Der Vogt von St. Moritz in Herrliberg

Erstellt von Tobias Hoffmann |
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Den zweiten Abend des Golden Festival in Herrliberg bestreitet Christian Jott Jenny mit seinem «Staats­orchester». Wenn Jenny, der seit 2018 Gemeinde­präsident von St. Moritz ist, Kunst mit Politik und Ernst mit Humor kreuzt, wird es sehr vergnüglich. Acht Fragen an den quirligen Tenor und Entertainer.

Herr Jenny, Sie sind Jazzmusiker, ausgebildeter Operntenor, Entertainer, Festivalgründer, Produzent von Shows und Musicals, gefragter Festredner und seit 2018 vollamtlicher Gemeindepräsident von St. Moritz. Ihre Produktionsfirma heisst Amt für Ideen und stellt – das ist Ihre Wortwahl – Kultur her. Sind Sie überhaupt ein musischer Mensch, oder war der Beruf als Amtsvorsteher nicht von Anfang an Ihr Traum?

Nein, ich bin nicht Jazzmusiker. Das muss ein Irrtum oder eine Verwechslung sein. Dies ist vermutlich mein Double auf der anderen Seite des Zürichsees, Christian J. Jenny senior. Aber zu Ihrer Frage: Ja, ich wollte schon immer Amtsvorsteher werden. Es war schon als Kind mein Traumberuf. Die Stempel, die Ruhezeiten, das Beamtentum: einfach traumhaft.

Sie haben sich an der früheren DDR-Parademusikhochschule Hanns Eisler zum Operntenor ausbilden lassen. Laut Ihrer Website hat Ihnen der DDR-Staatschef Erich Honecker eine Goldene Ehrenmedaille verliehen und Sie zum 1. Staatssänger ernannt. Das muss postum geschehen sein, denn Honecker war damals schon tot und die DDR gab es nicht mehr. Heute verkehren Sie im Umfeld von Reichtum und Prominenz. Hat Ihnen der sozialistische Staatspreis nie geschadet?

Im Gegenteil: Gerhard Schröder war sogar in meinem Oval Office im weissen Haus von St. Moritz und hat diese Medaille bewundert. Er war ja auch mal eine Art Sozialist. Heute kommen beide nicht mehr ins Gemeindehaus von St. Moritz. Schade, eigentlich.

Von 2007 bis 2018 haben Sie das von ­Ihnen gegründete Festival da Jazz in St. Moritz geleitet und haben es geschafft, weltberühmte Koryphäen in den kleinen Dracula-Club zu engagieren. Seit Ihrer Wahl als St. Moritzer Gemeindepräsident stehen Sie als Berater im Hintergrund. Mit welchen Tricks könnte man Ihrer Meinung nach ein Festival wie das in Herrliberg ebenso erfolgreich machen?

Das lässt sich kaum vergleichen: St. Moritz ist zwar ein Kaff in der ungefähren Grösse von Herrliberg, aber mit einem aufgeladenen Brand, der mit dem Bekanntheitsgrad von New York, Rio oder Tokio zu vergleichen ist. Herrliberg hat das Handicap, dass daneben eine kleine Stadt namens Zürich ist. Mit ganz viel Kultur und Velowegen. Und doch sollte man nie aufhören zu träumen: Ich glaube, dass kleine, feine Festivals, also Kulturboutiquen, es in Zukunft besser ­haben werden als mittelgrosse und über­dimensionierte Festivals. Wenn man dranbleibt, dann kann man durchaus ein schönes Kleinod draus machen.

Sie treten in Herrliberg im 2. Abend­konzert mit dem Programm «Traktanden nach Noten – eine amtliche Revue» auf und wollen dann offenbar Neues aus der Amtsstube St. Moritz berichten. Was ist denn so interessant an der Ober­engadiner Bürokratie? Erleben wir Einblicke in den Alltag der Schönen und ­Reichen?

Sie haben meine Tätigkeit noch immer nicht ganz verstanden: Ich bin Verwalter, oberster Chef des St. Moritzer Steueramts und des Friedhofs. Zudem auch des Sozialamts, auch das haben wir. Ob ein Reicher oder weniger Schöner bei uns ein Baugesuch einreicht, ist uns vollkommen egal. Hauptsache, es ist korrekt und ich kann einen Stempel drauf machen. Aber Sie haben recht: Auf dem Amt herrscht mehr Komik und Satire als anderswo. Meist unfreiwilliger Natur. Der Mensch eben. Mit all seinen Abgründen.

In zwei Jahren werden Sie acht Jahre als Gemeindepräsident von St. Moritz gewirkt haben. Vielleicht ist es dann Zeit für einen Jobwechsel. Könnten Sie sich vorstellen, dasselbe Amt in einer Goldküstengemeinde zu versehen? Oder fehlt Ihnen hier der Glamour von St. Moritz?

Hört unser Bündner Export-Hirsch in Herrliberg bereits wieder auf?

Das werden Sie sicher am Festival in ­Erfahrung bringen können. Lassen wir jetzt aber die Politik und reden wir über ­Musik. Sie bringen den Leuten ja gerne die Nostalgie des schweizerischen ­Cabarets näher, von Margrit Rainer bis zum Cabaret Rotstift, und Ihr Auftreten hat auch ein bisschen etwas von «old-­fashioned». Haben Sie es nicht so mit der Gegenwart?

Doch, extrem. Ich habe vier Kinder, die mir die Gegenwart täglich vor Augen ­führen. Aber grundsätzlich gilt: Früher war alles besser. Auch die Zukunft.

Für Ihre Kinder werden Sie ja wohl eine gute Zukunft wollen. Wie sieht es denn mit Ihrer eigenen Zukunft aus? ­Wohin wollen Sie sich künstlerisch ent­wickeln?

Meine Zukunft war gestern. Künstlerisch würde ich mich gerne noch mehr verwaltungskünstlerisch weiterentwickeln. Ziel ist der Friedhof Suvretta.

Eine letzte Frage habe ich noch, und jetzt gilts ernst! Es ist die klassische Frage an  alle Spassmacher: Wer und wie sind Sie, wenn Sie Sie sind?

Bitte fragen Sie ihn.

 

Programm des Golden Festival (23. bis 25. August)

Das Golden Festival wurde vor fünf Jahren von der Herrliberger Pianistin Nicole Loretan und vom Dirigenten Ulrich Stüssi gegründet. Mittlerweile steht es unter der Co-Leitung von Nicole Loretan und des Herrliberger Gemeinderats Joel Gieringer. Das Programm der fünften Ausgabe enthält fünf ganz unterschiedliche Konzerte, drei am Abend und zwei am Nachmittag.

Das Eröffnungskonzert am Freitag, 23. August, um 19 Uhr in der Kirche Tal bringt ein «Solistisches Feuerwerk» mit Solokonzerten für vier verschiedene Instrumente. Es begleitet die Zürcher Kammerphilharmonie, die 2011 als Orchester vom See gegründet worden war. Die Kammerphilharmonie besteht aus jungen Berufsmusikern und einigen Musikstudierenden. Zurzeit wird sie vom ­aufstrebenden 34‑jährigen Zürcher Dirigenten Dominic Limburg geleitet. Den zweiten Abend bestreiten der nebenan interviewte Christian Jott Jenny und das «Staatsorchester» (Vogtei Herrliberg, 19 Uhr). Am Schlusskonzert am Sonntag, 17.30 Uhr, wieder in der Kirche Tal, bietet der Erlenbacher Unternehmer und Pianist Walter Kehl ein Solo­rezital mit dem Titel «New Classic Piano» und Werken von Chopin bis Gershwin.

Die Nachmittagskonzerte finden beide in der Kirche Tal statt. Das erste am Samstag um 14 Uhr nennt sich «Barockzauber». Es spielen Absolventen der Zakhar Bron School of Music in Zürich. Das zweite am Sonntag um 13 Uhr steht unter dem Motto «Musik – Medizin». Es referiert der renommierte Schweizer Arzt und Pionier im Bereich der Kinder- und Fötalchirurgie, Prof. Dr. med. Martin Meuli, dazu erklingen Kompositionen von Fritz Stüssi (1874–1923) und Robert Schumann. Als Interpreten wirken das Quartett Avalon, das aus den Stimmführern der Zürcher Kammerphilharmonie besteht, und Nicole Loretan am Flügel. Bei den Nachmittagskonzerten ist der Eintritt frei (Kollekte).

Vorverkauf unter ticketino.com, 0900 441 441 (CHF 1.–/Min.), oder Papeterie im Dorf Herrliberg.

Weitere Informationen zum Programm: www.golden-festival.ch