Eine Familie mit Tradition

Erstellt von Daniel J. Schüz |
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Seit 100 Jahren gedeihen in der Gärtnerei Karrer Tomaten und Zucchetti, blühen Tulpen und Dahlien: Evelyne und Fredi Biedermann-Karrer pflegen die Tradition und planen die Zukunft.

«Küsnachter», sagt eine ältere Dame. «Ich möchte Küsnachter, gibts noch welche?» – «Im Moment leider nicht», bedauert Evelyne Biedermann-Karrer. «Alle weg. Aber Paola haben wir noch viele – und Ochsenherzen, ganz frisch!» – «Hmm.» Die Kundin ist sichtlich enttäuscht und offensichtlich vom Fach. «Die Küsnachter habe ich am liebsten, die haben Geschmack und Charakter. Ich nehme die Datteln – und warte, bis es wieder Küsnachter gibt.» Es geht um eine Feldfrucht, die derzeit sozusagen in aller Mund ist. Manche verzehren sie roh, viele veredeln sie mit Mozzarella und Basilikum zu köstlichen Salaten, und praktisch alle kochen sie ein zu einer würzigen Pastasauce. Die schmackhafte Küsnachterin, die fleischige Paola, das gerippte Ochsenherz, die dekorative Dattel – sie alle sind Sorten des beliebtesten aller Gemüse: Tomaten.

Samstagmorgen an der Schiedhaldenstrasse beim Schübelweiher: Zwischen abgeernteten Sonnenblumenfeldern und blühenden Dahlienbeeten machen zwei mannshohe Blumentöpfe auf den Schnittblumen- und Gemüseverkaufsstand der Gärtnerei Karrer aufmerksam; gerade herrscht reger Betrieb. Evelyne, die mit ihrem Mann Fredi die Gärtnerei führt, schätzt die Gelegenheit, mit den Kundinnen ein paar Worte zu wechseln. Mehrmals täglich kommt sie hier vorbei, um die grünen Harasse mit frischer Ware zu füllen. «Jetzt, in den letzten Augusttagen, gedeihen vor allem Tomaten, Gurken und Zucchetti», sagt sie – und leert, bevor sie zur Gärtnerei auf der anderen Seite vom Schübelweiher zurückfährt, das Kässeli mit den Einnahmen vom Morgen. Im grossen Ganzen, sagt sie, seien die Leute ja sehr ehrlich: «Nur hin und wieder finde ich ein Stück Holz, das jemand statt eines Fünflibers in den Schlitz gesteckt hat – oder einen Zettel: Man habe grad kein Münz zur Hand und werde das Geld später noch vorbeibringen.»

Ab sofort eine Siesta!

Evelyne parkiert den Lieferwagen und lässt die Türen sperrangelweit offen, damit die Hitze sich nicht staut. Aus einem der Treibhäuser tritt Fredi ins Freie und wischt sich den Schweiss von der Stirn. 50 Grad habe es da drinnen, stöhnt er. «Ab sofort führen wir die Siesta ein: zweieinhalb Stunden Hitzepause am Nachmittag!» Die Mitarbeitenden wirds freuen.

«Wir hatten auch ein heisses Thema», sagt Evelyne, «nämlich ehrliche Kunden im Selbstbedienungsverkauf – und die weniger ehrlichen ...» Vor der Pandemie sei das mit dem Klauen schon ein echtes Problem gewesen, weiss Fredi, der für die Finanzen zuständig ist. «Wir machten ­damals fünfzig Prozent Verlust und wollten das Selbstbedienungssystem schon wieder abschaffen. Aber dann hätten wir auch die treuen, ehrlichen Kunden enttäuscht.» «Mit Corona», ergänzt Evelyne, «ist die Ehrlichkeit zurückgekehrt.» Fredi sieht das genauso: «Ganz deutlich haben wir das im April gemerkt: Wir heuschen einen Franken für eine Tulpe. Am Ende entsprach die Zahl der gesetzten Zwiebeln ziemlich genau dem Betrag in Franken, der in der Kasse lag. Und da war uns klar: Das Virus hat auch Positives bewirkt – es hat die Menschen gelehrt, solidarisch und fair zu sein.»

Woran das wohl liegen mag ...

Vielleicht, sinniert Evelyne, am amtlich aufgezwungenen Abstand, den die Menschen zueinander halten mussten – und an der neuen Nähe, die damit auch verbunden war: «Hier im Schübelquartier sind wir einander in diesen schwierigen Jahren beigestanden. Nachbarschaftshilfe wurde grossgeschrieben. Auch Barbara Zollinger mit ihren fleissigen Händen hat uns viel geholfen. Als ihr Mann Fritz (Fritz Zollinger war vor zwei Wochen Protagonist im Stafettenporträt, Anm. der Red.) im Garten seine berühmten Coronakonzerte veranstaltete, waren auch wir einmal dabei. Fredi hat mit seiner Handorgel den Fritz an der Zirkusorgel begleitet!»

Bald 100 Jahre Tradition

Mit dem Landwirt Jakob Karrer, der vor bald hundert Jahren den ehemaligen Weinberg an der Weinmanngasse erwarb und zu einer Gemüsekultur, kaum grösser als ein Fussballplatz, erweiterte, hat die Erfolgsgeschichte der Gärtnerei begonnen – und mit der Lovestory von Evelyne und Fredi Biedermann, die auch schon seit vier Jahrzehnten Bestand hat, könnte eine vierte Generation das Unternehmen in die Zukunft führen. Von Liebe konnte noch keine Rede sein, als die Eltern diesen Lehrling aus dem Fribourgischen einstellten – Evelyne war gerade mal elf Jahre jung.

Es dauerte ein Jahr, bis es zum ersten Mal funkte zwischen den beiden – ein Funkenschlag, den die Feuerwehr verursachte – ausgerechnet ...

1980 wurde Küsnacht als Gastgebergemeinde der Feuerwehr-Sternfahrt zum Mittelpunkt der grossen europäischen Feuerwehrfamilie. Aus dem ganzen Kontinent strömten die Brandbekämpfer an den Zürichsee. Es wurde gefeiert, getanzt – und da kam doch tatsächlich einer dieser Feuerwehrmänner und fragt den Fredi höflich, ob er vielleicht mit dem Mädchen neben ihm tanzen dürfe. Was fragt der mich, dachte Fredi. Weder kann ich tanzen, noch habe ich was mit der Kleinen – oder vielleicht doch ...

«Ich weiss nicht mehr, was ich ihm antwortete», erinnert er sich an jene Episode. «Aber eines weiss ich genau: Das war der Moment, wo ich anfing, darüber nachzudenken, warum die Tochter vom Chef mir so gut gefallen hat.»

Und Evelyne? «Keine Ahnung», grinst sie. «Der Fredi war voll sympathisch, sah gut aus – und das war auch schon alles; ich war ja erst zwölf. Aber als er nach der Stifti ins Ausland abhaute, habe ich das schon es bitz bedauert ...»

Bald schon kehrte er zurück, liess sich beim früheren Lehrbetrieb als Gärtner anstellen – und jetzt war der Fall klar: Der Funke, vor Jahren beim Feuerwehrtanz entfacht, wurde zum lodernden Feuer. Oder, im Gärtner-Jargon: Zwischen Tomaten und Gurken, Tulpen und Begonien erblühte die Liebe. 1988 wurde Hochzeit gefeiert, bald schon kam Sohn Daniel auf die Welt, 1992 folgte Tochter Denise. Und die packt schon so kräftig mit an, dass die Frage sich aufdrängt, ob es wiederum die Tochter ist, die eine fruchtbare Familientradition fortsetzt. Noch wollen sich die Eltern nicht festlegen: «Mal schaun.»

In einem der Treibhäuser sind zwei knallrot bemalte Ölfässer aufeinandergestapelt, darin eine Espressomaschine, darüber der Schriftzug «Fredis Kafi-Bar» – und ein Blaulicht, das auf Knopfdruck rotiert und heult. «Das haben die Kollegen mir zum 60. Geburtstag geschenkt», sagt Fredi, der zehn Jahre lang bei der Küsnachter Feuerwehr im Einsatz stand und es bis zum Kommandant-Stellvertreter gebracht hat. «Bei besonderen Gelegenheiten geht der Alarm los.»

Zum Beispiel nächstes Jahr, wenn die Gärtnerei Karrer ihr 100-Jahr-Jubiläum feiert.