Das Familienarchiv von General Ulrich Wille soll bald geöffnet werden

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Am 30. Januar wird in Meilen ein grosser Festakt zum 100‑jährigen Todestag von Ulrich Wille, dem General während des 1. Weltkriegs, organisiert. «Er hat immerhin erreicht, dass die Schweiz nicht angegriffen wurde», sagt Urenkel Arnold Wille dazu. Und verrät dem Küsnachter, dass das bisher unter Verschluss gehaltene Familienarchiv bald geöffnet werden soll.

Lorenz Steinmann

Wenn am Donnerstag Meilens Ehrenbürger General Ulrich Wille (5. April 1848 in Hamburg bis 31. Januar 1925 in Meilen) gehuldigt wird, können die Experten zwar auf viele Zeit­dokumente und Medienartikel zurückgreifen. Doch etwas fehlt bis heute: eine wissenschaftliche Biografie über den streitbaren Juristen und Offizier, der zu Zeiten des Ersten Weltkriegs (1914–1918) eine äusserst umstrittene Figur in der Schweizer Geschichte war. Zwar gibt es das Buch «General Ulrich Wille: Vorbild den einen – Feindbild den anderen» aus dem NZZ-Verlag, bei dem aber sogar die NZZ selber urteilt, dass dies keine ­Gesamtschau sei. Und: «Es gibt schon eine gut lesbare Biografie, die aber von den Historikern nicht ernst genommen wird», wie Urenkel Arnold Wille aus Wallisellen weiss. Eine offizielle Funktion habe er aber nicht am von der Gemeinde Küsnacht organisierten Anlass. «Mir scheint jedoch die Zusammensetzung des vorgesehenen Podiums ausgewogen, sodass auch tatsächlich eine Diskussion stattfinden kann», ist Wille überzeugt. 

Deutschfreundliche Haltung

Tatsächlich ist sein Urgrossvater bis heute eine umstrittene Figur geblieben. Ulrich Willes Reformen der Armee in den Jahren vor dem Krieg nach preussischem Vorbild, geprägt von Drill und Disziplin, stiessen auf heftigen Widerstand, da sie vielen als undemokratisch galten. Während des Ersten Weltkriegs wurde er ­wegen seiner deutschfreundlichen Haltung und autoritären Ansichten kritisiert. Und: Seine Rolle im Generalstreik 1918, bei dem er ein massives Militäraufgebot forderte, machte ihn für die Linke zum Symbol der Unterdrückung. 

Mehr als das Feldschiessen

Darauf angesprochen sagt Urenkel Arnold Wille: «Er hat immerhin erreicht, dass die Schweiz nicht angegriffen wurde.» Sein Urgrossvater habe vor dem Ersten Weltkrieg gesehen, dass es bei der Armee Reformen brauchte. «Er stellte die Armee neu auf, weil er wusste, dass es bei den Soldaten zur Verteidigung der Schweiz mehr brauchte als zweimal jährlich ein Feldschiessen.» So sei er von den Linken als Soldatenschinder verschrien worden, von den Rechten hingegen kritisiert, weil die Rekruten zu wenig gründlich ausgebildet worden seien. Beides sei einseitig, so Arnold Wille. Grossen Wert legte Ulrich Wille darauf, dass die Soldaten aller Stufen zum Mitdenken erzogen wurden, um so im Sinne des Vorgesetzten ihren Auftrag selbstständig ausführen zu können. Sicher ist, dass sich Ulrich Wille, wohl auch wegen seiner Geburt in Hamburg und der Vermählung mit Gräfin Clara von Bismarck, dem deutschen Wesen sehr nahe fühlte. «Das berühmte Kaisermanöver war ein Schlüsselerlebnis für die deutsche Armeeführung unter Kaiser Wilhelm II», erzählt Arnold Wille. «Die Deutschen wie auch der französische Militärattaché waren beeindruckt.» Das habe sicher auch dazu beigetragen, dass die Schweiz nie angegriffen wurde und etwa die Franzosen den Schweizer Jura nie nutzten, um die Deutschen über die Flanke anzugreifen. 

Was meint Thomas Süssli dazu?

Gespannt darf man sein, ob und wie die Führungsgeschicke von Ulrich Wille vom heutigen Korpskommandanten und obersten Armee-Chef Thomas Süssli beurteilt werden. Süssli ist als Festredner am 30. Januar in Meilen eingeladen. Auf Süsslis Probleme mit der Armee (IT-Skandal, Drohnen-Misere) angesprochen sagt Arnold Wille, dass die Armeeführung schon früher Probleme mit grossen Beschaffungen gehabt habe. «Nach dem Mirageskandal in den 1960er-Jahren musste der Armee-Chef den Hut nehmen», weiss Wille. 
Und damit zurück zur nicht minder spannenden Familiengeschichte. Ein Grund, dass es bisher keine umfassende Biografie über den berühmten General gab, war, dass das Familienarchiv bis heute grösstenteils unter Verschluss gehalten wird. «Die Erben vereinbarten das vertraglich», erklärt Arnold Wille. 

Niklaus Meienbergs Recherche

Zu dieser zurückhaltenden Kommuni­kation trug sicher auch der Historiker und Journalist Niklaus Meienberg (1940–1993) bei. Und das kam so: 1987 präsentierte das noch junge Ortsmuseum Meilen der Öffentlichkeit Erbstücke der Familie Wille, die bis heute im nahe gelegenen Landgut Mariafeld ihren Familiensitz hat. Meienberg interessierte sich besonders für das Exponat auf dem Originalstehpult, ein in Leder gebundenes und zu rein dekorativen Zwecken ausgelegtes Buch mit dem Prägedruck «Briefe des ­Generals an seine Frau 1914–1918». Es handelte sich um Fotokopien eines unpublizierten Typoskripts der berühmten «Generalsbriefe». In dieser Korrespondenz mit seiner Frau Clara enthüllt der General politische und militärische Geheimnisse. Der Rest ist grosse Mediengeschichte: Meienbergs Reportage «Die Welt als Wille & Wahn» gilt heute noch und zumindest in der Journalistenszene als Paradestück von wirkungsvoller Recherche. Historiker hingegen wundern sich über seine mangelhafte Berücksichtigung von Quellen.

Vereinbarung läuft 2025 aus

Laut Arnold Wille ist aktuell noch unklar, ob und wie das Familienarchiv geöffnet werden soll. Sicher ist lediglich, dass die Vereinbarung 2025 ausläuft. Er selber besitzt in Wallisellen keine Erinnerungsstücke seines berühmten Urgrossvaters. In Landgut Mariafeld hingegen, wo Wille wohnte und das immer noch Verwandten gehört, sind schon noch einige Trouvaillen zu finden. Plus natürlich das Original der «Briefe des Generals an seine Frau 1914–1918». Arnold Wille erzählt, dass das Landgut Mariafeld in Meilen früher ein Bubeninternat war, pleiteging und von Ulrich Willes Vater 1851 günstig erworben wurde. So also kamen die Willes nach Meilen. In einer Woche nun wird der 100‑jährige Todestag von Ulrich Wille würdig gefeiert. 

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Programmübersicht vom Donnerstag, 30. Januar im Gasthof Löwen (Seestrasse 595): 18.30 Uhr: Türöffnung. 19.00 Uhr: Musikalische Einstimmung durch das Militärspiel der Logistikbrigade. 19.20 Uhr: Begrüssung durch Christoph Hiller, Gemeindepräsident von Meilen. 19.40 Uhr: Festrede von Korpskommandant Thomas Süssli, Chef der Armee. 20.00 Uhr: Podiumsdiskussion zur vielschichtigen Persönlichkeit von General Ulrich Wille unter der Leitung von Prof. Dr. Rudolf Jaun mit den Historikern Dr. Daniel Lätsch, Dr. Lea Moliterni Eberle und Dr. Michael Olsansky. Ca. 20.45 Uhr: Abschluss und anschliessender Umtrunk. Der Gasthof Löwen ist vom Bahnhof Meilen in fünf Minuten zu Fuss erreichbar. Parkplätze stehen im Parkhaus «Dorfplatz» zur Verfügung.