Unsere Journalistin macht «undercover» beim Valentinstag-Speed-Dating in Zürich mit. Hat es sich gelohnt? Ein Erfahrungsbericht.
Schiffbau Zürich, abends um viertel nach sieben. Eine junge blonde Frau stösst einen Freudenschrei aus und rennt einem sichtlich überrumpelten, aber erfreuten Mann mit Rose entgegen. Die Rose ist schnell vergessen und liegt am Boden, während ich Zeugin eines Kusses werde, wie er inniger nicht einmal auf der Pont Neuf in Paris bei Laternenlicht hätte sein können. Ich seufze. Die beiden haben sich offensichtlich gefunden. Ich hingegen bin auf dem Weg in die Loft 5-Bar nebenan. Teilnehmer hier sind noch auf der Suche nach einem passenden Partner – per Speed Dating.
«Insgeheim wünscht sich jede und jeder eine Beziehung», sagt Nick Ganz. Seit über 20 Jahren veranstaltet der 54-jährige Zürcher Speed-Dating-Anlässe in der ganzen Schweiz. Ein Tête-à-Tête beider Geschlechter also, bei denen die Männer und Frauen sieben Minuten Zeit haben, sich in einem Gespräch kennen zu lernen.Für Nick Ganz begann es als Nebenzweig seiner Eventagentur, jetzt macht er nur noch Speed-Dating-Events. Über 60 Anlässe veranstaltet er pro Jahr in unterschiedlichen Grössen. Valentinstag und Silvester sind grössere Anlässe.
Spannung wird aufgebaut
Das heutige Speed-Dating beginnt getrennt: Die Frauen versammeln sich oben auf der Galerie, die Männer unten. Dies erinnert zwar an einen Ball im 18. Jahrhundert, baut aber durchaus Spannung auf. Alle Frauen werden persönlich von Nick begrüsst – man duzt sich –, erhalten einen Getränkegutschein sowie ein Namensschild in Herzform. «So können sich die Frauen zuerst unter sich unterhalten», sagt der Gastgeber.
Ich erwarte misstrauische Blicke und Konkurrenzverhalten, doch das Gegenteil ist der Fall. Ein Grüppchen von Frauen Mitte 30 lädt mich ein, zu ihnen zu stossen: «Ist es auch dein erstes Mal?» Wir witzeln kurz über unsere früheren Dating-Storys, kontrollieren gegenseitig den Lippenstift. Alle sind nervös, alle sind gespannt.
95 Teilnehmer haben sich für heute angemeldet, etwas mehr Frauen als Männer.
Das System ist simpel: zehn Dates à sieben Minuten, die Frauen sitzen an Tischchen, die Männer rotieren. Nach jedem Date kann Ja oder Nein angekreuzt werden. Kreuzen beide ein «Ja» an, nennt man dies einen Match und erhält die Telefonnummer des anderen. Es ist wie Tinder in echt. Nick Ganz widerspricht: «Tinder ist gratis und keine Garantie für Qualität.» Beim Speed-Dating zahlen die Teilnehmer 77 Franken Eintritt, und eine Software teilt sie nach Alter zu. «Es ist mir wichtig, den Altersunterschied so gering wie möglich zu halten.»
Ich selber bin in der Alterskategorie 27 bis 35 eingeteilt. Die meisten Frauen seien 30 bis Mitte 30, sagt Nick. Bei den Männern sei es bunter gemischt. Es gehe wirklich primär um ein erstes Kennenlernen, Aufrisskultur und One-Night- Stands seien fehl am Platz.
Hübsch, gross gewachsen, nervös
Mein erstes Date ist ein Ingenieur Mitte 30, hübsch, gross gewachsen und vor Nervosität buchstäblich zitternd. Ich übernehme die Führung im Gespräch, er ist mir sichtlich dankbar und beginnt schon bald zu lächeln. Dann ertönt der Gong, Zeit zu wechseln. Mein Ingenieur rutscht auf die andere Tischseite, ich warte auf den nächsten Kandidaten. Die Frauen haben einen Vorteil: Sie sehen den Mann jeweils zuerst in voller Postur. Jeder Kandidat präsentiert sich unterschiedlich. Manche bieten einen formalen Händedruck an, andere schreiben sich zuerst akribisch meinen Namen auf, bevor sie sich setzen. Einer bleibt stehen, lehnt sich gegen den Tisch. Es wirkt nonchalant, bis er beinahe das Nüssliglas umhaut.
Sieben Minuten sind eigentlich viel zu kurz – «wenn es mal spannend wird, kommt der Gong», raune ich meiner Tischnachbarin zu. «Willkommen zum Speed-Dating», zwinkert sie mir zu. «Willst du noch Nüssli?» Ich will einen zweiten Drink.
Wie es wohl den anderen Frauen ergeht? Die Damentoilette in der Pause ist ein guter Ort, um Eindrücke zu sammeln: «Hattest du auch den Typen mit Brille?» – «Du, der Zweite, war der betrunken? Der hatte einen ganz komischen Blick.» Auf meine Frage, ob sie schon jemanden gefunden haben, schütteln sie nur den Kopf. Viele interessante Gespräche seien allerdings entstanden. «Pro Abend gibt es durchschnittlich einen Match pro Frau», weiss Nick. Bei Männern komme es durchaus vor, dass sie keinen Match davontragen. Frauen gingen tendenziell selektiver vor.
Die Kunst des Small Talks
Runde zwei ist in vollem Gange. Es sind wenig Flirtkünste gefragt, eher ein breites Hintergrundwissen und die Fähigkeit, Small Talk zu führen. Meist geht es um Beruf, Hobbys, Wohnort, letzte Reisen. Viele Männer arbeiten im IT oder Finanzbereich. Zum Flirten komme ich nur mit einem Berner und einem Franzosen, der, sichtlich erfreut, dass jemand in Französisch antworten kann, ein paar sexuelle Andeutungen macht. Beide Dates sind eine erfrischende Abwechslung zu Gesprächen, die sich sonst anfühlen wie am ersten Schultag mit neuen Klassenkameraden: Alle sind etwas nervös und machen einen guten, wenn auch sehr braven Eindruck.
Am Ende der zweiten Runde gibt es einen Apéro riche im unteren Bereich des Lokals. Ich bleibe noch kurz oben und schaue mit dem Berner dem Trubel zu. Wie war es für ihn? «Laut», sagt er. Und die Frauen? «Interessant. Ich hätte manchmal lieber etwas mehr Zeit gehabt, um noch zu überlegen.» Wie ich auch, füllt er sein Kärtchen erst am Schluss aus. Es bilden sich Grüppchen um wenige vereinzelte Männer. Es hat ein paar Pärchen, Männer lehnen sich an Säulen an, Frauen spielen mit ihren Haaren. «Fertig mit Verstecken hier oben», sagt der Berner, «gehen wir runter in die Höhle des Löwen?» Nur leider: Dort waren aber keine Löwen. Eher drollige Nilpferde. Reihenweise sprechen mich Männer an, stehen teilweise zu viert um mich herum. Ich sollte mich geschmeichelt fühlen, aber fühle mich wie Frischfleisch auf dem Markt. Verübeln kann ich es denn Männern nicht – wo, wenn nicht an einem Speed-Dating-Anlass aggressiv flirten? Die Bar ist jetzt voll mit Männern über 40, ausserdem treffe ich auf zwei meiner Dates von vorher. Mein erstes Date, Glas in der Hand und sichtbar weniger nervös, kommt nochmals auf mich zu. «My number one!!», strahlt er.
Primär ist es ein Event
20 Jahre Erfahrung zeigt: Speed-Dating funktioniert. Es entstehen Beziehungen, sogar Hochzeiten kommen vor, sagt Nick. «Ich werde dann jeweils eingeladen, das ist schön.» Er betont aber, dass er sich nicht primär als Partnervermittler, sondern als Eventmanager sieht. Wichtig ist es ihm, einen erfolgreichen Anlass zu veranstalten. Das ist ihm durchaus gelungen: Es war etwas laut, aber alle anderen Rahmenbedingungen stimmten.
Am nächsten Tag habe ich drei Matches, alle drei melden sich innert kürzester Zeit. Anders sieht es bei meinen neuen Kolleginnen aus, mit denen ich noch am Abend die Nummern ausgetauscht habe. Die meisten hatten zwischen einem und drei Matches gehabt. Eine hatte drei, ist bei ihrem Lieblingskandidaten aber leer ausgegangen. Jemand hatte gar keinen Match. Was bei allen der Fall ist: Gemeldet hat sich bei ihnen trotz Match bis am nächsten Tag noch niemand. «Auch Männer ab 40 werden wählerischer, vor allem mit Frauen in ihrer Alterskategorie», weiss Nick aus Erfahrung.
Ich freue mich über meine Matches, aber nach einem Abend umgeben von Männern fühle ich vor allem eines: Einsamkeit und Leere. Ich frage mich, wie es wohl dem Pärchen mit der Rose geht, und schreibe einem früheren Date von mir. Ein anderer Freund aus London schickt mir eine Sprachnachricht. «I miss you.» Ich bin plötzlich unglaublich dankbar für alle Männer in meinem Leben, die meisten davon habe ich per Zufall kennen gelernt. Der vergangene Abend zeigt mir: Es ist nicht selbstverständlich, einfach so von Amors Pfeil getroffen zu werden.
* Name geändert