Elf Kräuter für das vollkommene Glück

Erstellt von Isabella Seemann |
Zurück

Zwei Michelin-Sterne, 18 Punkte im Gault-Millau, «Koch des Jahres 2017»: Was der Küsnachter Kochkünstler Rico Zandonella kreiert, entzückt die anspruchsvollsten Gaumen – und berührt die Seele, wie wir bei einem Besuch im Gourmetrestaurant Rico’s selber erleben konnten.

Das unscheinbar anmutende Haus an der Seestrasse lässt nicht erahnen, dass es Ziel vieler Pilger ist, genauer: der Gattung der Genusspilger, mindestens einmal im Leben hier einzukehren. Zwei Michelin-Sterne, 18 Punkte im Gault-Millau: das «Rico’s». Wir erreichen per Schiff und zu Fuss unser Ziel, wo der Tisch im rückwärtigen Garten gedeckt ist, einer Art Zaubergarten. Unter dem Baldachin hausen Gartenzwerge, Nashörner, Hirsche, die sich in den Spiegeln vervielfachen. Eine Prise Bling-Bling, ein grosszügiger Schuss Humor. ­Zugleich extravagant und verspielt, verträumt und perfekt abgestimmt und – bei allem Eklektizismus – völlig entspannt. 

Attribute, die auch den Besitzer des «Rico’s» beschreiben. Rico Zandonella, 62, verlässt zur Begrüssung kurz die Küche, in der seine Brigade an Hochtalentierten höchst konzentriert, geradezu andächtig, die Gerichte produziert. Obwohl der Mittagsservice gleich losgeht und am Nachbartisch soeben der Testesser eines einflussreichen Restaurantführers Platz nimmt – er hatte sich kurzfristig angekündigt –, strahlt Rico Zandonella buddhistische Ruhe aus. «Ich mache heute das, was ich immer mache: Ich gebe mein Bestes.» Seit 42 Jahren steht er am Herd des Restaurants Kunststuben, in dem er sich hochgearbeitet hatte zum Stellvertreter der Küsnachter 19-Punkte-­Legende Horst Petermann und das er 2011 von ihm übernahm. In der Selbstständigkeit mit dem umbenannten «Rico’s» blühte er auf, weil er seinen kreativen Einfällen etwas weiter nachgehen und seine schillernde Persönlichkeit noch mehr einbringen konnte. Bereits 2017 ernannte ihn Gault-Millau zum «Koch des Jahres».

Grazie, Eleganz und Raffinesse

Bei einem Glas Rosé-Champagner studieren wir das Degustationsmenü, aus dessen acht Gerichten man eine Mahlzeit individuell zusammenstellen kann. Aus Angst, etwas zu verpassen, bestellen wir kurzerhand den Achtgänger. Kurz darauf er­halten wir ein Amuse-Bouche, das uns mit seiner Grazie, Eleganz und Raffinesse auf den kulinarisch-künstlerischen Genussnachmittag einstimmt: eine Artischocken-Kaltschale von feinster Textur mit gebeiztem Lachs und Frischkäse auf Randen. «Eine verspielte, traumtänzerische Kreation. Absolut bezirzend!», meint meine ­Begleitung, deren poetische Ader gerade freigesetzt wurde.

Das «Rico’s Sandwich» ist natürlich kein gewöhnliches belegtes Brötchen, sondern ein kunstvoll angerichtetes Brioche mit gebratener Gänseleber, dazu Mohn, Vanille und Walliser Aprikose. Die Geschmackswolken zergehen auf der Zunge. «Absolut betörend!», lautet diesmal der Kommentar des Gegenübers. Während nur einen Katzensprung entfernt die Küsnachter am ­Baden und Sünnelen sind, tauchen wir ins Wunderland des Kochzauberers ab. Die beiden Fischgerichte Ceviche von Bonito mit Praline von Wolfsbarschtatar ebenso wie die Seezungenstreifen auf einem Curry-Sabayon sind Kunstwerke – und das ist wörtlich zu verstehen. Rico Zandonella komponiert Geschmäcker, Düfte, Farben und Formen. Jedes Gericht ist ein Unikat, das man so nur bei seinem Schöpfer erhält. Und so wie das Erleben eines genialen Pianisten oder einer Primadonna assoluta weit über die Wertschätzung der perfekten handwerklichen Leistung hinausgeht und Ergriffenheit entstehen kann, so ergreift uns diese Kochkunst: Sie wird über die Sinne empfangen, löst Assoziationen, bewusste und unbewusste Reaktionen aus und berührt direkt die Seele. 

Das deckt sich mit Rico Zandonellas Ansprache in der Fine-Dining-Küche. «Wenn man nicht emotional und sensibel ist, kann man gar nicht auf diesem Niveau kochen und Perfektion erreichen.» Disziplin und Durchhaltevermögen sind gleichwohl unabdingbar. Zwölf-, Vierzehnstünder sind Alltag. Rico Zandonella kocht täglich, jeden Abend den Saucier-Posten. «Die Saucen sind das Herz meiner Küche», erklärt er. Elf Kräuter hat der Saucen-Alchemist für das Ceviche zusammengemischt und experimentiert, bis er zufrieden war – das dauert. «Denn eigentlich bin ich nie zufrieden, ich will immer besser werden», lautet sein Erfolgsrezept.

Eine Vorahnung auf das Paradies

Kultstatus haben Zandonellas Taglierini erreicht, die er heute mediterran mit ­Crevetten, sardischen Tomaten, einer Marmelade und als Tüpfelchen obendrauf mit einem knallgrünen Pesto aus wildem Basilikum serviert. Sein Signature Dish aber ist das Onsenei an Perigordtrüffel-Jus. «Eine Vorahnung auf das Paradies», sinnieren wir. Das bodenständige Sommerreh-Ragout mit Eierschwämmli und Preiselbeeren an einem Jus aus Wacholder und dem Kultpfeffer aus dem Maggiatal erdet uns dann wieder. Rund alle zwei Monate kreiert Rico Zandonella eine neue Karte und entsprechend neue Gerichte mit neuen Geschmackskombinationen und Farbenspielen. «Jedes Gericht muss seine eigene Explosion habe», heisst die Devise.

Das Grande Finale: ein Basilikum-Cheese­cake mit Erdbeer-Litchi-Sorbet und einer Erbsensponge sowie Kokosnuss mit einem Mango-Dill-Chutney und Schoko­ladensorbet. Verzückung, Begeisterung. Ende der Vorstellung. Erstaunlich, dass man nicht applaudiert. Rico Zandonella macht noch eine Runde von Tisch zu Tisch und verabschiedet sich von seinen Gästen. «Ich koche nicht für Sterne, sondern um meine Gäste glücklich zu machen. Denn ihre Dankbarkeit macht mich glücklich», sagt er, bevor er mit Bruna, seiner englischen Bulldogge,  und Roco, seiner französischen Bulldogge, in den Wäldern Küsnachts spazieren geht und in seinem Kopf Zutaten zusammenfügt. Auch Kochkunst entsteht durch Nachdenken. Uns bleibt vom Hochgenuss die süsse Erinnerung an kunstvoll arrangierte kulinarische Skulpturen auf den Tellern, den Gaumenkitzel des Küchenwunders – das Schwelgen im vergänglichen Kunstgenuss.

Restaurant Rico’s, Seestrasse 160, Küsnacht, 044 910 07 15; www.ricozandonella.ch