wertekodex ging. Die Arbeitszeiten liessen sich zudem einfach nicht mehr mit dem Familienleben vereinbaren.

Haben Sie sich auch einen Wechsel in eine andere Anwaltskanzlei überlegt?
Nein. Ich hatte zwar damals nie etwas von Work-Life-Balance gehört, aber ich wusste einfach nicht mehr, wo oben und unten war. Zudem hatte man als Frau des Verlegers so viele Anlässe mit Präsenzpflicht und ich hatte immer den Wunsch, mich für Nonprofit-Organisationen einzusetzen. Ich muss aber vorausschicken, dass ich schon vorher viele ehrenamtliche Tätigkeiten übernommen habe, zum Beispiel unentgeltliche Rechtsberatung in der Zürcher Frauenzentrale. Das war neben meiner Arbeit im Anwaltsbüro nicht immer einfach.

Und dann haben Sie die Stiftung Elternsein gegründet?
Die Stiftung gründete ich 2001, als meine Kinder zehn und zwölf Jahre alt waren. Bis dahin hatte ich natürlich schon viele Elternabende erlebt und festgestellt, dass viele Eltern nur nach dem Bauchgefühl erziehen. Extrem gesagt «eine Ohrfeige hat noch nie jemandem geschadet». Dabei gab es schon damals so viele neue Erkenntnisse in der Kindererziehung. Ich merkte einfach, dass ich die Elternbildung fördern musste. Auf Englisch nennt sich das «parent empowerment».

Worauf sind Sie rückblickend stolz?
Sie fragen ja dann sicher auch noch, was ich nicht erreicht habe ... Stolz bin ich auf die rund 250 000 Leserinnen und ­Leser, die wir mit dem Elternmagazin «Fritz+Fränzi» monatlich erreichen. Das ist ein Erfolg in der deutschsprachigen Schweiz. Elternbildung ist zu einem Thema geworden. Also wenn ich politisch etwas verändern könnte, ich bin ja vor vielen Jahren für ein Promi-Ticket in den Nationalrat angefragt worden ...

Welche Partei hat Sie angefragt?
Die FDP. Ich hätte jedoch nicht nach Bern gekonnt, ich hatte einfach keine Zeit. Aber was es aus meiner Sicht braucht, ist ein Familienministerium. Die Familienpolitik ist ja dem Eidgenössischen Departement des Innern zugeordnet. Ein Innenminister hat aber sehr viele verschiedene Aufgaben, die alle wichtig sind. Die Familienpolitik ist nur ein Bereich von vielen. Doch so, wie Kita-Kosten aufgegleist sind oder auch die Förderung von Mädchen in mathematischen oder technischen Fächern in der Schule, haben wir in der Schweiz noch grosses Potenzial in der Familienpolitik. Wobei es sich enorm verbessert hat.

Aber Mädchen werden doch jetzt aktiv in den sogenannten Mint-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, gefördert.
Es ist besser geworden, das sehe ich schon. Wenn jetzt ein Mädchen kommt – quasi eine kleine Pippi Langstrumpf –, das ganz einfach laut wird in der Schule, weil es in der Mathematik gefördert werden will, dann wird es auch gefördert. Aber es ist nicht so, dass Mädchen flächendeckend aktiv gefördert werden. Es braucht neben den Lehrpersonen auch die Eltern. Gerade die Eltern müssen umdenken.

Zu diesem Umdenken kann sicher auch Ihr Magazin «Fritz+Fränzi» beitragen.
Absolut.

Was haben Sie mit Ihrer Stiftung nicht erreicht?
Ich habe mir drei Ziele gesetzt: Erstens dieses «parent empowerment» und zweitens das Netzwerken. Ich habe mir das so vorgestellt, das alle Elternbildungsorganisationen im «Fritz+Fränzi» vorkommen. Doch das war sehr harzig, die haben das zum Teil gar nicht geschätzt.

Hat jede Organisation einfach ihr eigenes Gärtchen, das sie bewirtschaftet?
Ja, genau. Das ist typisch für die Schweiz. Also das Netzwerken hat überhaupt nicht geklappt. Mein drittes Ziel war, dass alle Lehrpersonen das Magazin kostenlos erhalten sollen. Da habe ich zum Glück die Unterstützung sowohl des nationalen Lehrerverbands als auch des nationalen Schulleiterverbands erhalten. Die Lehrpersonen hätten es jedoch gern gesehen, wenn es keine Inserate im Magazin gegeben hätte. Aber das war total unrealistisch. Ich kann nicht ein Budget von fast vier Millionen Franken jedes Jahr nur mit Abos und Spenden stemmen.

Aber ein grosser Teil kommt aus dem Fundraising, rund 80 Prozent der Auflage von «Fritz+Fränzi» wird gratis verteilt. Gehen Sie zum Spendensammeln immer noch persönlich von Tür zu Tür?
Nein, aber ich habe ganz allein angefangen. Jetzt hilft uns eine tüchtige, fest angestellte Fachfrau.

Nur mit Inseraten und Abos könnten Sie das Magazin also nicht finanzieren.
Nein. Die Inserate machen knapp einen Drittel der Einnahmen aus, die Abos ebenfalls. Ein weiterer Drittel wird durch Spenden finanziert.

Warum arbeiten Sie nicht enger mit dem Verlag Ihres Mannes Michael Ringier zusammen?
Ich habe meinem Mann von Anfang an gesagt, dass ich unabhängig sein möchte. Ausserdem hat er gemeint, er verliere bei den Ringier-Print-Titeln, vorab mit Magazinen, sowieso schon genug Geld.

Sie haben Konkurrenz vom Magazin «Wir Eltern», aber auch im digitalen Raum von Family-Influencern, die vielleicht nicht immer so ausgewogen berichten wie «Fritz+Fränzi». Wie gehen Sie damit um?
Wir machen einfach unsere Aufgabe, so wie wir sie für richtig finden. Von mir aus kann es Hunderte solcher Magazine oder Influencer geben. Gerade die Influencer sind ja oft keine Experten, ausser sie sind Professoren.

Aber vielleicht mögen Eltern gerade diese unkomplizierte Art der Influencer, die in Videos Ratschläge zur Erziehung geben.
Das muss man geschehen lassen. Mit unseren Inhalten können Influencer nicht mithalten. Zudem sind wir seit drei Jahren an einer Digitalstrategie. Letztes Jahr haben wir fünfzig Kurzfilme produziert. Die Vorgabe war, dass man die Filme im Tram schauen kann, von einer Station zur anderen. Diese hochkarätigen Videos sind übrigens alle gratis zu sehen.

Apropos Videos: Wie sollen Eltern mit den Gefahren im Internet umgehen?
Die Eltern müssen unbedingt auf dem aktuellen Stand bleiben. Meine Tochter, die einen neunjährigen Sohn hat, informiert sich über alle Sperren auf dem Handy, die auf dem Markt erhältlich sind. Am Schluss tragen die Eltern die Verantwortung.

Sind nicht viele Eltern damit überfordert?
Viele Eltern sind wohl ein schlechtes Beispiel. Kinder schauen ihr Verhalten bei den Eltern ab. Die Sozialisierung geschieht innerhalb der Familie.

Und wenn die Erwachsenen immer auf dem Handy rumtippen, dann wollen natürlich auch die Kinder ein Handy.
Es fällt mir manchmal selbst schwer, wenn meine Enkel bei mir sind. Dann muss ich das Handy ganz weit weglegen. Sonst würden wir statt Eile mit Weile zu spielen alle nur in unsere Handys starren.

Themenwechsel: Was braucht es, damit in der Schweiz Frau und Mann wirklich gleichberechtigt sind?
Alle Fortschritte müssen sich an den menschlichen Bedürfnissen orientieren. Wenn man sieht, wie die SVP zugelegt hat, wird in den nächsten Jahren vermutlich nicht viel in der Gleichberechtigung passieren. Jetzt kommt eine gewagte Interpretation: Die SVP hat so zugelegt, weil man Themen wie Migration oder die 10-Millionen-Schweiz nicht ernst genommen hat. Viele Menschen fühlen sich von der Politik nicht abgeholt. Wichtig ist, dass Veränderungen in ihrer Lebenswelt geschehen – und nicht einfach von den Hochschulen diktiert werden wie die Debatte ums Gendern.

Wenn ich Sie richtig verstehe: Damit es echte Gleichberechtigung gibt, braucht es weniger extreme Positionen?
Ja, genau, dann erkennen auch alle, dass Tagesschulen das Normalste der Welt sind. Wichtig ist, dass die Parteien zuhören und sich um die wirklichen Probleme der Menschen kümmern.

 

Zur Person

Ellen Ringier (71) gründete vor über 20 Jahren die Stiftung Elternsein. Als Präsidentin der Stiftung ist die Juristin Herausgeberin des Elternmagazins «Fritz+Fränzi». Die Mäzenin lebt mit ihrem Mann und Verleger Michael Ringier («Blick», «Schweizer Illustrierte») in Küsnacht. 2014 erhielt Ellen Ringier den Bildungspreis der Pädagogischen Hochschule Zürich. Sie hat zwei Töchter. (pat.)