Nach 24 Jahren als Herrlibergs Gemeindeschreiber geht er in Pension: Pius Rüdisüli, Ansprechperson zwischen Gemeinderat und Bevölkerung, klärt die Rätsel um sein Berufsbild. Und erinnert sich an denkwürdige Momente – zum Beispiel die kühne Steuersenkungsforderung von Christoph Blocher.
Er ist Mediensprecher, Protokollant, Organisator und Verwaltungschef, oder kurz zusammengefasst: Gemeindeschreiber. Und das bereits seit 1999, in Herrliberg. Nun geht Pius Rüdisüli per 31. März in Pension. In dieser Zeit wurde er mehrfach gefragt, worin seine Aufgabe als Gemeindeschreiber besteht. «Es ist ein vielseitiger Beruf. Er lässt sich nicht auf eine Tätigkeit beschränken. Jeder Tag kann anders aussehen», sagt Rüdisüli.
Mit Kaffee und Schokolade
«Was wären die Räte, wenn der Schreiber nichts täte. Selbst die kuriosesten Ergüsse formuliert er als Beschlüsse, damit sie losgelöst vom Flachen eine Gattung machen», zitiert Rüdisüli ein altes Gedicht eines Gemeindeschreibers. Es betont die Daseinsberechtigung des Hunderte von Jahren alten Berufs.
Im Gegensatz zur mittelalterlichen Vorstellung geht die Tätigkeit heute weit über das Schreiben hinaus. In erster Linie ist Rüdisüli Kommunikator. Etwa als Verfasser von Medienmitteilungen, als Chef der Verwaltung, wenn Bevölkerung oder Mitarbeitende ein Anliegen haben. Er ist aber auch Organisator von Anlässen und nach wie vor Protokollant bei Gemeinderatssitzungen.
«Ich starte den Tag immer mit einer Tasse Kaffee und dunkler Schokolade. Alles andere lasse ich auf mich zukommen», sagt Pius Rüdisüli. Pro Tag bearbeitet er zirka 100 Mails. Viele davon sind Newsletter, die schnell im Papierkorb landen, oder Anträge, die er an die jeweilige Abteilung weiterleitet. Dazwischen gibt es auch die eine oder andere Beschwerde, per Mail oder sogar persönlich im Gemeindehaus. «Einmal konfrontierte mich jemand mit einer vermeintlich falsch ausgeteilten Parkbusse», erzählt Rüdisüli und fährt fort, «ich fragte den Polizisten und es stellte sich heraus, dass die gebüsste Person auf einem Zebrastreifen geparkt hatte. Sie zeigte sich darauf sehr einsichtig.»
Politischer Schauplatz Herrliberg
Herrliberg gilt für viele als ruhige Gemeinde. Obwohl nicht direkt sichtbar, ist die Bevölkerung in seiner Amtszeit um rund 1300 Personen gestiegen. «1999 dachte man noch, dass Herrliberg zugebaut sei und es keinen Platz für Wachstum hat», so Rüdisüli. «Auf den Strassen dominieren Autos und nicht Fussgänger oder Velos. Nur an den Wochenenden trifft man im Erholungsgebiet viele Spaziergängerinnen und Spaziergänger.» Langweilig wurde es ihm in der Gemeinde allerdings nie. Denn Herrliberg war immer wieder Schauplatz für politische Diskussionen. Ein besonderes Ereignis war etwa Christoph Blochers Initiative für eine Steuersenkung vor 20 Jahren – der SVP-Übervater lebt seit Jahren in Herrliberg. «Mit 70 Prozent hatten wir bereits den tiefsten Steuerfuss im Kanton. Blocher wollte ihn um weitere 10 Prozent senken. Das hat polarisiert und mobilisiert», so Rüdisüli. Es folgte die am stärksten besuchte Gemeindeversammlung, die er je erlebt hat. Fernsehen, Radio, Printmedien und über 600 Stimmberechtigte, statt der üblichen 150 waren versammelt.
Zu reden gab beispielsweise auch die Zonenplanung Herrlibergs. «Was viele nicht wissen: Herrliberg ist die einzige Seegemeinde ohne Gewerbezone», sagt Rüdisüli. Vor rund zehn Jahren beantragte der Gemeinderat im Biswind eine kleine Fläche zur Umzonung, doch der Antrag wurde vom Kantonsrat abgelehnt und die betroffenen Herrliberger durften nicht selber entscheiden.
Kein Fan von Schulaufsätzen
«Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich meinem Traumberuf nachgehen konnte», sagt Rüdisüli. Fast wäre er bei einer Bank gelandet. Während der Schulzeit sagten ihm Aufsätze nicht zu, Rechnen war sein stärkstes Fach. Anschliessend absolvierte er ein Studium in Betriebsökonomie mit dem Schwerpunkt Verwaltung. Sein ehemaliger Kommandant bei den Radfahrern, Anton Frauenfelder, war Gemeindeschreiber in Rümlang. «Er war sozusagen mein Gemeindeschreiber-Vater und Vorbild», so Rüdisüli. Frauenfelder stellte Rüdisüli als Stellvertreter ein. Und von da an ist der Herrliberger vom Schreiben und Kommunizieren nicht mehr weggekommen.
Ab 1988 folgten zwölf Jahre als Gemeindeschreiber in Rüschlikon, bevor er das Amt in Herrliberg übernahm. Heute fällt ihm auf, dass die Menschen aus den verschiedenen Seegemeinden doch sehr ähnlich sind: «Zu Beginn habe ich zwar erlebt, dass es in Herrliberg viele Sonderwünsche gab, aber es sind heute nicht mehr als in anderen Gemeinden», so der 64-Jährige.
Die Nachfolge Rüdisülis liess sich schnell finden. Aus mehreren Bewerbungen setzte sich Tumasch Mischol durch. Der 47-jährige Mischol ist Ex-SVP-Kantonsrat und war zuvor in Volketswil Stellvertreter des Gemeindeschreibers. «Als Gemeindeschreiber muss man nahe an den Leuten sein und darf sich nicht im Büro verstecken. Ich hoffe, mein Nachfolger führt das weiter», sagt Rüdisüli. In den vergangenen Wochen konnte er ihn einarbeiten.
Für Rüdisüli hingegen soll es nun ruhiger zu und her gehen. Fit zu bleiben und beweglicher zu werden, ist sein oberstes Credo. «Ich habe nun Zeit, mich meinen Hobbys und meiner Enkelin zu widmen. Velo fahren, den Chicago Marathon, Jassen und meine Sammlung an alten Ansichtskarten zu erweitern, darauf freue ich mich», so Pius Rüdisüli.