Verwendung statt Verschwendung: Beatriz Schreib und Bjarne Bäth-Albertini retten mit der OrganisationMateriaBona neue Konsumgüter vor dem Abfall und vermitteln sie an soziale Institutionen weiter.
Es ist angenehm kühl in der Lagerhalle an der Wilerstrasse 35 in St. Gallen. Es riecht nach Karton und frischer Farbe. Entlang der gelben Bodenmarkierungen ragen 30 Meter hohe Regale in die Halle. «In den Kartonkisten sind Schnuller, Schreibwaren, Seifen und viele weitere Konsumgüter des täglichen Lebens gelagert, die entsorgt worden wären», sagt Beatriz Schreib, 59 Jahre alt.Um dieser Verschwendung Einhalt zu gebieten, hat Schreib im Dezember 2021 gemeinsam mit Bjarne Bäth-Albertini die Wohltätigkeitsorganisation MateriaBona ins Leben gerufen. MateriaBona möchte einwandfreie Konsumgüter retten und sie an soziale Organisationen weitervermitteln. Zu diesen Organisationen zählen Asylzentren, Obdachlosenheime oder Frauenhäuser. Dabei werden die Produkte in der Lagerhalle der Firma Holenstein zwischengelagert. Von dort gelangen sie via den Onlineshop von MateriaBona an die sozialen Organisationen. Das Credo von MateriaBona lautet: Versorgen statt entsorgen.
Verschwendung von neuen Gütern
«Kein Mensch redet über die massenhafte Entsorgung von fabrikneuen Konsumgütern», sagt Beatriz Schreib, die in Erlenbach wohnt. Und weil niemand darüber spreche, gäbe es in der Schweiz keine Studien zur Entsorgung von neuen Konsumgütern. Im Fall von Foodwaste werde viel darüber gesprochen und dagegen unternommen, sagt sie. Über die Verschwendung von neuen Konsumgütern werde hingegen geschwiegen – obwohl die wenigen Zahlen, die es dazu gibt, frappant sind: In Europa sind es jährlich 2,9 Milliarden Franken, die allein mit der Entsorgung von neuen Kleidern im Abfall landen. Beatriz Schreib zitiert den letzten «K-Tipp»: «Auch in der Schweiz werden ein Drittel der Kleider zum normalen Preis verkauft, ein Drittel mithilfe von Rabatten und ein Drittel landet im Abfall.»
Im Ausland existiert bereits ein Angebot gegen die Verschwendung von neuen Produkten: In England wurde 1996 die gemeinnützige Organisation «In Kind Direct» aufgebaut. Sie vermitteln zwischen Herstellern, Händlern und Hilfswerken. Ableger davon gibt es in Deutschland und Frankreich – nun auch in der Schweiz.Dank einem Artikel der «NZZ am Sonntag» wurde Schreib auf das Thema aufmerksam. Im Februar 2020 las sie, dass in Deutschland jedes Jahr Konsumgüter im Wert von 7 Milliarden Euro vernichtet werden. Beispielsweise Bettwäsche, die in einem falschen Farbton produziert wurde. Sneaker, die falsch etikettiert wurden. Oder Skianzüge der letzten Saison, deren Design nicht dem aktuellen Modetrend entspricht. Statt diesen Umstand zu bedauern, begann Schreib sich Gedanken zu machen, was sie gegen diese Verschwendung tun könnte. Dank dem Interesse und der Zusammenarbeit mit Bjarne Bäth-Albertini entstand die gemeinnützige Gesellschaft MateriaBona.
Gute Beziehungen
Schreib und Bäth-Albertini wollen soziale Organisationen mit günstigen Konsumgütern unterstützen und sich gleichzeitig für den Umweltschutz und die Nachhaltigkeit einsetzen. Die Erfahrungen dazu haben sie: Schreib war lange im Vorstand der Schweizer Tafel tätig und konnte dadurch viele Kontakte mit sozialen Organisationen knüpfen. Neben den sozialen Organisationen kümmert sie sich um die Produzenten und Händler, die Stiftungen und die Presse. Ihr Geschäftspartner Bjarne Bäth-Albertini kam aus England in die Schweiz, interessierte sich für die Schweizer Tafel und lernte Schreib kennen. Er ging auf Schreib zu, weil er etwas für die Nachhaltigkeit und für Bedürftige tun wollte. Daraufhin erzählte Schreib ihm von ihrer Idee mit MateriaBona. Seither sind sie ein Team. Bäth-Albertini nimmt ihr 20 Prozent der Arbeit ab. Er ist für die Finanzen, die Logistik und das Shop-Management zuständig.
Nebst den guten Beziehungen braucht das Projekt Durchhaltewillen. Als Verein hätten sie einen Vorstand suchen müssen, das war für Schreib und Bäth-Albertini schwierig, die am Anfang lediglich zu zweit arbeiteten. Und aus MateriaBona eine Stiftung zu gründen, sei viel zu kostspielig. Daher sei MateriaBona jetzt eine gemeinnützige GmbH, wobei sie auf viele Bedingungen und Auflagen achten müssten. Bedauerlicherweise sah das Steueramt Zürich den gemeinnützigen Aspekt der Organisation nicht. So wurden sie nicht steuerbefreit. Um MateriaBona zu finanzieren, vermitteln sie die neuen Produkte zu 20 Prozent ihres Marktwertes weiter. Mit diesen Einnahmen müssen Kosten gedeckt werden: Lagerung, Transport, Website, Versicherung, Steuern. Doch das Geld ist knapp: «Wir benötigen Spendengelder von Stiftungen», sagt Schreib.
Trotz der finanziellen Schwierigkeiten schwebt Schreib die Erfolgsgeschichte der Schweizer Tafel für MateriaBona vor: «Die Schweizer Tafel begann ihre Arbeit mit einem kleinen Lieferwagen. Heute sammeln sie täglich über 24 Tonnen Lebensmittel.» Ihr Engagement für MateriaBona ist gross. So gross, dass sie jeweils bis tief in die Nacht für die Organisation arbeitet. Nicht zur Freude aller: Ihr Mann sei darüber «not amused» – nicht erfreut. Doch sie brenne mit Leib und Seele für MateriaBona. Schreib sagt: «Ich bin hingerissen von diesem Projekt und kann nicht loslassen.»