Fastenbruch als Akt des Ungehorsams: 500 Jahre Froschauer Wurstessen

Erstellt von Anna-Sofia Schaller |
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Am 9. März jährt sich das Froschauer Wurstessen zum 500. Mal. Der eklatante Bruch mit dem katholischen Fastengebot, welches den Beginn der Zürcher Reformation markiert, wird im Neujahrsblatt der Zunft zur Waag bestens nacherzählt.

Ein halbes Jahrtausend ist seit dem ­Froschauer Wurstessen im Jahre 1522 vergangen, welches trotz seiner Bedeutung für die Schweizer Reformation lediglich als Fussnote in die Geschichte eingegangen ist – so hält es die Zunft zur Waag in ihrer Medienmitteilung fest. Obwohl dem ­Ereignis keine katalysierende Rolle beigemessen wird, stellt der mit Absicht provozierende Fastenbruch einen reformations­geschichtlich bedeutenden Moment dar: Zum ersten Mal zeigte das reformatorische Gedankengut Zwinglis öffentlich wahrnehmbare Wirkung. Indem die ­Reformationsbemühungen so ins öffentliche Bewusstsein rückten, avancierte die Kirchenreform offiziell zum Politikum. 

«Open House Party» mit Froschauer und Zwingli

Wie seit Jahrhunderten kirchlich verordnet, sollten Zürcherinnen und Zürcher auch im Jahre 1522 während der österlichen Fastenzeit auf den Genuss von Fleisch, Eiern und Wein verzichten. Mit wuchtiger Symbolkraft sollte das als ­unantastbar geltende Fastengebot in ­diesem Jahr jedoch provokant heraus­gefordert werden. Was aus aktuell säkularer Sicht als wenig aufregende Geste ­andeuten mag, hatte dazumal höchst ­subversiven Charakter: Am ersten Fasten­sonntag des Jahres, den 9. März 1522, wurde in Zürich gleich an mehreren ­Orten gegen das Fastengebot verstossen. Nebst anderen sogenannten «Mittätern» tischte Kaufmann Hans Kloter seinen Gästen ein «Winwarm» auf. Die Einnahme der aus Wein, Brot und Eiern gekochten Suppe verstiess somit deutlichst gegen die Fasten­regeln. Im Anschluss soll Mittäter Bartlime Pur zu Christoph Froschauers Druckerei gewechselt haben, wo derweil eine «Open House Party» in Form eines Wurstessens abgehalten wurde. Nebst weiteren Reformatoren soll sich später auch Zwingli höchstpersönlich dazu­gesellt haben. Es sei jedoch angemerkt, dass Zwingli am Festbankett auf den ­Genuss der Würste verzichtet haben soll.

«Von Erkiesen und Fryheit der Spysen»

Obwohl Zwingli dem Froschauer Wurst­essen nur als abstinenter Besucher beigewohnt haben soll, veranlasste ihn der ­provokante Fastenbruch doch zu einer öffentlichen Stellungnahme. So publizierte Zwingli die Schrift «Von erkiesen und fryheit der spysen, von ärgernus und verböserung, ob man gwalt hab die spysen zu etlichen zyten verbieten» (Auf Neu­hochdeutsch: «Die freie Wahl der Speisen, Ärgernis und Anstoss, ob Speiseverbote für bestimmte Zeiten erlassen werden dürfen»). Der Text stellt die Legitimität 
der kirchlich verordneten Fastenregeln ­öffentlich infrage. In Zwinglis Skepsis am Fastengebot schlägt sich der reformatorische Kerngedanke nieder, demzufolge Glaubensinhalte nicht über den Umweg kirchlicher Autoritäten, sondern direkt aus der Bibel aufgefasst werden sollen. 

Wurstessen als Ungehorsamsakt

Wie Zunftmeister Welti im Neujahrsblatt anmerkt, deuten Untersuchungsakten darauf hin, dass die öffentliche Wahrnehmbarkeit des Fastenbruchs von den Mittätern durchaus beabsichtigt war. Somit geht das Froschauer Wurstessen als vorsätzlicher Akt des Ungehorsams in die Zürcher Reformationsgeschichte ein – das umstürzlerische Ereignis hat seine Einordnung als Startschuss der Zürcher ­Reformation allemal verdient.

 


«Das Froschauer Wurstessen von 1522 – eine Fussnote der Weltgeschichte» von Philippe Oswald Welti. Mit einem Exkurs zur Täufer­bewegung von Christoph Siegrist. Das Neujahrs­blatt 2022 der Zunft zur Waag ist über www.zunftshop.ch und in der Buch­handlung Bodmer erhältlich.