Die Zusammenarbeit der Küsnachter und Erlenbacher Seeretter ist ungewiss: In wenigen Tagen will die Gemeinde Erlenbach diese beenden. Hinter den Kulissen wird fieberhaft verhandelt. Einige hoffen noch auf ein kleines Wunder.
Der Schwimmer, der am letzten Tag dieses Sommers noch einmal den See hatte überqueren wollen, schaffte knapp die halbe Strecke, bevor die Erschöpfung ihn übermannte. Die Sportlerin, die vor Erlenbach gekentert war, klammerte sich mit schwindender Kraft an ihr Ruderboot, das kieloben im Wasser trieb. Am selben Tag atmete der Freizeit-Kapitän, dessen Motor ausgefallen war, erleichtert auf, als sein Boot in den sicheren Hafen geschleppt wurde. Sie alle sind an diesem turbulenten Wochenende von den Einsatzkräften des Seerettungsdienstes Küsnacht-Erlenbach aus einer Notsituation in Sicherheit gebracht worden.
Und weiterhin herrscht Hochbetrieb im Bootshaus am Küsnachter Hafen bei der Steinburg. Die Rad-WM, die derzeit den Strassenverkehr in der und rund um die Stadt Zürich einschränkt, hält auch Manuel Häusermann, den Kommandanten der Seeretter, und seine Mannschaft auf Trab: «Immer, wenn die Seestrasse gesperrt ist, schieben wir hier Pikettdienst.»
Uneinigkeit beim Geld
Es ist allerdings weniger der Radsport, der die Seeretter umtreibt. Es geht – einmal mehr – ums liebe Geld. Und damit um die Politik; denn jetzt müssen die Retter selbst auf Rettung hoffen: 110 Jahre nach der Gründung des Seerettungsdienstes, nach neunzig Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit und achtzig Jahre nach der Unterzeichnung des Kooperationsvertrags will Erlenbach aussteigen. «Diese Zusammenarbeit geht zurück auf einen Vertrag aus dem Jahr 1944», erläutert der parteilose Erlenbacher Gemeindepräsident Philippe Zehnder.
Damals habe man sich darauf geeinigt, dass Erlenbach im Durchschnitt der letzten Jahre einen Drittel der Betriebskosten trägt, was heute, wie Zehnder vorrechnet, einem Betrag von rund 90 000 Franken entspricht. «Wir mussten zwar bezahlen», ärgert er sich. «Aber mitentscheiden konnten wir nicht – und daran hat sich bis heute nichts geändert.»
Eins zu zwei – das entspricht in etwa der Länge des Ufers und der Fläche des Einsatzrayons der beiden Gemeinden. Weniger adäquat setzt sich die Truppe zusammen: Unter den 25 Einsatzkräften finden sich lediglich zwei Erlenbacher. Und – ganz neu – immerhin auch die erste Frau.
Bei der Gründung des Seerettungsdienstes im Jahr 1914 stand gerade mal ein kleines Ruderboot zur Verfügung, heute verfügt die Truppe über das technisch topmodern ausgerüstete Flaggschiff Tina sowie das kleinere, auf Taucheinsätze spezialisierte Flachbodenschiff Nepta. Vor allem aber sind damals nur «ehrenwerte Herren» zugelassen worden. Diese Bestimmung ist erst Anfang dieses Jahres angepasst worden – und «mit Angela Bolle», freut sich Kommandant Häusermann», «haben wir jetzt die erste Seeretterin in unseren Reihen.» So habe es «ganz gut gepasst», dass im Rahmen der Bootshaus-Renovation auch eine zweite Garderobe für künftige Seeretterinnen eingeplant worden ist.
So weit, so gut. Aber wo liegt das Problem?
«Ganz einfach», sagt Zehnder. «Wir sollen zwar zahlen, aber wir haben kein Mitspracherecht – und daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir können insbesondere dann nicht mitentscheiden, wenn ausserordentliche Ausgaben anstehen.» Dies stellt Alexandra Bechter von der Kommunikationsstelle Küsnacht in Abrede. «Küsnacht hat Erlenbach eine umfassende Mitsprache angeboten, aber Erlenbach wollte einen reinen Dienstleistungsvertrag.»
Sanierung für 2 Millionen Franken
Kostspielig – weil umfassend – ist die Sanierung des Bootshauses tatsächlich ausgefallen: Auf nahezu zwei Millionen Franken kam die kürzlich abgeschlossene Sanierung des Bootshauses zu stehen. Ein Fachmann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, kann die Empörung des Erlenbacher Gemeindeoberhauptes nachvollziehen: «So viel Geld für die Sanierung des Flachdachs, für die Installation der Photovoltaik, für ein bisschen Farbe und eine Erweiterung der sanitären Anlagen – das ist ein Witz! Das wäre auch mit der Hälfte des Geldes machbar gewesen!»
«Das ist ein bekannter Vorwurf», entgegnet der Küsnachter Gemeinderat Claudio Durisch. «Den hört man immer wieder, wenn die öffentliche Hand etwas plant – und man muss ihn natürlich ernst nehmen.» Der gelernte Architekt, wie sein Erlenbacher Kontrahent Zehnder parteilos, ist für den Tiefbau, die Sicherheit und damit auch für den Seerettungsdienst zuständig. «Auf jeden Fall hätte man auf wesentliche und wichtige Elemente – wie beispielsweise eine nachhaltige Heizung – verzichten müssen, wenn man die Kosten hätte senken wollen.»
Er gibt sich zwar nicht zugeknöpft, ist aber um diplomatische Worte bemüht: «Wir sind und bleiben im Gespräch – und das ist ergebnisoffen. Ich möchte nicht voreilig Türen zuschlagen und kann deshalb nicht konkreter werden.» Claudio Durisch legt eine Pause ein, überlegt kurz – und wird dann doch noch konkret: «Wir pflegen auf verschiedenen Ebenen die Zusammenarbeit mit den Erlenbacher Behörden – beim Zivilschutz, bei der Wasserversorgung und auch bei der Abwasserreinigungsanlage haben wir das gegenseitige Mitspracherecht institutionalisiert. Unser Vorschlag wäre gewesen, dass wir diese Organisation auch beim Seerettungsdienst einführen.»
Von Philippe Zehnder ist zu erfahren, dass der Gemeinderat den Küsnachter Vorschlag zur Kenntnis genommen hat.
Unterdessen scheint der Erlenbacher Gemeindepräsident eine andere Lösung des Problems gefunden zu haben; er hat seine Fühler auf die gegenüberliegende Seeseite ausgestreckt.
Auch Horgen unterhält einen Seerettungsdienst – im Verbund mit Thalwil, Oberrieden sowie Herrliberg am diesseitigen Seeufer und in unmittelbarer Nachbarschaft zu Erlenbach. «Allerdings haben die Horgener keine Taucher-Equipe», gibt Durisch, dem diese Lösung offenkundig gar nicht gefallen mag, zu bedenken. «Die Aufgaben verteilen sich somit auf immer weniger Schultern. Gemeindepräsident Zehnder muss selbst wissen, ob er da auf einem guten Weg ist.»
Kündigung schon vor einem Jahr
Claudio Durisch ist vor einem Jahr in den Küsnachter Gemeinderat gewählt worden, kurz zuvor hatte Philipp Zehnder die Zusammenarbeit mit den Küsnachter Seerettern aufgekündigt – auf den 30. September 2024, den Montag nächster Woche. Warum bloss hat der neue Gemeinderat mit den Verhandlungen so lange zugewartet?
«Haben wir gar nicht», wehrt dieser sich. «Wir sind schon seit längerer Zeit im Gespräch. Und ich bleibe zuversichtlich, dass wir in nützlicher Frist eine Lösung finden, mit der alle gut leben können.» Woher nimmt er diese Zuversicht?
«Als leidenschaftlicher Segler habe ich ein ganz persönliches Interesse an einem gut funktionierenden Seerettungsdienst – und zwar in unserer Gemeinde. Bis anhin habe ich allerdings noch nie gerettet werden müssen – zum Glück!»
Und wenn es innerhalb der Frist nicht mehr zu einer Einigung kommt?
«Dann bieten wir von unserer Seite eine Fristerstreckung an. Nach neunzig Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit sollte das doch möglich sein!»
Sein Verhandlungsgegner sieht das allerdings anders: «Bis zum 1. Oktober», sagt Philippe Zehnder, «haben wir eine Lösung – so oder so.»