Ein Detektiv im Tauchanzug

Erstellt von Lorenz von Meiss |
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Seit über vierzig Jahren verbringt der Unterwasser-Archäologe Adelrich Uhr den Grossteil seiner Freizeit im Tauchanzug unter Wasser. Dabei hat er schon eine Vielzahl an Schiffswracks und jahrhundertealte Artefakte entdeckt, die ihm immer wieder neue Rätsel aufgeben.

Den Seegrund nach versunkenen Schiffen abzusuchen, fasziniert den Hinwiler Adelrich Uhr schon so lange, dass er aufgehört hat, seine Tauchgänge zu zählen, wie es sonst bei Tauchern üblich ist. Über vierzig Jahre übt er dieses zeitaufwendige und kostspielige Hobby nun schon aus, und dies – zum Glück – ohne grössere Zwischenfälle: «Bei einem Tauchgang in Jugoslawien glich sich der Druck in meinem Ohr beim Auftauchen nicht mehr aus, was zu starken Schmerzen führte. Aber das ist das Einzige, was mir beim Tauchen in all den Jahren passiert ist», sagt Adelrich Uhr im Gespräch.

Der Wracktaucher mit dem altmodisch klingenden Namen wird von Freunden und Familie einfach nur «Agi» gerufen. Gegeben wurde ihm dieser Spitzname von seinen Brüdern, weil sie den Vornamen Adelrich zum Rufen des kleinen Bruders unpassend fanden. Sein seltener Nachname stammt aus dem Luzernischen und existiert schon seit über 1000 Jahren. Adelrich Uhr hat einen Zwillingsbruder, der auf den Namen Hans getauft wurde. Seine Mutter wusste kurz vor der Geburt nicht, dass fünfzehn Minuten nach Hans noch einmal ein Junge das Licht der Welt erblicken sollte, und hatte sich für den Zweitletztgeborenen einfach noch keinen Namen ausgedacht. So taufte sie den Jüngsten nach einem Cousin, der ebenfalls Adelrich hiess. So die Erklärung für den seltenen Namen.

Aufgewachsen ist der Unterwasser-­Archäologe in Hombrechtikon in einem Flarzhaus aus dem 16. Jahrhundert. Nach der Primarschule absolvierte er seine Lehre bei der Pumpenhäny AG, einem Hersteller von Wasserpumpen, der damals in Meilen ansässig war. Mit 21 Jahren heiratete er seine Frau Jeannette, und schon ein Jahr später kam das erste Kind zur Welt. Mittlerweile haben seine Kinder auch schon wieder Nachwuchs, und Adelrich Uhr ist bereits mit 49 Jahren Grossvater geworden: «An den Schulvorführungen meiner Enkelkinder werde ich oft für den Vater meiner Enkelkinder gehalten, was ich dann jeweils zu berichtigen habe», sagt Uhr schmunzelnd.

Erstes Schiffswrack entdeckt

Im Jahr 1984 war in Küsnacht eine Stelle als Klärwärter ausgeschrieben, auf die sich Adelrich Uhr bewarb. Er bekam den Job. Vier Jahre später hatte er das Diplom als Klärmeister in der Tasche und arbeitet heute noch in der Abwasserreinigungsanlage. Allerdings nicht mehr in Küsnacht, sondern in Feldbach. Während seiner Zeit als Betriebsmechaniker in der Chemischen Fabrik Uetikon erschien in der «Zürichsee-Zeitung» ein Inserat für ein Schnuppertauchen in Rapperswil. Uhr liess sich dies nicht entgehen und meldete sich zum Kurs an. Die Faszination am Tauchen, das Schweben im Wasser und die Ruhe unter der Oberfläche packten ihn damals und haben ihn bis heute nicht mehr losgelassen. Und auch die Dokumentarfilme des französischen Meeresforschers Jacques-Yves Cousteau liessen seine Faszination für unerforschte Tiefen immer grösser werden.

Ein Jahr nach der Brevetierung tauchte er im Zürichsee bis auf unterschiedliche Tiefen, bis ihm damals jemand erzählte, dass vor Meilen ein Transportschiff auf Grund liege. Dies wollte Uhr mit eigenen Augen sehen, und er machte sich vor Meilens Küste stundenlang auf die Suche danach, bis er es eines Tages fand. Gross war die Freude über seinen ersten Wrackfund! Wracktaucher Uhr nimmt an, dass das Schiff bei Sturm auseinandergebrochen und dann gesunken war. Doch nur mit dem Fund eines Schiffswracks ist es für den Unterwasser-Archäologen noch nicht getan. Es ist die Aufarbeitung und Dokumentation jedes einzelnen Fundes, die ihm immer wieder Freude bereitet. Was für ein Schiff liegt da unten? Wann ist es gesunken? Wer war der Eigentümer? Warum ist es gesunken? Mittels ausführlicher Dokumentationen wird jeder Fund festgehalten. Jeder Tauchgang protokolliert. Unter Wasser werden die Wracks vermessen und Skizzen erstellt, wie das Schiff einst wohl ausgesehen hat. Und es wird darüber spekuliert, welche Ladung an Bord war. Hierfür entnimmt Adelrich Uhr Materialproben, die er anschliessend im Labor analysieren lässt, um mehr über die Ladung und den Zeitpunkt des Sinkens herauszufinden.

Tauchen für die Wissenschaft

Es ist die Arbeit eines Unterwasser-Archäologen, die ihn seit Jahrzehnten nicht mehr loslässt. Voller Begeisterung legt Adelrich Uhr während des Gesprächs zahlreiche Berichte und Karten vor, die zeigen, an welchen Stellen im Zürichsee Schiffwracks liegen. Längst hat sich Wracktaucher Uhr der Tauchgruppe Swiss Archeodivers angeschlossen und unterstützt mit seinem Fachwissen archäologische Dienste bei der Untersuchung und der Dokumentation historischer Kulturgüter auf dem Seegrund.

In der Werkstatt der Abwasserreinigungsanlage Feldbach präsentiert der Taucher Artefakte, die er im Laufe der Jahre aus dem Wasser geholt hat. Darunter befindet sich eine circa dreissig Zentimeter lange und aus Zink gefertigte Form eines Handschuhs, die er in der Limmat gefunden hat. Uhr geht davon aus, dass das Stück 250 Jahre alt ist und einst über dem Eingang des Handschuhgeschäfts hing.

Auch beim alljährlich am 2. Januar stattfindenden Neujahrstauchen rund ums Bauschänzli ist Uhr massgeblich beteiligt. Zusammen mit dem Tauchclub Zürichsee und den Swiss Archeodivers holt er die nötigen Bewilligungen von Stadt und Seepolizei ein. Denn während der Tauchgänge dürfen keine Schiffe den Tauchplatz passieren. Die jährlich stattfindende Säuberungsaktion, die für die teilnehmenden Taucher mehr ein Spassanlass ist, hat schon Kurioses an die Oberfläche gebracht: «Für einen Taucher ist das Neujahrstauchen immer ein ganz spezieller Anlass. Wir haben schon einen mit Wertsachen gefüllten Tresor, Schmuck und ein Gebiss raufgeholt.»

Falls es sich bei den geborgenen Gegenständen um Deliktsgüter von Einbrüchen handelt, werden diese der Polizei über­geben. Adelrich Uhr berichtet mit so viel Passion über seine Funde, dass er noch stundenlang weitererzählen könnte. Die Geschichten über versunkene Schiffe im Zürichsee erfreuen sich bei Zuhörern grosser Beliebtheit, weshalb er schon in vielen Vorträgen über seine Tätigkeit berichtet hat. Und auch nach über dreissig gefundenen Schiffswracks ist er sich sicher, dass noch weitere Schiffe auf dem Grund des Zürichsees nur darauf warten, eines Tages entdeckt zu werden.